Klitoris ist ein bekannter Begriff. Dennoch verbirgt sich dahinter weitaus mehr als die meisten Menschen denken. Viele sind schon überrascht, wenn sie hören, dass die Klitoris genauso groß wie ein Penis ist. Nur einer von vielen spannenden Fakten über dieses oftmals mysteriöse Organ, das unsere Autorin in ihrem aktuellen Buch beschreibt.
Von Louisa Lorenz
Wie ich die Klitoris kennenlernte
So wie wahrscheinlich die meisten Menschen, lernte ich die Klitoris als kleine Perle kennen, die sich am oberen Ende der Vulva befindet. Dazu gesellte sich die Erkenntnis, dass diese Perle für die Lust beim Sex und den Orgasmus wichtig zu sein scheint. Woher dieses Wissen stammte? Aus einer Mischung von Zeitschriften, Pornos, Popkultur und Ausprobieren. Im Aufklärungsunterricht während meiner Schulzeit fand die Klitoris hingegen kaum statt.
Erst mit 25 Jahren und als vermeintlich gebildete, emanzipierte Frau lernte ich, was die Klitoris wirklich ist. Und das auch eher zufällig: Ein Artikel mit dem Titel The Internal Clitoris eröffnete mir eines Nachmittags eine ganz neue Welt.
Louisa Lorenz ist Kulturwissenschaftlerin und spezialisiert auf Geschlechterforschung. In ihrer Arbeit zum Thema Klitoris nimmt sie uns mit in die aufregende Geschichte eines unterschätzten Organs, das so viel mehr ist als ein Lust-Knubbel.
Louisa bietet mit ihren Veranstaltungen "Clit Night" und "Clit Talk" Interessierten die Möglichkeit, mehr über die Klitoris und ihre Bedeutung zu erfahren.
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Die Anatomie der Klitoris
Den äußeren Teil der Klitoris kannte ich zu diesem Zeitpunkt ganz gut. Völlig neu war für mich, dass sie sich bis weit ins Innere des Körpers erstreckt. Die Klitoris ist – genau wie der Penis – ein Schwellkörpersystem, das aus zwei unterschiedlichen Schwellkörpertypen (dem Corpus cavernosum und dem Corpus spongiosum) besteht und das mit verschiedenen Nervensträngen, Drüsen und Muskeln verbunden ist. Während die Perle, also der von außen sichtbare Teil der Klitoris, meist zwischen 0,25-2 cm groß ist, umfasst die Gesamtgröße der Klitoris ungefähr 8-14 cm. Sie besteht einerseits aus zwei langen Schenkeln (Crura), die am Beckenknochen anliegen und dann zum Schaft zusammenlaufen, dessen Ende die Klitorisperle bildet. Andererseits aus den zwei Bulbi (zu Deutsch: Zwiebeln), welche die Vagina im Inneren des Körpers von beiden Seiten umarmen.
Klitoris und Penis – Gemeinsamkeiten statt Unterschiede
Bei Erregung schwillt die Klitoris an, genau wie der Penis. Der Schwellkörperkomplex füllt sich mit Blut, wird prall und manchmal richtet sich dabei auch das Köpfchen auf. Klitoris und Penis gleichen sich also nicht nur in ihrem Aufbau, auch ihre Funktionsweise ist erstaunlich ähnlich. Wenn du mehr über die embryonale Entwicklung von Genitalien weißt, überrascht das jedoch nicht mehr.
Denn alle unsere Genitalien – egal wie sie aussehen oder welchem Geschlecht sie zugeordnet werden – entstehen aus der gleichen Gewebsanlage. Die Fortpflanzungsorgane bilden zwar unterschiedliche Funktionen aus, z.B. Spermien- oder Eizellenproduktion, aber es lassen sich alle Gewebsstrukturen bei jedem Menschen wiederfinden. Die Haut des Hodensackes ist die gleiche, die bei der Vulva die äußeren Lippen bildet und die Haut des Penisschaftes ist die gleiche wie die inneren Vulvalippen. An der Unterseite des Penis kannst du meist eine Linie erkennen, die ein wenig aussieht wie eine Narbe. Genau an dieser Stelle ist das Gewebe zusammen gewachsen, wo es bei der Vulva in zwei Labien auseinander geht.
Die Klitoris sichtbar machen
Ich kann mich noch gut an mein Aha-Erlebnis mit Mitte zwanzig erinnern: "Jetzt ergibt alles Sinn." Vieles, was ich beim Sex spürte, konnte ich mit diesem neuen Wissen plötzlich viel besser einordnen. Ich entdeckte meine Genitalanatomie, denn auf einmal hatte ich dank dieses Artikels eine Landkarte. Auf den meisten Abbildungen des Genitalkomplexes – sei es in Biologiebüchern, medizinischer Literatur oder in Aufklärungsmaterialien – wird die Anatomie der Klitoris gar nicht vollständig abgebildet. Meist bekommen wir mit der Perle nur die Spitze des Eisbergs zu sehen. Dabei braucht es Bilder, die uns den inneren Teil zeigen, um zu verstehen, was noch alles unter der Oberfläche schlummert.
Die Geschichte der Klitoris
Mein neu gefundenes Wissen zur Klitoris war ein Game-Changer sowohl für mich selbst als auch für meine Sexualbeziehungen mit Partner:innen.
Warum hatte ich all das nicht schon viel früher gelernt? Schnell stellte ich fest: Ich war mit dieser Erfahrung nicht alleine. Als Kulturwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin interessiere ich mich besonders für die Verknüpfungen zwischen unserer privaten Sexualität und der Gesellschaft in der wir leben, mit all ihren Werten, Vorstellungen und Erwartungen. Ich begann der Frage nachzugehen, warum das Wissen über die Klitorisanatomie so wenig verbreitet war.
Meine naheliegendste Vermutung war zunächst, dass der inneren Teil der Klitoris in der Forschung vielleicht noch nicht so lange bekannt war.
Wer die vollständige Anatomie der Klitoris bereits kennt, hat vielleicht schonmal gelesen, dass diese erst 1998 entdeckt worden sei. Das ist jedoch nur einer von unzähligen Mythen, die sich um dieses Organ ranken. Denn tatsächlich ist die Anatomie der Klitoris in der Medizin schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt und elaborierte Zeichnungen des inneren Teils der Klitoris zieren einige historische Anatomiebücher.
Die Antwort auf die Frage, was in all den Jahrhunderten mit dem Wissen passiert ist, ist zu umfangreich als dass ich sie hier ausführen könnte. Oft wird behauptet, es läge an der gesellschaftlichen Unterdrückung weiblicher Lust. Das stimmt in Teilen. Ganz so einfach ist es jedoch auch nicht. Es ist vor allem unsere gesellschaftliche Vorstellung, dass Männer und Frauen in ihrer Sexualität nahezu grundverschieden seien, die bei der Ignoranz gegenüber der Klitoris eine Rolle spielt.
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Mythen zur Klitoris
Blicken wir in der Geschichte zurück, finden sich viele Mythen zur Klitoris und zu Sexualität im Allgemeinen, die teils bis heute bestehen. Ein beliebter Slogan ist zum Beispiel, dass die Klitoris das einzige Organ sei, das allein der Lust diene. Doch wenn du bedenkst, dass Klitoris und Penis das Gleiche sind, macht eine solche Behauptung natürlich stutzig.
Auch lese ich häufig, dass die Klitoris 8000 Nervenenden habe, der Penis jedoch nur 4000. Nur wenige wissen, dass es dafür jedoch keine Belege gibt, sondern diese Zahlen vermutlich auf einer Studie an Rindern und Schafen basiert. Andere Studien legen nahe, dass sich Penis und Klitoris nicht grundsätzlich in der Anzahl ihrer Nervenenden unterscheiden, sondern vielmehr in ihrer Dichte. Denn oft beziehen sich diese Angaben auf die Eichel und die Perle. Bei der Perle befinden sich die gleiche Zahl an Nervenenden einfach auf einem kleineren Raum – das kann sie durchaus empfindlicher machen.
Doch vor allem dürfen wir bei all den Zahlen und Größenangaben, die uns helfen Genitalien zu verstehen, nicht vergessen: Jeder Körper ist unterschiedlich, egal ob du eine Klitoris oder einen Penis hast. Die Vorstellung, dass die Vagina das Gegenstück zum Penis sei, ist anatomisch betrachtet komplett fehlgeleitet. Klitoris und Penis sind die zentralen Lustorgane. Was wir mögen, wie wir angefasst werden wollen und wie wir kommen, bleibt jedoch eine individuelle Sache, die es immer wieder neu zu entdecken gilt.
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Louisa Lorenz erzählt eine spannende Geschichte von Ignoranz, Unterdrückung und Verwirrung und zeigt, dass es höchste Zeit für mehr sexuelle Selbstbestimmung und für die Befreiung unserer Lust ist. Eine Offenbarung für alle, die Sex haben!
Buchinformationen:
"Clit: Die aufregende Geschichte der Klitoris"
Louisa Lorenz
Verlag: Heyne
304 Seiten
Softcover: 15 EUR
E-Book: 11,99 EUR
ISBN: 978-3453605923
Wir wollten wissen: Aus welchen Teilen besteht die Klitoris?
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