So, und ich ärgere mich.
Begriffe haben einen Ursprung, und ja ich finde es ziemlich wichtig, da etwas differenzierter hinzuschauen und nicht einfach mal kurz seine Interpretation des Begriffes für sich und seine Lebens- und Liebeseinstellung als allgemeingültig, zumindest aber selbstbeschreibend zu nutzen. Und ja, ich gebe da Paradiesquelle mehr als Recht, wenn er die Begriffe Liebe und Beziehung nicht einfach gleichsetzt oder miteinander als bedingt beschreibt. Und: für mich absolut unmöglich, sich hinter dem Begriff Polyamorie zu verstecken und andere ausgrenzen zu wollen.
Ich traue mich auszuholen, lustigerweise mit Bezug auf den Parallelthread "Sexuelle Revolution": unsere Sexualität ist nicht einfach nur ein Teil von uns, der als Add-On ja ganz spaßig ist; nein, er gehört zu uns. er ist Teil unseres gesamten Systems, unseres gesamten Seins, von mir aus auch ein archaischer. Wir drücken uns in unserer Sexualität aus, und nichts, wirklich nichts ist besser geeignet, uns selbst in Extase und Hochgefühl fühlen zu können - und den anderen zu fühlen, und dann auch noch sich gemeinsam zu fühlen. Ohne jede Grenze, ohne irgendeine Blockade oder Kopfkarussell- in der Sexualität sind wir einfach da. Wir haben Jahrzehnte gebraucht, um aus dem dunklen Schlafzimmer rauszukommen, um die Scham und Schuldhaftigkeit hinter uns zu lassen, die uns die Religion eingebleut hat. Und ja, das ist auch wirklich ein Gang, da sich selbst zuzulassen, sich auf seine archaischen Triebe einzulassen, ja sie überhaupt wertzuschätzen. Hinzufühlen und zuzugeben: ja ich habe Lust! Sie auszuleben und dem Erschrecken standzuhalten, was sich oft einstellt, wenn wir uns loslassen: was kommt denn da zutage, was will denn da alles aus mir raus? Darf ich das? Darf ich dem Gegenüber das zugestehen?
Hey: Schluss mit dem um Erlaubnis bitten, doch einfach fühlen zu wollen! Da muss keine Ehe mehr her und kein Halleluja und VaterUnser mehr, bevor der Mann seine fleischlichen Lüste an seiner Frau ausleben darf! Nein, wir alle dürfen das, und Frau genauso wie Mann! Und hey, das ist auch gut so.
Und das soll auch so bleiben. Und ich möchte verdammt nochmal den Altar der Kirche nicht eintauschen in den Altar der Polyamorie-Begrifflichkeit: hey das geht erst dann, wenn Du ichweissnichtwas an Gefühlen bewiesen hast, damit Du das darfst. Alles andere, nagut, das tolerieren wir bei anderen, aber in Wirklichkeit ist das Schmarotzertum und pure Geilheit und völlig Baba- das darfst Du nicht.
So, und das ist erstmal die Basis, die ich wichtig finde. Wir sind das alles, und wir drücken uns als Menschen komplett aus, mit dem ganzen Paket. Und was ich dann daraus mache, das ist eine ganz andere Sache!
Weil ich die Sexualität annehme, ist sie mir Ausdruck und Resource und Raum, und dann erst kann ich sie mit Liebe leben. Dann kann ich in Begegnungen und Kontakt gehen, und dann kann ich lernen, sie auszufüllen, zu integrieren, und ja dann ist es auch eine schier unglaublich tolle Sache, Liebe und Sexualität miteinander zu verbinden, oder in Liebe zu lieben.
Und da heisst für mich Liebe zunächst einmal Wertschätzung. Ich begegne dem Anderen mit Wertschätzung, mit Achtung und Achtsamkeit und Aufrichtigkeit. Und ja, ich kann diese Liebe tatsächlich auch für nur ein paar Stunden leben und einen Raum miteinander schaffen, der voll ist von Sinnlichkeit und Intimität und Lust. Und dieser Raum kann sehr nährend sein, und er kann einfach auch stehengelassen werden - in dem Bewusstsein, das es dieser Raum war, und das eine langfristige Beziehung mit Bindung und Fürsorge überhaupt nicht richtig für beide ist.
Ich finde das absolut liebevoll - und ja, daher ist es für mich auch polyamor. Das hat etwas mit Trauen zum Ganzsein zu tun, und mit Achtung und Wertschätzung dem Anderen gegenüber, und zwar allen ganz vielen, mit denen ich diese Intimität teilen möchte. Wer bitte wirft den ersten Stein, der da meint, das sei ja nur polygam? Nein, das ist viel viel mehr.
Erst Gefühle zeigen und beweisen, das es ernst gemeint ist? Hm - bitte, was denn ernst gemeint? Dich zu wollen, und zwar jetzt, Dir begegnen zu wollen, und zwar ganz? Ja klar macht das Angst - ist ja schließlich unbekannt. Aber sich in den Vorwurf zu retten, das der ja nur abspritzen will? Sry, aber - ist mir zu einfach.
Und letztlich, mal ganz deutlich gesagt: ja klar gibt es Unterschiede in der Qualität von Begegnungen. Ich kann einen Menschen, der mir intellektuell einfach nichts sagt und dessen Argumentationen mir einfach oberflächlich und nichtssagend erscheinen, meine Wertschätzung ausdrücken und nicht weiter diskutieren. Und anders ist das auch nicht auf sinnlicher Ebene: natürlich entscheide ich, ob mir das was da kommt etwas sagt oder mich bewegt oder einfach zu wenig ist. Und dann lass ich es eben einfach, und gut ist. Da muss ich nicht werten, was für ein Schmarotzer das da gerade ist, weil er nur abvögeln will - oder sie nur durchgevögelt werden möchte.
Und noch etwas, da zitiere ich sinngemäß noch einmal Schnarch: er unterscheidet drei Aspekte der Sexualität. Einmal die, die wirklich nur auf sich selbst bezogen ist; die Lust sich selbst zu fühlen, seiner Lust nachzugehen. Dann die der Kommunikation, des Miteinanders: wo man Sexualität miteinander erlebt, als grosser kreativer Raum, wo man sich in die Augen schaut während des Liebens und Vögelns, wo man gemeinsam ist oder besser in Gemeinsamkeit sich begegnet. Und den dritten Raum der Rollenspiele - ja gut, der ist hier gerade nicht wichtig.
Wichtig ist mir aber zu sagen: ja es gibt diesen ersten Aspekt, den der Lust auf sich selbst und an sich selbst. Und der darf sein; er erst ermöglicht überhaupt alles weitere. Und diesen auszuleben in Übereinkunft mit anderen, mit Agreement sich gegenseitig gutzutun: hey das darf sehr wohl sein. Und überhaupt nicht in Widerspruch dazu, Sexualität und Sinnlichkeit und Liebe verbindlich zu leben. Das darf alles sein, und auch tatsächlich nebeneinander. Kein Altar mehr, kein Halleluja, kein Verstecken. Sondern alles und ganz, und in Aspekten hier und in anderen da.
Und Beziehung? Ja klar ist das ganz toll, unglaublich erfüllend, eine spannende Reise, miteinander zu sein und sich zu lieben und verbindlich da zu sein, sich zuzumuten, den anderen auszuhalten, sich zu unterstützen, sich zu freuen und immer wieder neu aufeinander zuzugehen; eine gemeinsame Reise in Intimität und Freiheit zu gehen, sie zu lernen.
Und nicht auszugrenzen, weder sich selbst noch andere.
Alles was Du ausschliesst, schliesst Dich irgendwann selbst aus.
Hallo Lateral,
auf deinen Beitrag möchte ich auch gerne eingehen, da ich auch durchaus nachvollziehen kannn, wo und wie Du dich positionierst und wo hier dein Anliegen ist. Das hast Du sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
Ich nehme aus deiner von mir wahrgenommenen Position auch viele Wertungen wahr, wo Du dich ärgerst, wie Du schreibst, aufgrund deines Wollens, wie Du die Welt und Menschen darin gerne agieren sehen möchtest. Korrigiere mich bitte, wenn dieser Eindruck falsch sein sollte. Wenn es für dich genauso richtig und gut ist, bedeutet es nicht automatisch, wenn andere Menschen ihres anders leben möchte, dass das mit althergebrachten Traditionen wie Ehe, Altar, jemanden "festtackern wollen" oder auch Scham und seine Gefühle nicht ausleben können zu tun hat, sondern mit authentischen Bedürfnissen.
An Schnarch, den ich übrigens aufgrund deiner damaligen Empfehlung gelesen und auch in weiten Teilen wertgeschätzt habe, hat mich erheblich gestört, dass er "Sex haben müssen" in einer Weise propagierte, dir mir missfallen hat. Natürlich schreibt er aus seiner Position als Mann und seinen Bedürfnissen und seinen Wünschen, was in seinen Büchern, wie ich finde, deutlich zutage tritt. Sehr gefallen haben mir die vielen Hinweise, wie Sexualität besser erlebbar werden kann und dies hat auch mich in den letzten Jahren ein gutes Stück näher zu mir und meinen wenigen und ausgewählten Sexualpartnern gebracht, genaugenommen waren das zwei Männer.
Durch diese schönen Erfahrungen sind meine Ansprüche an gelebte Sexualität gestiegen. Also genau das, was doch befreien soll und auch befreit hat, hat mir zeitgleich für eine neue Ebene in der sexuellen Begegnung von Mann und Frau die Augen geöffnet und den vorherigen Bereich geschlossen. Und genau diese neue und tiefe Ebene möchte ich erleben und suche ich. Und da ich nicht die Schnellste bin in meinem FÜhlen, nehme ich mir dafür die Zeit, die ich brauche, jemanden näher kennenzulernen, bevor ich bereit bin intim zu werden. Und das kann durchaus mal bedeuten, sich schon mehr als ein Jahr zu kennen. Es kann auch bedeuten, dass es nur wenige Treffen braucht, dann muss es aber richtig funken zwischen ihm und mir.
Ich brauche keinen Beweis, dass es ernst gemeint ist (im Sinne des Patriarchismus, wo eine Frau ihre Sexualität "schützen" muss), so wie Du es beschreibst. Was ich möchte ist das, was ich beschrieb und das schließt für mich eine beliebige Sexualität aus. Das ist einfach so. Und wo Polyamor draufsteht muss noch lange nicht Polyamor drinnen sein, ich finde, das ist sogar sehr selten zu finden, dass Menschen, in meinem Fall zumeist Männer, in diesem Punkt schon offen und authentisch sind. Ich sehe mich dann einfach nicht in der Position sie an etwas heranzuführen, quasi auszubilden, damit sie weiterkommen. Und was übrig bleibt, phhht... will ich in der Tat nicht. Das Gefühl, dass jemand an mir als Mensch vorbeivögelt, mag ich nicht. Und weil ich diese Art der Begegnung nicht mag, lerne ich lieber zuerst in Ruhe einen Menschen kennen, und wenn ich jemanden finde, wo jene Magie entsteht, da es so rar und kostbar ist, hätte ich es in der Tat gerne verbindlicher.
Und ganz gewiss grenze ich durch mein selektives Verhalten, dass meine Bedürfnisse wahrt, auch mich selbst aus, was ich aber nicht schlimm finde, weil das, was ich ausgrenze, mir so oder so missfällt.
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