„Rein grammatikalisch magst du da durchaus recht haben. Denn grammatikalisch existiert auch das generische Maskulinum, und rein grammatikalisch existiert daher in den meisten Fällen keine Genderdiskriminierung in unserer Alltagssprache. Rein grammatikalisch.
Rein grammatikalisch existiert ein generisches Maskulinum NICHT. Ich habe keine Ahnung wer sich den Schwachsinn ausgedacht hat. Aber ich hole gerne weiter aus. Ich versuche dabei rechte Kampfbegriffe, wie das "generische Maskulinum" zu vermeiden.
Gucken wir uns also erstmal an, warum im Gegensatz zu den anderen Nomen, bei den Berufsbezeichnungen das männliche Genus überrepräsentiert ist. Das ist ein gesellschaftlicher Umstand. Berufstätigkeit wurde fast ausschließlich von Männern ausgeübt. Durch diesen Umstand haben sich männliche Artikel für die meisten Berufsbezeichnungen durchgesetzt. Hier hat auch das Argument, dass sich die geänderte Realität in der Sprache wiederspiegeln sollte, seinen Ursprung.
Jetzt wird es leider kompliziert. Das Anfügen von "in" oder auch das Anfügen von "gam" (Beispiele kommen) nennt man movieren. Die ursprüngliche Funktion bestand darin, die Relation anzuzeigen. Ich versuche es mit einem Beispiel, dann wird es klar.
Einige erinnern sich vielleicht an die Werbung mit der Zahnarztfrau, die eine Zahnbürste oder Zahncreme bewarb. Ursprünglich hätte man die Frau Zahnärztin genannt und jeder hätte verstanden, dass das die Frau des Zahnarztes ist. Damit wir nicht nur Beispiele haben, die weiblich movieren, hier noch eins: Die Braut wird männlich moviert und man erhält den Bräutigam. Das Anhängsel der Braut.
Das Spannende ist, dass die Änderung dieser Bedeutung durch den Feminismus entstand. Und zwar mit einigen heute verpönten Movationen. Wieder ein Beispiel: Friseurinnen formten mit der Bezeichnung Friseuse eine Movation, um zu zeigen, dass sie nicht die Frauen der Friseure waren, sondern selber berufstätig. Erst die 70er und 80er Jahre und die Mantawitze haben der Friseuse diesen negativen und abwertenden Wechsel beschert. Diesem in den 1920er Jahren vollzogenen Bedeutungswechsel der Movation haben wir es zu verdanken, dass wir Angela Merkel nicht Kanzler sondern Kanzlerin nannten und Hannelore Kohl nicht Kanzlerin.
Ich hoffe, das war jetzt nicht zu lang. Aber daran kann man sehr gut erkennen, dass bei den Berufsbezeichnungen Frauen zu keiner Zeit mitgemeint waren. Zuerst durften sie gar nicht arbeiten und entsprechend waren mit Berufsbezeichnungen sowieso nur Männer gemeint. Und der Feminismus hat die Movation umgedeutet und es zur weiblichen Berufsbezeichnung gemacht (anstelle der Zugehörigkeit zu einem Mann, der den entsprechenden Beruf ausübt).
Rein grammatikalisch sind damit Berufsbezeichnungen in unserer Sprache diskriminierend. Lässt sich statistisch sehr gut nachweisen. Es lässt sich auch sehr gut zeigen, dass sich dies auf Berufsbezeichnungen beschränkt (und deshalb die Movation bei Partner schwachsinnig ist).
„Aber Sprache existiert nicht nur als Regelwerk, sondern auch als Kommunikationsmittel. Und als solches hat sie nicht nur Syntax, sondern auch Semantik. Und diese ist nicht besonders genau definiert, sondern ergibt sich viel mehr zu großen Teilen aus dem auf dem eigenen Erleben basierenden, subjektiven Verständnis der benutzten Worte.
Grammatik ist nicht reine Syntax. Ich vermute du bist Informatiker und hast diese Verkürzung so in den Vorlesungen gelernt. Ich würde dir dringend empfehlen Chomsky mal wirklich zu lesen. Dann wirst du verstehen, dass das eine unzulässige Verkürzung ist. Wenn wir dies so verkürzen würden, würden Sprachsysteme wie lamda von Google (das gerade irgendwie in aller Munde ist) nicht funktionieren. Grammatik hat einen immensen Einfluss auf die inhaltliche Bedeutung. Erst recht auf die Bedeutung aller Sprachen, die komplexer sind als Chomsky-3. Das ist ja gerade die Krux (, wenn man ein Sprachmodell entwickeln will).
Grammatik und Ontologien sind aber die Grundlage jeder Sprache, die es ermöglichen, dass sich Menschen miteinander unterhalten und verstehen können. Damit ist dieses Argument leider ziemlich falsch. Sprache ist das kollektive Gedächtnis einer Gruppe. Damit werden sogar Denkmuster sozial vererbt. Was übrigens der Grund für die gesamte Diskussion um gendergerechte Sprache bei Berufsbezeichnungen ist.
„Daher lasse ich das Argument "unsere Grammatik erlaubt es, Formulierung A sowohl für Aussage X als auch für Aussage Y zu verwenden" nicht gelten. Denn das heißt noch lange nicht, dass Formulierung A eben als Aussage X gelesen wird. Insbesondere lasse ich das nicht gelten, wenn es, wie hier, eine Formulierung B gibt, die eindeutig als Aussage Y gelesen wird und der Formulierung A ansonsten absolut ebenbürtig ist
Das ist absoluter Quark. Genau diese argumentfreie Diskussionskultur macht den Weg hin zu einer gendergerechten Sprache unmöglich. Erstens, ist dein Urteil, was du gelten lässt und was nicht, irrelevant. Schlicht und einfach, weil es eine subjektive
Empfindung ist. Solange subjektive Empfindungen objektive Argumente schlagen, ist eine Diskussion nicht möglich, sondern endet in Radikalisierung.
PS: Und dass die Empfindung bei dem Leser entsprechenden psychologischem Kontext unterliegt zeigt der vorne gepostete Artikel wunderbar.
PSS: Zusammenfassend: die statistisch massive Überrepräsentanz des männlichen Genus (das alle Berufsbezeichnungen einen männlichen Artikel tragen) ist das Fortschreiben der gesellschaftlichen Diskriminierung, dass Frauen bis in die 70er Jahre (in Westdeutschland) die Erlaubnis ihres Mannes brauchten, um überhaupt berufstätig zu sein. Es wäre also eigentlich am geschlechtergerechtesten, wenn wir einfach die Artikel für die Berufsbezeichnungen zufällig neu vergeben: die Vorstand, das Bäcker, der Kindergärtner, die Ingenieur, das LKW-Fahrer und der Sekretär.
Zu dieser Idee empfehle ich das Kinderbuch "Mein Urgroßvater und ich" von James Krüss und dort die Geschichte "Die Wipp-Wapp Häuser".