Sanduhr
SanduhrDer Bleistift liegt ermattet neben den verbliebenen fünf, sechs Bögen Papier.
Vor ein paar Minuten stand ich auf dem Balkon nach Westen, der Nachtwind will nicht zur Ruhe kommen und schüttelt die Zweige des Weihnachtsbaumes durch, den ich nicht wegräumen mag. Ist es die Angst, daß auch damit ein kleines Kapitel unwiederbringlich zu Ende gehen würde?
Über den Hof sind drei Fenster noch beleuchtet, und hinter einem beobachte ich den Nachbarn, dessen Namen ich nicht kenne, auf einem Sofa, das seine besten Tage schon hinter sich hat. Wie bestimmt man den Moment, in dem man merkt, daß die besten Tage nicht mehr kommen werden?
Gestern Nacht saß ich und schrieb, und ob es Belanglosigkeiten waren oder Bedeutungsvolles, ist heut schon gar nicht mehr so unterscheidbar. Mein Sohn konnte nicht schlafen, etwas hatte ihn beschäftigt, und wie dankbar war ich dafür, mit welchem Vertrauen er seinen kleinen, warmen Körper in meine Arme schmiegte und sich unter dem Schlafanzug über seinen schmalen Rücken streicheln ließ. Seinem "Du bist der beste Papa der Welt" stand ich hilflos gegenüber, wischte mir eine Träne aus dem Augenwinkel. "Warum küssen sich die Erwachsenen, Papa?"
Ich weiß nicht, ob ich soviel schenken kann, wie ich bekomme.
Die Zeit rennt, und die Zweifel, ob ich Schritt halten kann, wachsen. Ich möchte Apfelbäumchen pflanzen, noch ein paar, wenn es geht.
Was wirst Du fühlen, wenn Du meinen Brief erhältst?