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Esma

****na Frau
1.228 Beiträge
Themenersteller 
Esma
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„Sie haben seine Frage verstanden?“ flüstert der Anwalt. Die Mandantin entweicht seiner Berührung in Richtung Mikrophon und sagt: „Ja, Herr Vorsitzender.“
„Dann schließe ich die Sitzung. Die nächste findet am Dienstag um 9 Uhr statt.“
Der Gerichtszeichner hat vier Skizzen angefertigt. Keine gefällt ihm. Missgelaunt packt er zusammen und verlässt den Saal. Die Journalisten in den hinteren Reihen warten mit dem Gehen, bis die Angeklagte hinausgeführt wird.

Das Klirren des Schlüsselbundes, den die Wärterin, die hinter ihr geht, locker in der Hand hält, löst die Spannung. In der Zelle ist es still. Wenn der Prozess erst vorbei ist und das Urteil gefällt, wird sie immer in der Stille sein. Der Schmerz wird sie verlassen haben wie zuvor die Schwester. Sie wird irgendeine Esma sein in einem Gefängnis irgendwo in Deutschland.

Am 11. Juli 2005, einem Dienstag, befragt man sie zur Sache. Warum sie Radko Boban getötet habe, will der Richter wissen, aber die Beklagte fühlt sich nicht gut. Kaum sagt sie: „Ich...“, wird sie bewusstlos und die Verhandlung unterbrochen. Entschuldigend wirft ihr Anwalt die Worte „Jahrestag“ und „Massaker“ hinüber zur Richterbank. Man einigt sich zu vertagen.

Auf dem Sims ihres Zellenfensters turteln zwei Tauben. Das laute Gurren hat sie geweckt. Wie Zungen einer Waage heben und senken sie die Köpfe. Ihre Schnäbel berühren sich. Ohne den Blick abzuwenden, löst Esma ihr langes schwarzes Haar. Wie klein eure Adamsäpfel sind, tanzen auf und ab. Zweifach legt sie den Schopf um ihren Hals wie einst bei Leyla. Als die rechte Taube die andere im Halbkreis umflattert, huscht Esma zum Fenster und verscheucht die Vögel, die fernab aufeinander zufliegen und gemeinsam gen Osten.

„In welcher Beziehung standen Sie zu Radko Boban?“
„In keiner. Er war ein Kriegsverbrecher.“
„Aber Sie kannten ihn persönlich?“
„Ja.“
„Waren Sie eines seiner Opfer?“
„Nein.“
Die Beklagte greift zum Wasserglas und schaut hinüber zum Zeichner. Langsam trinkt sie es halbleer. Das Kratzen des Kohlestiftes zerschabt die Stille. Sein Blick wechselt rasch zwischen seinem Zeichenblock und der Frau mit dem Glas.
„Warum töteten Sie ihn dann?“
„Ich nahm sein Leben für das meiner Schwester.“
„Sie hätten seinen Aufenthaltsort der Polizei melden müssen. Sie wussten doch, dass er mit Haftbefehl gesucht wurde!“
„Ich hätte auch gegen den Wind atmen können.“ Der Zeichner hält inne, für einen Moment auch der Staatsanwalt, bevor er sagt: „Ihre Tat wird Sie für Jahre ins Gefängnis bringen.“

Zuhause angekommen, legt Heitmann die Skizzenblätter auf den Tisch. Das erste gefällt ihm, darauf hebt Esma das Glas und sieht in seine Richtung. Nachdem er zu Abend gegessen und den Abwasch erledigt hat, kehrt er zum Zeichentisch zurück, um die Blätter zu kolorieren. Als das Wasserglas-Bild trocken ist, schreibt er Die Lügnerin darunter. Dieses wird er behalten, die anderen an die Zeitungen schicken.

„Bitte erzählen Sie uns von den Ereignissen in Srebrenica 1995“, fordert ihr Anwalt sie auf.
„Ich liebte meine Schwester wie eine Mutter. Die meisten Dinge taten wir gemeinsam. Uns ging es gut. Wir lebten auf einem Hof, hatten reichlich zu essen. Bis der Krieg begann. Statt «dreckige Bauern» nannten sie uns «stinkende Moslems». Leyla war siebzehn, ich neunzehn. Wie die anderen flohen wir in der Julihitze von Srebrenica zur Schutzzone nach Potocari. Auf dem Weg dorthin starb unsere Mutter. Wir verscharrten sie im Wald. Den Vater haben sie später zusammen mit anderen Männern in einen Bus gesetzt. Leyla und mich brachten sie in eine Schule, wo sie ihr Lager errichtet hatten. Am Abend führten sie uns in Bobans Zimmer. Er sagte: «Eine von euch wird sterben, wenn ich mit ihr fertig bin, die andere lasse ich gehen. Einigt euch, welche leben soll.» Leyla weinte. Ich hielt sie im Arm. «Lass meine Schwester gehen», sagte ich ihm. Leyla bettelte: «Verlass mich nicht!» Ich drückte sie an mich, küsste sie. Da gab Boban den anderen Soldaten ein Zeichen. Sie trennten uns, zerrten mich aus dem Zimmer. Ich hörte Leylas Schreie die ganze Nacht.“

Als sie ihre Zelle betritt, sieht sie einen Brief auf dem Tisch liegen. Die Handschrift befremdet sie, aber auf der Rückseite erkennt sie ihr Gesicht, skizziert mit wenigen Strichen. Herr Heitmann bittet darum, sie sehen zu dürfen, allein, um sie zu zeichnen, nicht im Gericht, wo sie unter Spannung stehe. Am nächsten Tag im Sitzungssaal sucht sie seinen Blick und weist mit einem Kopfschütteln seine Bitte zurück.

Zwei Wochen später wird Esma Čengić zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt. Man könne ihr kaum etwas zu Gute halten, weil sie nur das Nötigste erzählt und das psychiatrische Gutachten abgelehnt habe. Am Ende stehe ihre Tat, ein Mord, für sich. Allein das Geständnis sei strafmildernd in das Urteil eingegangen. Ich nehme es für Leyla, denkt Esma und senkt den Kopf.

„Besuch für Sie.“
„Wer ist es?“
„Ein Herr Heitmann.“
„Ich möchte ihn nicht sehen.“
„Er hat ein Geschenk und will es persönlich übergeben.“

Sie kann sich kaum an sein Gesicht erinnern oder an ein anderes aus der Verhandlung. Seit dem Urteil vor elf Monaten lebt sie in der Vergangenheit, ein gutes Leben.

„Schön, dass Sie gekommen sind“, sagt Heitmann.
„Was wollen Sie?“
„Ihnen dieses Bild schenken.“ Er greift hinter sich und reicht ihr die Rolle, die Esma mit einem Kopfnicken entgegennimmt. Bevor sie sich zur Tür wendet, dankt sie Heitmann, der gehofft hatte, ihr Gesicht zu sehen, wenn sie das Bild betrachtet.
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© Ozeana (2008)
********rlin Frau
4.012 Beiträge
Wow.
Zwischendrin dachte ich sie würde sich mit ihrem eigenen Haar erhängen. Was für eine starke Frau und was für eine entsetzliche Geschichte
*******ant Frau
27.348 Beiträge
Sehr vielschichtig und sehr heftig.
Anteil nehmen und Anteil haben wollen-
ein verdammt schmaler Grat.

Ich bin mal so frei und lade @*******nik ein, dessen letzte Geschichte ich gerade vor deiner gelesenen habe.
Danke für diese Erzählung, die in ihren Bahn zieht obwohl sie ganz ohne reißerische Elemente auskommt.
Wie traurig, dass der Friedensgedanke nicht siegt und Verbrechen dieser Art nicht aussterben, wie einst die Dinosaurier.
*******nic Mann
388 Beiträge
Zitat von *******ant:
Ich bin mal so frei und lade @*******nic ein, dessen letzte Geschichte ich gerade vor deiner gelesenen habe.
Zum Lesen der Erzählungen von Ozeana muß ich nie eingeladen werden *zwinker*

Manchmal ist nur der Blick auf die Peripherie aushaltbar. Und selbst dort lauern Dornen und Dunkelheit.

Es gibt Geschichten, die kann ich nur im Stillen in mich aufnehmen, mir fehlen dann ein wenig die Worte.
In dieser Schere zwischen kunst-handwerklichem (sic) Autorinnenvermögen und dem dramatischen Schwergewicht des Erzählten finde ich nichts angemessenes, was ich äußern könnte.

Bei allem gern zugestandenen libidinösen Hedonismusbedürfnis, das sich in JC personell mit angeblich ~3.7mio konzentriert: Bedauerlich ist, daß solche literarischen Ausnahmeperlen nicht mehr Anerkennung erfahren und der Sympathiezähler einstellig stagniert.

Thomas
********rlin Frau
4.012 Beiträge
Der Zählerstand mag vielleicht ein wenig auch dem Entsetzen geschuldet sein, welches vielleicht nicht nur mich beim Lesen ergriffen hat.

Ich vergebe allerdings MEINE Komplimente nicht für "Leichtigkeit" des Inhalts, sondern sehr viel häufiger für Erzählkunst.

Komplimente sind auch nur für Premiums unbegrenzt... auch das mag ein Grund sein für "mangelnde Anerkennung"
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