L’ été indien
Geburtstag in Kanada
Wir schreiben den 28. September, ein wunderschöner sonniger Tag im Spätsommer, den die Einheimischen hier liebevoll „L’ été indien“ nennen. „C'était l'automne, un automne où il faisait beau. Une saison qui n'existe que dans le Nord de l'Amérique.
Là-bas on l'appelle l'été indien… »
Wir sind stundenlang durch rotglühende, faszinierende Wälder gefahren und kommen nahe beim Sequoia-Nationalpark an. In einem weiten Tannenwäldchen stehen mehrere Dutzend Wohnmobile. Vorsichtig verlassen wir den Camper, um uns in der Rezeption anzumelden, denn wir wollen deinen Papa nicht wecken, der vor lauter Erschöpfung auf seinem Sitz eingeschlafen ist. Schließlich haben wir ihm diese Reise zu seinem 75. Geburtstag geschenkt, damit er sich einen seiner manchen unerfüllten Lebenswünsche noch erfüllen kann. Der Flug war bereits anstrengend, und die bisherigen Tage haben ihn bei aller Faszination auch manche Kraft gekostet.
Man teilt uns eine schöne große Parzelle zu, in deren Nachbarschaft bisher nur ein Mobile home eingetragen ist, lassen uns die Kabel und Anschlussadapter geben. Ich erledige den Verwaltungskram und sehe durch das Fenster der Holzhütte mit mächtigem Stolz, wie Du dich hinters Steuer begibst und das Riesenteil lässig durch die alten Bäume zirkelst. Als ich ankomme, hast du schon alles geprüft, einen geeigneten Platz ausgesucht. Gemeinsam mit deinem Papa richten wir das Fahrzeug per Wasserwaage sauber aus, verkabeln es und öffnen die Wasserleitungen.
"Ach Kinder, ist das schön hier," strahlt Papa, als wir die wenigen Schritte zum Wasser hinuntergehen "dass ihr mir diesen Wunsch noch erfüllt habt!" Du umarmst ihn liebevoll, wie du es schon als kleines Mädchen immer getan hast. Das Wasser ist kühl und erfrischend, und ein paar neugierige Fische bestaunen die letzten Touristen der Saison; vermutlich in der Hoffnung auf ein paar Brotreste.
Wir spüren wie hungrig wir sind und so beschließen wir, es uns gemütlich zu machen. Wie jeden Abend schicke ich meine Fee zum gemütlichen Duschen und Pflegen, baue schon mal den Grill auf und schließe die tolle neue portable Stereoanlage an, um ein paar von Papa's alten Lieblings CDs abzuspielen. Wieder erzählt er mir eine Ausflugsgeschichte von früher mit seiner Familie, dieses Mal die Busreise nach Schweden, die er bereits mehrfach erzählte, und wieder verlief sie ein klein wenig anders, aber das macht ja gar nichts.
Der Wald duftet traumhaft nach Pinien und anderem Nadelgehölz. Wir lassen uns ein erstes kühles Bier schmecken, als meine duftende Prinzessin aus dem hinteren Womo-Bereich herausklettert. Ich habe bereits den Salat gewaschen, die Tomaten und den Mozarella vorbereitet und dir deinen kleinen Arbeitstisch aufgebaut, an dem du so gerne vorbereitest. Es wird dunkel am Lake Sequoia; das geht so schnell, dass wir immer wieder staunen. Wir legen die Riesen-T-bones auf den Grill und ich schüre auch bereits das sauber abgemauerte Lagerfeuer mit knackenden Scheiten an. "Himmel, sind die Steaks groß!", ruft Papa, "das schaffe ich niemals aufzuessen!" und du schmunzelst leise "wie jeden Abend". Ich habe ihm derweil das Satellitentelefon aufgebaut, und er berichtet Mama ausführlich von den Abenteuern des Tages. Wir lächeln uns an als er berichtet, was er alles erlebt hat, während er schlief. Erst als die Akkulampe Alarm schlägt und das Gespräch längst unterbrochen ist, merkt er, dass sie ihn nicht mehr hören kann. „Ich glaube, sie hat aufgelegt“, meint er nachdenklich.
Ich nehme leise deine Hand, als ich die Steaks wende. Du deckst den Salat auf, und Papa stellt fest, er sei hungrig wie ein kanadischer Waldbüffel... Du ermahnst ihn, seinen Salat nicht zu vergessen, während er das traumhaft saftige Steak routiniert zerlegt. Immer wieder lächelst du mich mit all deiner Liebe und Zärtlichkeit an, während wir es uns schmecken lassen. Und siehe da, wie jeden Abend ist er als erster fertig mit dem großen Steak; er bemerkt unsicher deine amüsierten Blicke und meint "ist noch was von dem leckeren Nachtisch von gestern da?" "Natürlich, Papa," lächelst du, und gehst zum Fridge.
Nach dem Essen räumen wir rasch ab und versorgen das Geschirr, während er ein wenig in seinem Campingstuhl träumend auf die dunkle Wasseroberfläche schaut.
Ich hole dir deine Wolljacke und eine Decke für die Füße, wickele dich zärtlich ein und schüre das Lagerfeuer nach. Dann lege nun eine gemütliche Country-CD ein, und so vergeht der Abend wie im Fluge.
Kurz vor Mitternacht verschwinde ich ein paar Minuten im Camper, während Papa mit dir angeregt über die Einschulung seiner Urenkelin neulich plaudert. Eine feine Tischdecke liegt auf deinem Arbeitstischchen am Heck des Campers, eine kräftige Kerze und jede Menge Teelichter. Um kurz vor Zwölf öffne ich leise die kalte Flasche Sekt- im CD-Spieler erhebt sich ein Chor, und zu den Klängen von NESSUN DORMA reiche ich euch ein Glas Sekt, damit wir auf deinen Geburtstag anstoßen können. „Du bist wunderschön wie ein Aquarell von Marie Laurencin“, flüstere ich dir zu und wünsche dir ein weiteres wundervolles Lebensjahr. Wir tanzen ein wenig um das Lagerfeuer herum, das angenehme Wärme spendet und das Dunkel der Nacht erhellt. Papa schnurchelt erschöpft in seinem Campingstuhl, und wir wissen, dass diese Nacht nur uns gehört.
© martin September 2008