Früher war alles anders ...
Nein, nicht Alles ist anders gewesen. Aber Vieles.Infrastrukturen – soziale wie politische, aber auch berufliche - erfuhren teilweise extreme Veränderungen.
Der vorliegende Aufsatz wird von mir als Musiker geschrieben und zielt auf vorhandene Veränderungen auf dem Livemusikmarkt.
Hier sind gewaltige Veränderungen erkennbar und sie ziehen sich durch die Bereiche Equipment, Qualität (musikalisch), Quantität (Angebot) und Wertschätzung.
Zweifellos waren die 60-er und 70-er Jahre das ‚goldene Zeitalter‘ für die Livemusik. So manches Einfamilienhäuschen wurde allein durch nebenberufliche Aktivitäten in diesem Bereich finanziert. Für alle öffentlich aktiven Musiker – vom damaligen Alleinunterhalter, der mit seiner persönlichen Performance ganze Kappenabende zum Kochen brachte, angefangen, bis hin zur Rockband – war es selbstverständlich, dass man nach einem Gig mit einer vernünftigen Gage nach Hause ging. Und heute …
Nein, ich möchte nicht vorgreifen und lieber bei der Reihenfolge bleiben.
Equipment
Sehr gut kann ich mich an mein erstes Equipment erinnern (1967-68). Es war eine einmanualige Orgel Farfisa compact deLuxe und ein 2-kanaliger Schaller Röhrenverstärker. Später wurde die Orgel gegen eine zweimanualige Hohner Symphonic 600 ausgetauscht. Mit diesem Set spielte ich 2 Jahre lang in einer Jugendband. (Zusammen mit einem 13-tönigen Pedalbass war ich mit diesem Set auch in der damaligen Alleinunterhalter-Szene unterwegs.) Der Schaller wurde hinterher gegen ein Allsound Rotationskabinett mit zusätzlichem Hochtonaufsatz ausgetauscht. Die Hohner Orgel hatte bereits einen Sinus Tongerator und zusammen mit dem Allsound-Set klang „A Whiter Shade Of Pale“ schon richtig gut. Für Gitarren und Bass gab es je eine eigene Box mit Topteil. Der Gesang lief in der ersten Zeit noch über den Schaller, später über eine Echolette Gesangsanlage. Das Drum-Set blieb meist natur. Das war’s.So wurden Säle in der Größe in guter Qualität beschallt, wo man heute schon mit überdimensionierten PAs Tische, Böden und Mägen zum Vibrieren bringt. Die Grenzen des Wettrüstens liegen meist ausschließlich im Budget der Bands und nicht in der Vernunft. Selten werden diese Anlagen tatsächlich wirklich sachdienlich eingesetzt. Ein Extrembeispiell: Ich brach mein Vorspiel im Rahmen einer Bewerbung bei einer Deep Purple Coverband meinen Ohren zu liebe ab. Die Leute hatten im Proberaum so aufgedreht, dass sogar das Schlagzeug abgenommen werden musste. Na klar. Je lauter die Band dröhnt, desto weniger sind Unsauberkeiten hörbar.
Hiermit kommen wir auch schon zum nächsten Punkt.
Qualität
Gemäß der Überleitung aus Punkt 1 beginne ich hier nun mit der Lautstärke. Die Kennzeichnung der Dynamic-Stufen ist in der Musik von sehr leise bis sehr laut in ppp, pp, p, mp, mf, f, ff und fff eingeteilt.Was ich zusätzlich durch das Konsumieren zahlreicher Band-Darbietungen kennenlernte, und was sogar in sehr vielen Proberäumen praktiziert wird ist fffff – und ausschließlich das.Für einen guten Musiker ist es selbstverständlich, dass er für seine eigene Lautstärke auch die Verantwortung trägt. Statt Musik wird leider sehr oft Körperverletzung ausgeübt. Vorsätzliche. Mit dem Aufrüsten der Technik steigt gleichzeitig der Lärmpegel, als ob es darauf ankäme, den Lautstärkenregler immer möglichst nah am rechten Anschlag einzustellen. Große Lautsprecher bewegen bei vergleichsweise gleichbleibender Lautstärke ein größeres Luft-Volumen als kleinere. Das alleine gibt dem Sound wesentlich mehr Durchsetzungsvermögen im Raum und würde in den allermeisten Fällen völlig ausreichen.
Natürlich gibt es weitere und nicht minder wesentliche Merkmale, was gute und weniger gute Musik ausmacht. Das „Handwerk“ beim Umgang mit dem Musikinstrument und möglicherweise ein wenig mehr an theoretischem Musikwissen als Basis wären auch nicht verkehrt. Musiker werden auch als Künstler bezeichnet. Folgerichtig wäre also auch ein wenig Kunst im Werkzeugkasten des Bühnenmusikers nicht von Nachteil.
In meiner Jugendzeit hatten viele Bands Spaß beim Musizieren in ihren Probekellern und ich kann mich erinnern, dass die gemeinsame Probe immer das Highlight der Woche gewesen ist. Das Musikmachen in der Gruppe fördert - nebenbei erwähnt - die Bildung von Teamfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein.
Voller Respekt sahen wir auf die wenigen Lokal-Heros, die den Sprung auf öffentliche Bühnen geschafft hatten und teilweise sogar überregional erfolgreich agierten. Stolz waren wir, wenn wir 2 x im Jahr einen Beatabend spielen konnten und dabei das Ergebnis unserer vielen Probestunden präsentieren durften.
Heute ist das oft ganz anders. Die Leute drängen so früh wie möglich auf den Markt und „beglücken“ die Menschheit oft mit ihren Leistungen. Dabei können die selbsternannten Musiker oft gerade mal eine Gitarre richtig umhängen. Im Extremfall klebt das Preisschild noch dran. Kaum eine Band hätte vor ein paar Jahrzehnten den Mut gehabt, so an die Öffentlichkeit zu gehen.
Vergleichbar hat sich die Situation auf dem Alleinunterhalter-Markt entwickelt. Wo früher noch tatsächlich Musik gemacht wurde, übernahm das die Technik mehr und mehr. Je ausgefeilter die Begleitautomaten wurden, desto weniger musikalisches Können war angesagt. Im Extremfall spielt die Musik weiter wenn der Mensch am Keyboard die Hände in die Hosentasche steckt.
Heute überwiegt oft Selbstüberschätzung und Größenwahn und der Markt wird mit solcherlei Katastrophen überschwemmt.
Damit führt mich mein „roter Faden“ zum nächsten Punkt.
Quantität
Wer sich in den 70-ern als Konsument auf einen Beatabend mit einer Liveband begab, konnte im Vorfeld ziemlich sicher sein, dass es gute Musik zu hören geben würde. Bands – auch unbekannte, die sich aus ihren Proberaum trauten, hatten es meist auch drauf.
Heute ist der Gang zu einem Event mit Livemusik schon beinahe vergleichbar mit einem Lotteriespiel. Zu groß ist die Chance, wieder mal eine Niete zu ziehen und die Enttäuschung bescherte den Leuten im Laufe der Jahre einen Livemusikfrust. Das Ergebnis, dass Veranstalter von Live-Acts mehr und mehr auf Events mit DJs umgestiegen sind, weil diese Veranstaltungen wesentlich besser besucht wurden, war nur eine logische Folge.
Nein, es gibt heute nicht wirklich mehr Bands als früher. Es genügt den Gruppen heute nicht mehr, im Proberaum miteinander Spaß zu haben. Die Hemmschwelle der Musiker von Gottes Gnaden ist gesunken, und zwar im gleichen Maße wie das Niveau ihrer öffentlichen Bühnen-Attacken.
Klar – die Säle bleiben leer und damit komme ich zum letzten Punkt.
Wertschätzung
Um Werte zu ermitteln bedient man sich - wenn es sich um wirtschaftliche Werte handelt – einer Kalkulation. Das ist noch relativ einfach. Was ist also ein Gig wert? Wie hoch müsste die Gage sein, damit die Band bzw. der Musiker nicht draufzahlt? Wo liegt der kaufmännische Break Even Point? Wo der Deckungsbeitrag 1,2 und 3?
Oder, aus der Sicht des Freizeitmusikers betrachtet: Wie viel bin ich bereit zu zahlen, damit ich auf die Bühne darf? Wie viel ist mir die Ausübung meines Hobbys in der Öffentlichkeit wert?
Handelt es sich um die Bewertung künstlerischer Werte, wird es komplizierter. Hauptargument hierfür ist der Bekanntheitsgrat des betreffenden Künstlers, seine Prominenz. Dieser Wert steigt automatisch mit dem Bekanntheitsgrat.
Bei professionell organisierten Veranstaltungen mit prominenten Künstlern werden sowohl wirtschaftliche als auch künstlerische Bewertungsargumente in die Kalkulation einfließen.
Ein weiterer Faktor ist das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Je mehr Bands bzw. Musiker auf die Bühnen drängen umso weniger wird Livemusik eine Wertschätzung erfahren, weder beim Publikum noch bei den Veranstaltern.
Dieses Verhältnis hat sich ungünstig entwickelt, wie wir im vorherigen Punkt beleuchtet haben.
Das vorhandene Überangebot, noch dazu hauptsächlich im Bereich mittelmäßiger bis miserabler Acts, drückt den Marktwert insgesamt sehr. Das Qualitätsbewusstsein ist heute auch auf der Seite der Konsumenten auf Grund des stetig an Qualität sinkenden und gleichzeitig an Quantität steigenden Angebots im Keller. Wo man früher noch Wert auf gute Musik legte, braucht man heute oftmals nur noch eine Quelle für Lärm. Dafür ist dann die billigste Lösung gerade billig genug. Viele Bands schreckt das nicht ab. Sie wollen einfach spielen … öffentlich und um jeden Preis. Diese Spirale scheint kein Ende zu nehmen.
In diesen Sog gerieten mittlerweile auch die professionellen Acts. Auch deren Gagen zeigten in den letzten Jahren einen zunehmenden Abwärtstrend. Die Wirtschaftskrise tat das ihre dazu. Zahlreichen Veranstaltern brachen und brechen die Sponsoren weg. Die Gagenbudgets werden dünner und dünner und viele Clubs und Kneipen sind pleite ohne es zu wissen. Die, die es wissen, können/wollen nicht loslassen und verlagern ihr Unternehmerrisiko zunehmend auf die Musiker.
Ein Teufelskreis.
Was also tun?
Bisher habe ich lediglich versucht Missstände aufzuzeigen und ein wenig zu analysieren. Kritik ist aber nur dann wirklich gut, wenn eine Lösung des Problems vorgeschlagen wird.
Ich hätte da einen Vorschlag. Sicher ist ein über 30-40 Jahre gewachsenes Problem nicht über Nacht beseitigt, aber man könnte die Negativspirale durch ein paar Maßnahmen verlangsamen, anhalten und allmählich wieder in eine Positiv-Tendenz bringen.
Dazu vorher ein Vergleich mit anderen Branchen: Bevor Handwerker offiziell mit der Ausübung ihres erlernten Handwerks auf die Menschheit losgelassen werden, müssen sie einen Qualitätsnachweis erbringen, mindestens in Form eines Gesellenbriefes. Wer Betriebe führt, braucht sogar einen Meisterbrief. Das gilt vergleichsweise auch bei allen akademischen Berufen. Die jüngste Vergangenheit zeigte uns sogar, dass Doktortitel nachträglich aberkannt werden können, wenn die Qualitätsnachweise zur Erlangung derselben nicht dem vorgegebenen Protokoll entsprechen. Selbstverständlich gab es parallel dazu auch immer einen Markt für Schwarzarbeit. Aber wer sich dieses Bereiches bedient, kennt die Risiken in Bezug auf Qualität und Garantie im Vorfeld und wird hinterher im Bedarfsfalle niemanden in die Pflicht nehmen.
Es muss das Bewusstsein wachsen, dass Musikmachen eine Dienstleistung ist wie jeder andere Beruf auch.
Wer von den Musikern kennt es nicht, dass jemand aus seinem Bekanntenkreis fragt: „Hey, Du bist Musiker. Kannst Du mal bei meiner Fete Musik machen?“. Beiden ist klar, dass damit das Spielen ohne Bezahlung gemeint ist.
Fragt aber der Musiker den Bekannten: „Hey, Du bist Automechaniker. Kannst Du nicht mal schnell mein Auto reparieren?“, ist es nicht mehr so selbstverständlich, dass Beide sich darüber einig sind, dass dies auch für „Gottes Lohn“ geschehen soll.
Warum eigentlich?
Ich denke, das liegt daran, dass der Begriff „Musiker“ als Berufsbezeichnung nicht geschützt ist. Jeder, der 2-3 Griffe auf der Gitarre greifen kann und jeder selbsternannte Keyboarder, der mit einem Finger ein ganzes Begleitarrangement aus seinem Instrument abruft, kann sich „Musiker“ nennen. Es gibt dafür keinen Qualitätsnachweis. Der Wildwuchs wird nahezu gefördert. Es war den Leuten bisher völlig wurscht, ob die Menschen auf ihren Bühnen einen Qualitätsnachweis haben oder nicht. Bei ihrem persönlichen Zahnarzt freilich erwarten sie, dass er sein Handwerk wirklich von der Pike auf gelernt hat und sich durch Fortbildungen auf dem Laufenden hält.
Ich bin dafür, dass man zukünftig auch bei Leuten, die öffentlich als Musiker auftreten, einen Qualitätsnachweis voraussetzt. Was der TÜV bei der Abnahme einer Fahrprüfung ist, könnten Musikschulen oder ähnliche Einrichtungen für Musizierende sein, zur Erlangung eines Führerscheins für Bühnenmusiker. Warum nicht. Als Halter eines großen Hundes wird von mir auch ein Sachkundenachweis verlangt.
Keine Angst! Es geht nicht zwangsläufig um Notenkenntnisse. Das Leben hat gezeigt, dass es eine ganze Menge prominenter und talentierter Musiker gibt, die nie eine Note lesen konnten. Das Ergebnis ist wichtig.
Durch eine solche Maßnahme würde sich der Markt von ganz alleine regulieren. Spreu und Weizen trennt sich in wenigen Jahren. Das Angebot wird kleiner. Das Niveau steigt und damit auch wieder die Wertschätzung allgemein.
Die Leute würden wieder gerne Livemusik hören wollen und pfeifen auf Musik aus der Dose. Die haben sie auch daheim. Die Veranstalter kümmern sich wieder um Qualität bei ihren Konzertterminen. Die „Profis“ könnten mit den Jobs wieder ihre Familien ernähren, die Hobbyisten ihr Hobby finanzieren und alle sind wieder glücklich …. in 30-40 Jahren.
Wunschdenken. Und selbst wenn es so käme… was kümmert uns heute, was in 40 Jahren auf dem Musikmarkt passiert? Man kann die Zeit sowieso nicht zurückschrauben...
Nein, kann man nicht. Aber wir können Bedingungen verändern. Das sollten wir tun, wer weiß, vielleicht hat sich unser Talent auf unsere Kinder vererbt … und auf die Enkel?