Wow - ein ganz großes thematisches Faß und ich bin froh dass es immer öfter in vielen Bereichen aufgemacht wird. Und möchte gerne meine Perspektive beitragen.
Aus meiner Sicht ist das ein transgenerationales und gesamtgesellschaftliches Problem. Da geht es nicht nur um die persönliche Entwicklung des einzelnen Menschen sondern um Strukturen die zum Teil über Jahrhunderte entstanden sind und die wir gar nicht mehr bemerken weil wir sie quasi mit der Muttermilch aufgesogen haben. Ein wunderbarer podcast zu diesen STrukturen mit dem besonderen AUgenmerk auf den Zusammenhang zur SExualität den ich regelmässig verfolge ist der von Christina Sogl "Lebensliebeslust"
https://www.podcast.de/podca … ust-mit-leib-seele-verbunden .
Und was ich auch immer wieder erlebe in meinem persönlichen Umfeld ist das was als "transgenerationales Trauma" bezeichnet wird: die Auswirkungen die 2 Weltkriege in jedem einzelnen hinterlassen der sie mitmachen musste oder danach geboren wurde. Ich kann das sowohl in der eigenen Familiengeschichte gesehen in der ich letztes Jahr geforscht habe als auch in den Familiengeschichten in meinem weiteren Umkreis. Fange ich an von meiner eigenen Geschichte zu erzählen, dh von den Ereignissen die ich so mit meinen Eltern erlebt habe und erlebe (meine Mutter ist wandelnde deutsche Geschichte: mit 12 mit ihren 2 Schwestern aus Ostpreußen übers zugefrorene Haff geflüchtet, Tickets für die Gustlow gehabt die dann doch ungenutzt blieben sonst würde ich nicht hier schreiben, erst in Bayern gelandet und von den eigenen Landsleuten als Flüchtlinge gehasst und möglichst schnell weitergereicht worden nach Schleswig-Holstein wo es nicht besser war usw usw ) erzählen auch meine Gegenüber zwischen 40 und 60 von denselben Erlebnissen.
Und last but not least meine ganz "persönliche" Geschichte die gar nicht mehr so persönliche ist eben weil sie durch die Generationen weitergereicht wird ist das was erst seit einigen Jahren in der Psychologie überhaupt untersucht wird und noch gar nicht so lange in der Öffentlichkeit in Form von podcastss beleuchtet wird ist das was als "Entwicklungstrauma" bezeichnet wird. Es kommt erstmal so unscheinbar und unwichtig daher: was macht es schon das Baby schreien zu lassen? Gibt doch eine gute Lunge und so lernt Baby gleich dass es nicht Chef der Familie ist. Machen die anderen doch auch und sowieso hat das noch niemandem geschadet.
Tatsache ist aber, dass ein Baby sich nicht anders äußern kann als durch schreien und wenn die Herde es in der Wildnis liegen lässt und sich niemand drum kümmert wird das Baby sterben. Das immer lautere Schreien ist ein Ausdruck von Todesangst und gräbt sich tief in das noch im Entstehen begriffene Nervensystem ein. Noch nicht mal Worte sind vorhanden. Die Folgen dieses erfahrenen Traumas sind vielfältig und sehr individuell. In meinem Fall: ich kann meine Gefühle schlecht wahrnehmen weil ich sie Jahrzehnte unterdrückt habe und wenn ich sie jetzt wahrnehme kann ich sie meist erstmal nicht benennen. Ich habe Schwierigkeiten mit Nähe - sehne mich nach nichts mehr, kann sie aber nicht/schlecht annehmen wenn sie in meinem Leben auftaucht. Ich agiere als wäre ich allein auf dieser Welt, dh ich frage nie um Hilfe denn sie kommt ja sowieso nicht. Und ich vertraue niemandem ausser mir - der Rest der Herde hat mich ja als Baby in der Wildnis liegen lassen. Ist also kein Verlass drauf.
(Wer sich näher mit dem Thema beschäftigen will dem empfehle ich wärmstens die youtube-Kanäle von Dami Scharf und Verena König sowie von Mariel Kiebgis das Buch "Berührung - Warum wir sie brauchen und wie sie uns heilt".)
Um den Kreis zu schliessen: wie wirkt sich das zb in tantrischen Veranstaltungen aus?
Am offensichtlichsten für mich in den großen Runden in denen jeder seinen emotionalen Zustand teilen darf wenn er/sie möchte. Die habe ich bis vor kurzem meistens so erlebt: in der ABschlussrunde teilen alle mit "Oh, das war so ein wundervoller Tag, so harmonisch und ich fühle mich sooooo verbunden!!!". Ich sass dann da, hatte ein Gefühl von "Ich weiss ja nicht wo DU warst, aber offensichtlich nicht auf derselben Veranstaltung wie ich" und fühlte ein wages Gefühl von Unbehagen und "nicht dazu gehören", äußerte das aber nicht sondern sagte etwas ähnliches um bloß nicht aufzufallen (Tarnmodus als Coping-Strategie mit den Entwicklungstrauma-Folgesymptomen). Nähe oder gar VErbundenheit zu fühlen - für mich bis vor 1 Jahr unmöglich.
Und diese gemachten Erfahrungen betreffen nicht nur mich sondern unendlich viele Männer und Frauen. Und da wundert es mich so gar nicht, dass es mit der "emotionalen Offenheit" (Selbsterkenntnis, Persönlichkeitsentwicklung usw usw) nicht zum Besten bestellt ist. Weder in tantrischen Veranstaltungen noch in Beziehungen jedweder Art (Freundschaft, Arbeit, Politik usw).
Ich bin dennoch unendlich dankbar Tantra für mich entdeckt zu haben denn es bietet für mich eine Möglichkeit das bisher emotional und körperlich nicht gelernte nachzulernen und zu üben. Immer in dem Bewusstsein, dass es den anderen Teilnehmern vermutlich nicht viel anders ergangen ist in ihrer frühen Kindheit als mir.