Vielen Dank für die vielen interessanten Aspekte zum Thema Absichtslosigkeit.
Desto mehr ich über Absichtslosigkeit nachdenke, umso verwirrter werde ich. Folgt die Natur einer Absichtslosigkeit -- im Sinne einer Zufälligkeit, oder ist Absicht nicht vielmehr gerade deshalb da, damit sich alles frei entfaltet?
Sind Vögel absichtslos (jemand schrieb, nur der Mensch kenne eine Absicht)? Und was macht der Vogel, wenn er Hunger bekommt. Er findet einen Wurm und tötet ihn. Oder er streitet sich mit einem anderen Vogel um diesen Leckerbissen. Darin sehe ich eine Absicht, wenn auch eine vielleicht unbewusste. Wobei ich zugeben muss, nur wenig zu wissen, was wirklich in einem Vogel vor sich geht. Vielleicht hat er sich längst abgefunden in seiner Nicht-Absichtslosigkeit.
Es gibt eine biblische Absichtslosigkeit, im Sinne des Christlichen Imperativs: "Dein Wille geschehe!" Hier wird die Absichtslosigkeit auf ein Wesen übertragen, dem man eine Absicht zutraut und das die Kraft hat, fremdes Leben zu lenken. Dieser Fatalismus wird auch im hinduistischen Glauben praktiziert. Aber leben die Menschen nun glücklicher dank dieser glaubensbedingten Absichtslosigkeit?
Mir scheint, Absichtslosigkeit muss bedingungslos erfolgen, sonst kann sie nicht funktionieren. Ich bin gerne absichtslos, wenn mein Wille ohnehin geschieht, aber wenn Konflikt auftaucht -- nicht nur aus Sicht des Wurms, wenn jemand nach mir, meinem Leben oder meinen Besitztümern trachtet, dann lege ich doch eine ordentliche Absicht an den Tag. Da wäre schon viel Vertrauen vonnöten, mich weiter absichtslos zu zeigen (etwa als Wurm im Schnabel des Vogels).
In der Theorie kann ich der Absichtslosigkeit etwas abgewinnen. Aber in der Praxis? Ich wache Morgens auf, muss zur Arbeit, aber ich bliebe lieber im Bett liegen. Wie entscheidet der wahrhaft Absichtslose? Oder ein anderes Beispiel, ich sehe mein Kind stundenlang am PC sitzen und ballerspielen. Es sollte auch mal an die frische Luft, finde ich. Wie kann ich ihm das absichtslos vermitteln? Oder noch ein Beispiel: Ich habe Essen gekocht und erwarte meinen Liebsten am Abend. Nun ruft er an und sagt ab, leider. Wohin mit meiner Enttäuschung, die ja nun ganz sicher meinem absichts
vollem Handeln entsprungen ist?
Beim Sex spüre ich einen starken Drang "nach vorn." Eigentlich Richtung Orgasmus. Das muss wohl so sein, denke ich, denn der Fortbestand des Menschen hängt von unserer Triebhaftigkeit ab. Andererseits ist es aus und vorbei mit dem schönen Gefühl, sobald einer der Partner einen Orgasmus bekommt. Die Energie hat sich im Höhepunkt verausgebt und jetzt muss wieder Abstand gewonnen werden, damit eine neue Aufladung beider Pole überhaupt die passende Anspannung wieder hervorbringt. Unter diesem Aspekt wäre es blöd, beim Sex überhaupt einen Orgasmus zu kommen, wie ich meine. Dann doch lieber den Erregungsanteil in die Breite ziehen, also keinen Höhepunkt, dafür mehr Tiefe.
Mit der Ziellosigkeit käme ich nicht zurecht. Spätestens abends, wenn ich müde werde, habe ich mein Bett als Ziel. Oder wenn ich Hunger habe, steuere ich den Kühlschrank an. Wenn ich Single bin, steuere ich eine Partnerschaft an.
Und alles ist teuer. Wie kommt das Essen in den Kühlschrank, wie kommt die neue Wohlfühlkleidung zu mir, wenn ich mal wieder aus meinem Typ etwas (zielgerichtet?) machen will. Dann geht der Zielgerichtete arbeiten und da will ich mal "Begegnen-und-treiben-lassen" sehen.
Oder sind alle nichtzielgerichteten absichtslosen Menschen in einer tantrisch hohen Stellung, aus der heraus sich finanziell wunderbar leben lässt?
Oder wird da etwas weggeblendet -- ganz nach dem Motto: "Dankbar sein für alles, was es mit sich bringt, und sei es den Konflikt?" Ich kann das, glaube ich, nicht. Ich bleibe zielgerichtet und unabsichtslos.
Herzliche Grüße,
von Vajra