„Dann habe ich noch eine Anschrift einer Privatpraxis, die Anhand von mehreren Gesprächen die Diagnostik durchführen. Allerdings arbeiten dort nur Psychotherapeuten, die ja nur sehr begrenzt Diagnosen ausstellen dürfen. Mir ist schon sehr daran gelegen, eine fundierte Diagnose zu erhalten.
Stop! Es ist nicht entscheidend, ob die Diagnose von einem ärztlichen Psychiater oder von einem psychologischen Psychotherapeuten gestellt wird, sondern es geht darum, ob der-/diejenige sich gut mit ADHS auskennt! Es gibt inzwischen verbindliche Leitlinien, die für die Behandlung, aber auch für eine Diagnoseerhebung gelten und an die sich alle, die diagnostisch in diesem Bereich arbeiten, zu halten haben. Lediglich wenn es um Medikamente geht, dürfen diese ausschließlich von ärztlichem Personal verordnet werden.
Wenn Du Dich bereits mit ADHS-Literatur befasst hast, wirst Du wissen, dass z.B. Cordula Neuhaus, die mehrere wegweisende Bücher zu ADHS veröffentlicht hat, eine anerkannte Spezialistin auf dem Gebiet ist. Sie ist keine Ärztin, sondern Psychologin, hat sich aber auf ADHS spezialisiert. Ich selbst habe meine Diagnose mit 51 Jahren bei ihr bekommen, musste diese allerdings privat bezahlen, da sie nicht über die Krankenkassen abrechnen konnte, und das kostete damals so um die DM 550.-, das war es mir aber wert. Dafür musste ich an zwei Tagen antreten, wo eine ganze Reihe unterschiedlicher Tests (von bei ihr angestellten Psycholog*innen) durchgeführt wurden, und drei Wochen später dann noch zu einem Gespräch, bei dem sie mir persönlich die Diagnose schriftlich vorlegte und mit mir durchsprach und meine Fragen beantwortete.
Nachdem ich die Diagnose hatte, habe ich mich umgehend um eine entsprechende Selbsthilfe-Gruppe bemüht und dort 5 Jahre aktiv mitgearbeitet (Treffen je einmal monatlich, diverse gemeinsame Aktionen und Infoveranstaltungen), dafür musste ich jeweils 1 Stunde Autofahrt einfach auf mich nehmen, aber das empfand ich als sehr lohnend, weil man sich dort nicht ständig erklären muss, sondern unter lauter Menschen ist, die ähnliche "Macken" haben, wie man selbst, oder Kinder, die betroffen sind, und wissen, wovon man spricht. Dabei habe ich auch viel über Medikamentierung und andere Therapiebausteine erfahren und wie unterschiedlich sie bei unterschiedlichen Personen wirkten. Dadurch bekam ich eine gute Basis, um später selbst einmal einen Medikamentenversuch zu starten, dann natürlich auf ärztliche Verschreibung.
Es stellte sich allerdings heraus, dass ich selbst bereits ganz gute Coping-Strategien entwickelt hatte, um mit meinen speziellen Defiziten sinnvoll umzugehen. Dennoch war die Diagnose für mich wichtig, weil sich rückblickend viele Ereignisse in meinem Leben in einem anderen Licht zeigten, das wesentlich weniger negativ war, als bisher subjektiv empfunden.
Also, wenn Du bei der genannten psychotherapeutischen Privatpraxis ankommst, informiere Dich, ob sie sich mit ADHS auskennen oder gar darauf spezialisiert sind, und wenn das der Fall ist, kannst Du ohne Bedenken hingehen und erhältst auch dort eine seriöse Diagnose. Mit der in der Hand bekommst Du dann mutmaßlich auch schneller einen Termin beim Psychiater, wenn es um eine medikamentöse Einstellung geht.