Armut trotz Arbeit – und wie grundsätzlich gegensteuern?
[an's Erklärbärchen]bitte nach OT verschieben - danke
[/an's Erklärbärchen]
Moin,
angeregt durch ein gutes Gespräch die letzten Tage möchte ich hier einmal ein neues Thema eröffnen und Eure Meinung dazu lesen. Es geht um „Armut trotz Arbeit“…
Mit „Armut“ ist jetzt nicht die Armut im klassischen Sinne gemeint, also Hunger, Not und Elend, sondern „Armut“ soll eher den Zustand beschreiben, der es beispielsweise einer Person oder Familie erschwert, am üblichen sozialen Leben teilzunehmen.
Zwei Beispiele hierzu:
Nehmen wir eine alleinerziehende Mutter mit schulpflichtigen Kindern. Die Mutter hat eine Teilzeit-Arbeitsstelle und bekommt beispielsweise noch ergänzende Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes vom Staat. Egal, wie sie sich dreht oder wendet, das Geld ist immer vor dem Monatsende alle. Stehen beispielsweise Schulausflüge oder Klassenfahrten an, gibt es jedes Mal große Probleme, von irgendwelchen Stellen dafür Zuschüsse zu bekommen – schließlich soll das Kind ja nicht von solchen Veranstaltungen ausgeschlossen sein. Eine fällige Reparatur am Auto wird so lange aufgeschoben, bis der TÜV droht und die Kinder wachsen schneller aus den Klamotten heraus, als neue bezahlbar wären. Stellen wir uns jetzt noch vor, dass die Mutter einen Job hat, der sie im Krankheitsfall ohne Lohnfortzahlung zurücklässt – was dann?
Anderes Beispiel: Ein Selbständiger ackert wie blöde – immer in dem Hoffen und der Angst, nur ja keinen Folgeauftrag zu verpassen. Seine Lieferanten bestehen auf sofortiger Zahlung, seine Kunden lassen sich Zeit mit dem Begleichen seiner Forderungen. Für Außenstehende schwimmt er im Geld, da ja jeden Monat tausende von Euros auf seinem Konto hin- und herwandern. Was Außenstehende dagegen nicht sehen, ist, dass summarisch oft nur genau so viel auf seinem Konto übrig bleibt, wie bei der alleinerziehenden Mutter – mithin liegt hier auch eine Form von Armut vor.
Wie würdet Ihr mit dieser Problematik umgehen, falls ihr betroffen wäret – bzw. wie geht Ihr damit um, falls Ihr betroffen seid?
Ein weiterer Gedanke, der mir gerade beim Schreiben dieser Zeilen kommt: Kann man es einer solchen Mutter noch verdenken, wenn sie irgendwann zur Schlussfolgerung gelangt: „Wozu überhaupt noch arbeiten? Für die paar Euro kann ich auch gleich ganz zu Hause bleiben.“ Wer will da dieser Mutter noch sinnvolle Argumente liefern, warum es sich dennoch lohnt, sich im Gast- oder Reinigungsgewerbe aufzureiben? Wer nimmt dem Selbständigen seinen berechtigten Unmut über große Konzerne, die staatliche Subventionen einstreichen, um damit ganz legal Arbeitsplätze zu vernichten, während sich Finanzamt, Krankenkassen, IHK, Kommune, etc. von ihm das holen, was sie den Großen hinterherwerfen? Die permanente private Nutzung seines Firmen-PKWs wird wie selbstverständlich unterstellt, während andere mit dem Jet und Gespielin auf Firmenkosten in die Sonne düsen. Die einen handeln eindeutig kriminell und ihnen geht’s gut dabei – er handelt ehrlich und wird kriminalisiert. Wann fängt er an zu denken „Ab jetzt fange ich auch an zu betrügen.“?
Ist das nur ein gesellschaftliches Problem dieser Tage, dessen wir uns erst jetzt so richtig bewusst werden, weil die „kuscheligen Zeiten“ des Modells „Soziale Markwirtschaft“ nun wirklich spürbar und unwiderruflich zu Ende gegangen sind? Oder gab es dieses Problem schon immer und es wird nur jetzt wieder so richtig deutlich? Fördert der Staat „falsch“?
Ich für meinen Teil denke, dass der Staat zwar genügend Fördermittel hat und auch einsetzt, diese aber leider nicht immer ganz richtig verteilt. Es wird mir zu viel nach dem „Gießkannen-Prinzip“ „gefördert“ und zu wenig wirklich sinnvoll nachgedacht, wie gezielt gefördert werden könnte. Wenn ich beispielsweise sehe, dass Elternteile für das Fernbleiben vom Arbeitsplatz „entlohnt“ werden, anstatt dass diese Gelder in Kindergärten oder Vorschulen gesteckt werden, dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Erstens: Welcher Elternteil kann nach längerer Abwesenheit aus dem Job wieder problemlos ins Berufsleben wechseln und zweitens: Das Anrecht auf einen Kindergartenplatz ist zwar verbürgt, was nützt das aber, wenn der Platz für manche schlichtweg nicht bezahlbar ist? Und… alle reden vom PISA-Schock und den Nachteilen, die dem Standort Deutschland entstehen, wenn nicht genügend in den Bereich Bildung investiert wird. Bildung fängt aber nicht erst mit der Einschulung an – die Förderung ist schon vorher wichtig und notwendig. Und mit Förderung meine ich jetzt nicht das Erlernen der zweiten Fremdsprache ab dem dritten Lebensjahr – eher schwebt mir da eine schwerpunktmäßige Vermittlung und Förderung von sozialen Kompetenzen vor.
Das ist nur ein Beispiel unter vielen, es zeigt aber, dass irgendetwas schief läuft im Staate Deutschland. Liegt es daran, dass eine Gesellschaft irgendwann einen Organisationsgrad erreicht, der sie nicht mehr sinnvoll organisierbar macht? Oder liegt es daran, dass es seit gut 25 Jahren den Typ des Berufspolitikers gibt, der im „wirklichen Leben da draußen“ nicht mehr verhaftet ist und zu wenig Kompetenz für die Wahrnehmung von Realität besitzt?
Sorry für diesen etwas lang geratenen und mitunter auch von der Gedankenstruktur her etwas sperrigen Text, aber ich denke, dass es sinnvoller sein kann, sich einmal etwas weitergehende Gedanken zu machen, als immer nur auf die Ausländer oder die bösen globalen Konzerne zu schimpfen.
Meiner Meinung nach kann ein Umdenken nur bei jedem Einzelnen einsetzen und dann zum Erfolg führen, wenn genügend „kritische Masse“ von „Andersdenkenden“ vorhanden ist, um innerhalb demokratischer Strukturen dann auch zu einem Umdenken an der Spitze zu gelangen. Vielleicht wäre es ein guter Ansatz, wenn es viele schaffen könnten aus der momentanen „kollektiven Schwermut“ auszubrechen und wenn jeder einzelne eine positivere Grundhaltung an den Tag legen und auch leben würde. Kampagnen wie „Du bist Deutschland“ sind zwar lieb gemeint, können aber nicht alles sein.
Gruss
Flloyd