Beim Sexting oder „online-Sex“ oder wie auch immer wir es nennen wollen, ist es wie mit allem im Leben. Austern etwa. Für die eine bei der ersten genossenen eine kulinarische Offenbarung, für den anderen erzeugt allein der Gedanke daran Würgereiz. Oder Rosenkohl. Aufgewachsen mit verkochter bitterer Pampe steht fest: Mag ich nicht. Bis zu dem Tag, da plötzlich ein perfekt gegartes Röschen auf dem Teller liegt, Röstaromen verführerisch in der Nase kitzeln und die Textur des Gemüses mit ausgewogenen süß-salzig-bitteren Aromen im Mund Hochzeit feiert.
Für mich kann ich sagen, dass es eine Bereicherung darstellt, seit vielen Jahren. Allerdings nie spontan, mit vollkommen unbekannten Menschen. Wobei unbekannt sich hier nicht zwingend auf die konkrete Begegnung im sogenannten „RL“ bezieht. Je besser ich das Gegenüber kenne, die Trigger, die Fantasien, die Grenzen, auch und besonders sprachlicher Natur, umso leichter gelingt es eine erotische Situation zu kreieren. An konkrete Erfahrungen anzuknüpfen, gemeinsam erlebt oder vertrauensvoll mitgeteilt, kann ebenfalls hilfreich sein.
Mit Worten jonglieren, ob geschrieben oder gesprochen, macht mir einfach Spaß. Das Gegenüber auf eine Reise einladen, mit verschriftlichten Gedanken allein oder zusätzlich meiner Stimme, dabei mit dieser spielen, sie modulieren, tiefer legen, sonorer werden lassen, sanft dahinplätschern lassen, flüstern, Worte hauchen, der Möglichkeiten sind viele.
Neulich las ich einem mir sehr lieben Menschen im Rahmen eines lustig-erotischen Telefonats aus einem Großhandelskatalog vor. Sie kringelte sich vor Lachen und sagte doch, dass allein die Stimmlage und die Intonierung nicht ohne Wirkung auf ihre Lustzentren blieben.
Über 15 Jahre hatte ich einen sehr regelmäßigen, rein schriftlichen Kontakt mit einer Frau, der mehr oder weniger ausschließlich in Bürozeiten stattfand. Über diese lange Zeit entwickelte sich ein sehr außergewöhnliches Vertrauensverhältnis und detailliertes Wissen und Verständnis.
Sicher, diese Dame war über die Maßen empfänglich für Sexting, lebte in einer D/S-Beziehung, woran sich online sehr gut anknüpfen ließ. Ihr Partner wusste um den Kontakt, konnte jederzeit mit- oder nachlesen, wenn er wollte.
Die Interaktionen führten zu den erstaunlichsten Ergebnissen bei ihr, die Außenstehende für die Hirngespinste eines „Tastenwichsers“ halten würden. Wobei mir letzteres fern liegt, der Kick bestand für mich eher im Verführen und Führen, bewegte sich also auf einer mentalen Ebene.
Fazit: Für mich ist „guter“ online-Sex real und basiert im Wesentlichen auf Vertrautheit und Vertrauen. Dafür braucht es Zeit, Offenheit und ganz unbedingt Interesse am Gegenüber, das sich nicht ausschließlich auf den Austausch „schmutziger“ Worte und Fantasien begrenzt.
Und nein, meine Einlassung ist in keinem Fall eine Bewerbung zwecks Bekehrung von Menschen, die immer schon mal ihr Rosenkohltrauma bearbeiten wollten.
In diesem Sinne: Es lebe die Vielfalt, beerdigt die Einfalt.