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Grenzen setzen muss erlernt sein

Mein Körper, meine Regeln

Grenzen erkennen, kommunizieren, verteidigen – klingt vielleicht selbstverständlich, ist es aber für viele nicht. Weibliche Wut gegenüber Grenzüberschreitenden ist gesellschaftlich auch weiterhin nicht gern gesehen. Woran liegt es, dass es besonders Frauen schwer fällt, Grenzen zu setzen? Die Gründe hierfür sind meist schon in frühester Kindheit zu verorten.

Von Nadine Primo

Mantras, die sich einbrennen

Kennst du sie auch? "Reiß dich zusammen", "Stell dich nicht so an", "Ach, das hat der doch nicht so gemeint, der mag dich halt". Sätze, die in Erinnerung bleiben und die Wahrnehmung der eigenen körperlichen Grenzen nachhaltiger beeinflussen können, als es den meisten von uns bewusst ist. Was ich damit meine? Ganz einfach: Wenn ich an meine Fahrstunden zurückdenke, kommt mir als erstes mein Fahrlehrer in den Sinn, der mir ebenso unangebracht wie ungefragt gern als Lob das Bein tätschelte und somit seine Machtposition ausnutzte, indem er mich für sein deplatziertes Verlangen benutzte.

Als ich meinem Umfeld davon erzählte, wurden meine Aussagen schnell relativiert, zumal der Fahrlehrer nun mal seit jeher bekannt dafür sei, dass er gerne mal tatsche, aber nicht gefährlich ist. "Hunde, die bellen, beißen nicht." Kennt man ja, macht es nur nicht besser – im Gegenteil. Übergriffe werden dadurch bagatellisiert. Ein weiteres Beispiel: Einmal im Waschsalon fand ich mich in einer weiteren unschönen Situation wieder, als ein fremder Mann beschloss, sich vor mir einen runterzuholen, während ich alleine mitten am Tag in der Kölner Südstadt auf meine Wäsche wartete.

 
Grenzen setzen muss erlernt sein
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NADINE studierte Romanistik & Internationale Geschichte der Neuzeit (M. A.) in Bonn. Mittlerweile lebt sie in Berlin und ist selbstständig als freie Autorin, Speakerin (Podcast/Radio/TV), Redakteurin und Model tätig. Auf ihrem Blog und Instagram teilt sie persönliche Erlebnisse aus ihrem Alltag als bisexuelle Frau und spricht über alternative Beziehungskonzepte, anhaltende Ungerechtigkeiten im Patriarchat und die gesellschaftliche Rezeption von Bisexualität sowie mentale Gesundheit.
 

Konsens ist nicht verhandelbar

Auch dieser Übergriff wurde von meinem Umfeld teilweise relativiert oder mit einem blöden Witz quittiert – es sei ja schließlich nichts passiert. Aber der Kracher war eigentlich die Dame am Service-Telefon des Waschsalons, die auf meine Anfrage nach dem Material der Überwachungskamera antwortete, dass diese nur für Raubüberfälle und Diebstähle angebracht worden wären. Ach so, okay! Ich war sprachlos … aber damit bin ich nicht alleine, denn viel zu oft höre ich von Frauen, die sich in unschönen Situationen wiederfanden und von ihrem Umfeld nicht adäquat aufgefangen wurden – vorausgesetzt, sie waren sich des Übergriffs überhaupt selbst bewusst.

Solche und ähnliche Situationen führten dazu, dass ich mich immer wieder fragte: Lohnt es sich, deswegen ein Fass aufzumachen? Ist es nicht einfacher, das ungute Gefühl in der Magengrube und die Wut beiseite zu schieben? Ja, es ist einfacher, aber nicht die Lösung. Und genau das ist die größte Herausforderung: Konsens ist nicht nur sexy, sondern auch nicht verhandelbar!

Zieh Grenzen

Grenzen haben kein Mindestalter

Alles, was mit unseren Körpern angestellt wird, ohne dass wir dem explizit zugestimmt haben, ist ein Übergriff. Fertig. Daher ist es wichtig, dass wir bereits Kindern ihre Grenzen zugestehen. Dazu gehört auch, dass wir sie nicht zwingen, sich beispielsweise "auf Opas Schoß zu setzen, weil der das so gerne mag" oder "dem Onkel doch noch ein Küsschen zu geben, weil der ja sonst traurig ist". Ja, schön, dann ist das so. Sie sind erwachsen, sie werden damit klarkommen (müssen).

 
Für sich einzustehen braucht Stärke.
Für sich einzustehen braucht Stärke.
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Grenzen setzen ist ein lebenslanger Prozess

Als ich anfing sexuell aktiv zu werden, gab es auf jeden Fall einige Momente, in denen ich Dinge mit mir habe machen lassen, weil ich dachte, ich finde sie gut – schließlich hatten Porno-Plattformen mir ein Bild der devoten, gefügigen, willigen Frau vermittelt und meine damaligen männlichen Sexpartner waren zumeist einige Jahre älter als ich – und übernahmen demnach die Führung. Klar, ich wollte mich auch führen lassen, keine Frage. Dennoch: Mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass ich viel Sex für andere hatte, denn das hatte ich gelernt. Was ich wiederum nicht gelernt hatte, war für meine Grenzen und infolgedessen auch für meine Lust einzustehen.

Fantasien konsensuell in die Realität umsetzen

Schlägt Harmoniesucht die Selbstachtung?

Dafür musste es bei mir erst, wie eingangs geschildert, zu einigen unschönen Momenten kommen, bis ich fortan anfing, vehement für meine Grenzen einzustehen und sie anderen zur Not auch entgegen zu schreien.

Ein weiteres Beispiel: Ein Mal matchte ich einen Mann und wir schrieben eine gewisse Zeit hin und her, der Vibe stimmte und ich lud ihn zu mir ein, zuvor hatte seine Freundin mir noch bestätigt, dass er wirklich der nette, aufgeschlossene Künstler ist, der in einer offenen Beziehung lebt. Wir tranken Wein, lachten viel, redeten lange und küssten uns schließlich.

So weit, so gut. Alles fein? Nein! Auf einmal änderte sich sein Tempo, er legte nicht nur einen Zahn zu, sondern schien auf der Flucht. Ohne Rücksicht auf Verluste wollte er loslegen, denn so fühlte es sich an, als er schlagartig jegliches Feingefühl verlor und eher durch Grobheit und sein ungelenkes Verhalten überzeugte. Ich wies ihn darauf hin, erst einmal, dann noch einmal und schließlich schmiss ich ihn raus.

Zugegeben, das hätte ich von mir selbst nicht erwartet, zuvor hatte ich keinen Mann mit den Worten "Verschwinde! Aber sofort!" aus der Wohnung geschmissen. Aber der Gedanke mich hinterher für etwas schlecht zu fühlen, weil ich gegen meine Bedürfnisse gehandelt habe – oder schlechten Sex ertragen zu müssen, siegte und ließ mich meine Grenzen erkennen und die Situation beenden. Es ist so wichtig, dass wir mehr darüber reden! Mehr darüber, was bereits ein Übergriff ist und mehr darüber, wie wir solche vermeiden oder ihnen zumindest Einhalt gebieten können.

Ist das okay? Eine Frage, die Konsens möglich macht.
Ist das okay? Eine Frage, die Konsens möglich macht.
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Lass uns über Grenzen reden

Warum ich ein ganzes Buch darüber geschrieben habe? Weil Grenzen setzen ein lebenslanger Prozess ist, der bereits im Kindesalter beginnt, wenn wir anfangen, unsere Körper wahrzunehmen und uns an unseren Beziehungsvorbildern zu orientieren. Wie sollen wir beim Sex unsere Grenzen kommunizieren, wenn wir sie gar nicht wirklich kennen? Grenzen setzen fängt eben schon im Kleinen an: im Alltag! Stehe ich für mich ein oder gebe ich lieber nach? Ist mir Harmonie wichtiger als die Befriedigung meiner Bedürfnisse?

Wovor habe ich Angst, wenn ich anderen mein Missfallen mitteile? Etwa vor Ablehnung? Zumindest ging es mir früher oft so, wenn ich meine Bedürfnisse verschwieg und mich anpasste. Aber mittlerweile denke ich mir einfach: Wenn der Mensch mich wirklich wertschätzt und mir liebevoll gesonnen ist, dann sollte ihm mein Wohlergehen sehr wichtig sein. Ist es das nicht, ist er nicht der richtige Umgang für mich. Ich möchte ebenso wertschätzend behandelt werden, wie ich es anderen entgegen bringe und dazu gehört eben auch, dass ich sie frage, ob sie sich wohlfühlen und okay mit allem sind.

So funktioniert Wertschätzung. Das ist Konsens.


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Buchvorstellung: "Konsens ist sexy"

"Ich glaube, dass Diskriminierung erst hinfällig ist, wenn wir unsere eigenen Grenzen und Trigger erkennen", sagt Nadine Primo über das Bewusstwerden eigener Grenzen und das Selbstvertrauen, gesellschaftliche Erwartungen nicht zu erfüllen. Ein Buch, nicht nur für die Generation Y, sondern für alle, die für sich einstehen wollen.

Grenzen setzen muss erlernt sein


Buchinformationen:

"Konsens ist sexy: Von persönlichen Grenzen und weiblicher Lust"


Nadine Primo


Verlag: mvgverlag
208 Seiten
Softcover: 17 EUR
E-Book: 12,99 EUR
ISBN: 978-3-7474-0512-3


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