"Aber da kann doch das arme Kaninchen nichts für!"
Die Überschrift ist blöd, ich weiß. Aber um zwei Ecken gedacht bringt sie mein Problem tatsächlich auf den Punkt, deswegen hab ich sie gewählt. Wie so oft bei mir werde ich beim Schreiben ein wenig ausholen - aber ich bemühe mich, es so zu formulieren und zu gliedern, dass man als Leser folgen kann ;).Immer wieder "Abstürze" auf der dominanten Seite
Man muss dazu sagen: Ich, seit vier Jahren (seit Beginn meines SM-Lebens) Switcherin, habe genauso lange schon immer wieder große Schwierigkeiten damit, meine dominante Seite auch auszuleben, und ich habe immer wieder nach dem Grund dafür gesucht, dass es mir dabei so oft passiert, dass etwas bei mir "kippt" und ich eine Art Absturz erlebe, wie sie angeblich sonst eher nur Subs erleben, wenn etwas kippt. Als Subse habe ich einen solchen Absturz auch schon ein oder zwei Mal erlebt gehabt, fühlte mich dabei aber immer von meinem jeweiligen Spielpartner gut aufgefangen und zurück in die "wirkliche Welt" geleitet, so dass keine bleibenden Schäden oder auch nur psychische Verwirrungen zurückblieben.
Anders mit der Dom-Seite. Nach meiner allerersten Session (in der ich mich zum ersten Mal überhaupt als Domme erprobte und von SM noch so gut wie keine Ahnung hatte) flog ich kilometerhoch. Mein Spielpartner wollte mir gar nicht glauben, dass ich so etwas noch nie getan hatte, viel zu böse hätte ich gelächelt, viel zu fest zugeschlagen - wobei er sich als schon erfahrener Sub natürlich schon sehr unterwürfig gegeben hatte und sehr wenig renitent, um es mir leichter zu machen.
Das Hochgefühl hielt drei Tage an, danach stürzte ich ab. Und ich war alleine - denn mit meinem damaligen Spielpartner verband mich keine Beziehung, nur Freundschaft, und wir beide waren mitten im Examensstress, würden uns also frühestens einen Monat später wieder sehen können. Ich stürzte ab, ohne den Grund zu kennen, beschloss, "so etwas" nie wieder zu tun und war ein halbes Jahr lang nur Sub, bis ich schließlich beschloss, dass ich keine meiner beiden Seiten künftig mehr unterdrücken würde. Und es ergaben sich immer mal wieder Gelegenheiten für die eine oder die andere Seite. Aber fast jedes Mal, wenn ich Domme war, stürzte ich hinterher mehr oder weniger tief ab.
Suche nach Ursachen!
Das ganze belastete mich nicht gerade wenig - zumal mein Schatz es eben auch sehr liebt, sich mir hingeben zu können, und ich mich selbst manchmal eben auch unter Druck setzte, um ihm das geben zu können, was ich ihm eigentlich geben wollte und aufgrund meiner ständigen Angst vor einem neuen Absturz nicht mehr geben konnte.
Eine Überlegung, als das in meiner Beziehung immer noch passierte, war, dass es vielleicht daran liegen könnte, dass ich meinen Schatz eben "zu sehr liebe, um ihm wehtun zu können" - aber irgendwie hatte ich so was ja schon von Anfang an in der Dommenrolle, auch ohne dass tiefere Gefühle im Spiel waren. Außerdem wusste ich doch, dass er es eben auch wollte!
Eine andere Überlegung war, dass ich vielleicht im Grunde "gar nicht oder so gut wie nicht" dominant bin und diese Rolle immer nur einem submissiven Spielpartner zuliebe einnahm - aber das konnte irgendwie auch nicht sein. Ich meine, es erregte mich, ich hatte die Fantasien, manchmal, wenn ich abschalten konnte, war es genial...
Oder lag es daran, dass ich wegen zu großem und lange anhaltendem privaten Stress eben nicht genug abschalten konnte?
Oder vielleicht lag es daran, dass ich mich gedrängt fühlte und dadurch Leistungsdruck entstand?
Wochenende in einer SM-Wohnung, um als Domme sicher und ungestört zu sein
Um meinem Schatz und mir eine Auszeit zu gönnen, habe ich uns jetzt also ein SM-Wochenende spendiert. Normalerweise durchaus switchend, wünschte ich mir für dieses WE, einmal so richtig durchgehend die Kontrolle zu haben und mich als Herrin meines Sklaven fühlen zu können. Am Freitag funktionierte das ganze auch sehr schön für uns beide. Das ganze war aber anstrengender als gedacht, und schon am ersten Abend beschlossen wir, fürs Schlafen eben doch wieder "wir selbst" auf partnerschaftlicher Ebene zu werden und eng angeschmust zu schlafen, glücklich darüber, dass wir so ein schönes und aufregendes Abenteuer und eine Entdeckungsreise in ein fremdes Land bewältigt hatten.
Am Samstag wünschte ich mir von ihm ein Rollenspiel im Klinikbereich - er sollte die Wohnung verlassen und als Patient wieder kommen, der ein Beratungsgespräch wegen einer Geschlechtsumwandlung möchte.
Die Session dauerte drei Stunden und war genial. Zu Beginn des Gespräches stellte ich ihm ein zu einem Viertel mit Natursekt gefülltes Glas hin, dass ich ganz zuvorkommend mit Sprudel aufgoss, damit er ein wenig Apfelschorle trinken konnte, wann immer er im Gespräch nervös wurde - und stellte sie ihm böse lächelnd hin. Befragte ihn - und würzte die Befragung in meiner Rolle als Frau Doktor mit einem Haufen böser Andeutungen, auch in Bezug auf Angehörige, die ihn möglicherweise vermissen würde, baute Beschimpfungen ein, maß seinen Blutdruck und erklärte ihm, dass er offenbar Angst habe und sich sehr schämte, ob das stimmte, legte ihm eine weitere Manschette um den Hals, an denen ich seine Handgelenke (angeblich wegen der Pulsmessung) befestigte und eröffnete ihm dann, dass in seinem Glas eine Art Betäubungsmittel gewesen sei und er jetzt bitte den Rest auch noch austrinken solle... Mann, war das geil!
Und dann halt die "eigentliche" Session auf dem Gyn-Stuhl, bei der ich mich immer weiter hinreißen ließ, beschloss, so bald wie möglich Nadelungstechniken zu lernen, ihm androhte, die Genitalien mit dem Küchenmesser - nun ja -, immer mal wieder andeutete, er könne ruhig um Hilfe rufen, dann würden meine Kollegen kommen... Entweder sie würden ihn befreien - oder sie würden mir helfen und dann würde es noch schlimmer für ihn werden, es wäre seine eigene Entscheidung...
Na ja, langer Rede, kurzer Sinn, ich hoffe, ich habe mit dieser Beschreibung noch kein FSK verletzt, jedenfalls flog ich schon wieder, und mein Kerl flog auch. Im Anschluss an die Session machten wir eng aneinander gekuschelt einen Mittagsschlaf, danach badete ich und wurde von meinem Jetzt-wieder-Sklaven umsorgt und verwöhnt, damit ich wieder zu Kräften kam. Es war schön und es tat gut. Im Rahmen dieses Rollenspieles hatte ich überhaupt keine Ängste mehr gehabt, sondern war zu "sadistischer Höchstform" aufgeblüht, und die anschließende Erschöpfung hatte überhaupt nichts mit einem Absturz oder Angst zu tun, sondern nur mit einem wohligen Gefühl von Befriedigung. Für mich etwas fast komplett Neues ;).
Brainstorming in der Badewanne
Da es gerade mal später Nachmittag war und ich bis zu diesem Zeitpunkt die Hälfte meiner mitgebrachten "Accesoires" noch nicht mal eingesetzt hatte, ich außerdem gerade so richtig schön dabei war, traute ich mich, endlich mal ein Rollenspiel vorzuschlagen, dass schon seit langem durch meine Fantasie geisterte: Eine Agentin dringt mit vorgehaltener Waffe in die Wohnung ihres Opfers ein und foltert es so lange, bis es ihr die gewünschten Informationen gibt. Ich schlug es meinem neben der Badewanne stehenden Kerl vor, und wir überlegten hierhin und dorthin, um es für beide Seiten möglichst befriedigend gestalten zu können.
"Eigentlich ist es schade, dass man so ein Befragungs-Rollenspiel gar nicht wirklich bis zum bitteren Ende spielen kann", philosophierte ich vor mich hin, in der Badewanne liegend und ganz entspannt, so dass die Gedankenzensur nicht sofort zugreifen könnte. "In so einem Szenario könnte man wirklich bis zum innersten Kern einer Person vordringen, ihn so lange unter Druck setzen und herumsuchen, bis man den den einen unverletzlichen Punkt in der Seele findet, an dem man ansetzen müsste, um jemanden zu zerbrechen..."
"Wie meinst du das?"
"Na ja, es gibt zum Beispiel in 1984 so eine Szene, da wird der Kerl gefoltert, damit er verrät, was die größte Angst seiner Geliebten ist, ich kriege es nicht mehr ganz zusammen, aber irgendwie ging es darum, ihn bis an den Punkt zu bringen, an dem er sagt: Nehmt sie, aber lasst mich in Ruhe. Der Punkt, an dem er alles vergisst, was ihm vorher heilig war, verstehst du?"
"Na ja, das kannst du so aber nicht unbedingt als Rollenspiel machen."
"Na ja, man müsste vielleicht ein Pärchen nehmen, ihn und sie, und sie zusammen an diesen Punkt bringen..." Ich blickte versonnen die Wand im Badezimmer an, plätscherte mit dem Wasser und hatte die Augen halb geschlossen. Die Haltung, in der man so oft gute Ideen hat, einfach mal abschaltet und die Gedanken treiben lässt, und ich war in dem Moment einfach entspannt.
"Doofe Idee", sagte mein Freund - und ich bin froh, dass er in diesem Moment eben nicht gedanklich über mich urteilte und mich für solche Ideen verabscheute. Er blieb einfach ruhig und redete so mit mir, als ob solche Eingriffe in die Psyche von Menschen tatsächlich etwas sind, über das man diskutieren könnte - und kein totales, verabscheuungswürdiges No-Go! "Wenn man so was in einer Beziehung macht, dann könnte es später ganz, ganz böses Blut geben. So was würde ich lieber lassen."
"Ja, du hast Recht, das wäre nicht so gut", meinte ich und überlegte gleich weiter. "Vielleicht könnte man E. nehmen, und eine Frau, mit der er nicht zusammen ist, die er gar nicht kennt, er hat doch diesen Verantwortungsfetisch und will immer alle Leute glücklich machen. Für ihn wäre es auch total furchtbar, wenn er nicht stark genug ist, irgendso ein naives, junges und dummes Ding zu beschützen - und wenn die beiden sich vorher nicht kennen, gibt es hinterher auch kein böses Blut zwischen ihnen. Und man könnte E. damit ganz nahe an den Punkt seiner größten Schwäche heranbringen, an dem er zerbrechen könnte, weil das bei ihm so offensichtlich ist."
Ich weiß nicht, ob mein Freund bei diesen Worten von mir schluckte oder das Gesicht verzog - er schwieg einfach nur einen Augenblick und hörte sich an, was ich da für kranke Gedanken mit sinnlicher, verträumt-erregte Stimme entwickelte. (Wenn das nicht Liebe ist, dann weiß ich auch nicht...)
"Na ja, wir können heute abend jedenfalls keine anderen Leute einbauen, weil nur wir beide hier sind", meinte er einfach ganz entspannt.
"Du, in einem Rollenspiel kann man manche Sachen ja auch über Telling machen", meinte ich verträumt. "Schläge und die Angst vor noch mehr Schmerzen... Das ist mir viel zu simpel, ich will Sachen haben, die psychisch tricksen und richtig böse sind!"
In meinem Kopf ging ein Film an: Der Gefangene, an die Wand gekettet und schon so lange geschlagen, dass die Striemen an seinem Körper bereits anschwellen, weigert sich immer noch zu reden. Die rauchige, sinnlich-böse Stimme der Agentin, von Kopf bis Fuß in Leder und mit sexy Beretta im Strumpfband, meint: "Okay, wenn ich dich schlage, ist dir das anscheinend völlig egal. Aber... Du hast doch eine kleine Schwester, die noch bei deinen Eltern wohnt, nicht wahr? Sie ist total das liebe Mädchen, und du möchtest sicher nicht, dass jemand ihr wehtut, oder? Ach ja, ich habe herausgefunden, dass deine Schwester auch ein Kaninchen hat, dass sie sehr liebt. Sie wäre bestimmt sehr traurig, wenn das Kaninchen auf einmal krank wird oder qualvoll stirbt, weil jemand ihm winzige Glasscherben ins Futter gemischt hat, oder? Willst du mir nicht doch lieber verraten, was ich wissen will?"
Neuer Absturz
Mein Freund hat keine kleine Schwester, diese Situation wäre völlig fiktiv - und trotzdem brach ich an der Stell meines Kopfkinos in heftigste Tränen aus und nahm die Hand sofort zwischen meinen Beinen fort. Es gibt einfach Dinge auf der Welt, die sind böse und die bleiben böse, und die gehören auch nicht erotisiert!
Mein Freund verstand mein Gestammel kaum, bzw. verstand nicht, was ich meinte, als ich plötzlich immer wieder stammelte "Aber da kann doch das arme Kaninchen nichts dafür!" Er nahm einfach meine Hand. Und als ich dann immer wieder weinte und schniefte "Ich bin so ein böser Mensch, ich wollte, ich wäre tot", da hielt er sie weiter und sagte einfach immer wieder, dass ich eben kein böser Mensch bin und dass wir das Kaninchen einfach in Ruhe lassen werden, und dass wir im Rollenspiel nie wieder irgendwelche anderen fiktiven Menschen auftauchen lassen werden, und dass das Kaninchen wirklich nichts dafür kann, und dass es bestimmt ein sehr liebes Kaninchen ist, und...
Ich glaube, es wird deutlich, dass es für ihn sicher sehr anstrengend war und er da sehr liebevoll und ruhig reagiert hat.
Irgendwann, so ganz, ganz langsam, kam ich wieder zurück auf den Boden. Und ich fragte mich, was für kranke Abgründe ich in meiner Fantasie habe. Ich meine, wo ist der Unterschied zwischen irgendwelchen psychopathischen Killern und mir, wenn mich solche Sachen erregen? Klar, mein Freund sagt, der Unterschied ist, dass ich eben die Grenze kenne und so etwas niemals in der Realität tun würde - und natürlich stimmt das schon.
Aber ich glaube, ich habe immer dann, wenn ich jemanden dominieren möchte, wieder Angst davor, in die Nähe dieser Grenze zu kommen und die kranke Erregung zu verspüren, die von so etwas für mich ausgeht. Von "Spielen" wirklich im Grenzbereich, in denen Menschen an den Punkt gebracht werden, an dem sie zerbrechen können, an dem sie Entscheidungen treffen müssen, die niemand jemals treffen sollen müsste, an denen alles von ihnen abfällt, was Kultur und Zivilisation ihnen aufgepfropft haben, und nur noch der absolute Kern ihres Wesens übrigbleibt... Sei es durch psychische, sei es durch physische Folter...
Gar nicht mal, weil ich sie wirklich zerbrechen möchte, ist mir klar geworden, sondern deswegen, weil ich das, was einen Menschen tief im Innersten zusammen hält, heilig und wunderschön finde und in einer Session alles beiseite fegen möchte, was mich daran hindert, diesen innersten Kern von jemanden zu sehen. Ich will ihn nicht zerbrechen - sondern an den Punkt bringen, an dem er zerbrechen könnte und selber feststellt, dass er nicht zerbricht - und sich danach stärker, schöner und wahrer fühlt.
*
Egal. Es ist trotzdem eine ganz, ganz böse Fantasie, dieses "Menschen an den Punkt des Zerbrechens bringen, indem man ihnen alles nimmt, was sie menschlich macht". Das Ziel ist vielleicht ein schönes - aber es ist wirklich verabscheuungswürdig, finde ich, und ich kann es wirklich nicht damit unter einen Hut bringen, was für ein Mensch ich selbst sonst bin.
Es ist fast so, als ob dort, wo mein innerster Kern ist, eben etwas ganz und gar verabscheuungswürdiges verborgen ist, das darauf wartet und lauert, hervorzubrechen...
Meine Frage:
Bin ich die einzige, der das so geht, die deswegen immer wieder Angst davor hat, die erste Linie von Frau zu Domme zu überschreiten, weil sie damit zu nahe an die zweite Linie herankommt, die die Grenze zwischen Domme und Monster ausmacht? Oder geht es auch anderen so?
Wie kann man damit umgehen, dass man zwar sehr gerne manchmal Domme ist, aber dieser zweiten Linie lieber fern bleiben will - wenn doch gerade Spiele im Grenzbereich eine ganz besondere und dabei so abgrundtief gruselige Faszination auf einen ausüben?
Wie kann man allgemein damit umgehen, wenn man entdecken musste, dass in der eigenen Psyche Abgründe schlummern, die einen selbst fast schon in eine Reihe mit Menschen stellen, die die gemeinsten Dinge verbrochen haben, die man sich selbst bei wachem Verstand ausmalen kann, indem sie die Würde eines Menschen zerstören?