Freut mich....
...dass Dir "NSA?" gefallen hat.... Vielen Dank für Deinen wunderbaren Kommentar.
Darf ich gleich noch was nachschieben?
Jagdrevier
Ein herrlicher Samstag. Ein herrlicher Frühlingstag. Der große weiße Terano schnurrt hinab ins Städtchen, und mein Mann macht mal wieder einen Witz über die "Frau Gräfin" am Steuer. Unsere erste Station ist der V-Markt gegenüber des Bahnhofs, und trotz der relativen Frühe - Himmel, wer steht denn am Wochenende vor neun Uhr auf? Offensichtlich ganz viele Leute! - ist der Parkplatz schon recht gut belegt, und die Schlange vor dem Leergutautomaten ist so lang, wie es sich Mr. Tarantino bei einer Filmpremiere gewünscht hätte. Aber das macht uns nichts aus. Die Sonne hat den Himmel schon erobert, und all die fremden Menschen in der Schlange sind recht gut gelaunt. Hinter uns reiht sich ein älteres Ehepaar in die Warteschleife ein, und mein Mann lässt ausnahmsweise seinen Nürnberger Charme sprühen, was nicht so häufig vorkommt. Ich freue mich über das angenehme Gespräch mit diesen fremden Menschen, und daher vergesse ich einen Schritt nach vorne zu tun, als es weiter geht.
Das laute Quietschen der Reifen höre ich nur am Rande, und ebenso nur am Rande bemerke ich, wie ein kleiner schwarzer und zutiefst tiefer gelegter Punto so energisch in die Behindertenparkplätze gerammt wird, dass er sofort zwei Parkbuchten blockiert.
Auch manch anderer hat es registriert, aber wir alle sind zu gut drauf, um uns dadurch aus der Façon bringen zu lassen. Wir wechseln das eine oder andere Grinsen, ab und an hüpft ein freches Wort über die Schlange der Wartenden. Selbstredend fallen Bemerkungen über die so genannte Jugend von heute und den mangelnden so genannten Respekt. Floskeln eben, für welche man hier und heute 3 € ins Phrasenschweinderl werfen müsste, aber damals...
Der Himmel ist viel zu blau, der Morgen viel zu schön. Wir setzen unser Geplauder fort, und einmal mehr rücke ich nicht weit genug nach, als es wieder vorwärts geht. Ein sehr aggressiv wirkender junger Mann entsteigt dem viel zu tief gelegten Punto (konnte man damit eigentlich über einen Bordstein fahren?), lässt die Fahrertüre offen und reißt die Heckklappe auf. Mit ebensolcher Aggressivität entreißt er dem Kofferraum zwei Getränkekisten, welche er mit lautem Geschepper in die kleine Lücke der Schlange donnert, welche sich durch meine Nachlässigkeit aufgetan hat.
Sofort senkt sich bleiernes Schweigen über die gerade noch so fröhliche Samstagsrunde. Ein jeder erstarrt in seiner Bewegung und verwandelt jegliches gerade noch geplante Tun in ein gaffendes Nichtstun.
Ich selber brauche ein paar Atemzüge, bis ich höflich lächelnd sagen kann: "Entschuldigen Sie bitte, das Ende der Schlange ist da hinten." Wie ich mich so in die entsprechende Richtung drehe, sehe ich schon meinen Mann, der sich zum Sprung bereit hält. Ich zwinkere ihm zu und sage: "Kein Ding, Schatz, alles ist gut."
Für unseren jungen Freund allerdings sieht die Welt anders aus, der schnauzt mich doch tatsächlich an. "Ei, Alte, halt's Maul!"
Links hinter mir wird mein Göttergatte gerade noch mal fünf unnötige Zentimeter größer, und die gesamte Warteschlange atmet kollektiv ein. Auch mir versetzt das einen Stich. Sicherlich ist dieser Wunderknabe mindestens zehn Jahre jünger als ich, aber ich kann das Wort "Alte" nicht mal dann leiden, wenn es als pfälzisches Kosewort benutzt wird. Diese Form der Ansprache versetzt mich in Rage.
Die Situation bekommt sich insofern wieder in den Griff, als dass mein Mann sich wieder entspannt, und alle anderen Beteiligten wieder ausatmen. Ich selbst dagegen habe alles, nur nicht mich im Griff.
"Süßer", säusle ich daher mit einer derartigen Menge Gift in der Stimme, dass selbst weit entfernte Laborratten noch tot umfallen könnten, "Du stellst Dich entweder da hinten an, oder Deine Frau kocht nachher für eine Person weniger."
Zugegeben, so redet man nicht mit fremden Leuten, aber dem lauernden Aggressionspotential meines Mannes habe ich damit ein wenig Wind aus den Segeln genommen.
"Do hind", sagt der Franke mit seinem reizenden nonkonsonanten Akzent und einer Körperhaltung, die jedem Jaguar Ehre gemacht hätte.
Das ältere Ehepaar hinter uns grinst verschmitzt.
Der junge Mann mit den zwei Kästen Leergut und mit dem, was man heutzutage Migrationshintergrund nennt, verkennt die Wärme in der Stimme des fränkischen Hünen und traut sich doch glatt zu einer Riposte.
"HälsDu Klappe", sagt er nämlich in jenem Halbdeutsch, das ich früher in der Grundschule an meinem türkischen Freund immer so niedlich fand.
Eine warme, nostalgische Welle schwappt über mich hinweg, und da ich an sich ein sehr freundlicher Mensch bin, sage ich mit sehr viel nostalgischem, warmen Timbre in der Stimme: "Spatzl, versau' uns ned diesen schönen Tag."
Die Wartenden rücken ein wenig vor, das leise Rasseln der Einkaufswagen vermischt sich mit dem weniger leisen Geklapper des Leerguts. Mein Mann holt tief Luft. Kein gutes Zeichen. Der junge Mann mit dem offensichtlichen Migrationshintergrund klemmt sich samt seiner beiden Leergutkästen vor mich in die Warteschlange und gibt ein paar Töne von sich, die ich erst Jahrzehnte später - als ich nämlich Türkisch lerne - als massive Beleidigung zu deuten in der Lage bin.
Hier und jetzt und an diesem herrlichen Samstag verstehe ich das Knurren rein instinktiv als Beleidigung und will schon den Mund aufmachen, aber da habe ich die Rechnung mal wieder ohne den Franken gemacht. Der kommt mir zuvor. Mit einem gewagten Schritt schiebt er seinen beeindruckenden Körper zwischen die Sonne und mich und fragt den jungen Mann: "Machsd Du mei Frau o?" Und da sein helles Köpfchen ihm sogleich sagt, dass das in der hiesigen Gegend nicht für jeden verständlich sein mag, schiebt er noch nach: "HosDu grad mei Frau ogmachd?"
Sofort mache auch ich einen Schritt nach vorne, schiebe mich zwischen die Sonne und meinen Mann (zugegeben mit weniger Erfolg) und sage: "Is doch gut. Bleib mal cool!" Da ich positive Resonanz aus der Warteschlange erhalte - besonders das ältere Ehepaar hinter mir nickt wohlwollend und funkelnden Auges - schiebe auch ich was nach. "Der isses doch nich wert", sage ich nämlich. "Wir suchen doch Gegner und keine Opfer."
Die gesamte Warteschlange lacht verhalten und denkt über das Atmen nach. Oder auch nicht. Mein Mann jedenfalls braucht keine Luft zu holen, bevor er schnauzt:" Ei, gfragd habi Di! Machsd Du mei Frau o?!"
Die Warteschlange lacht. Wenig bis nicht verhalten. Das Ehepaar hinter uns grinst vergnügt.
Hier wiederum hat der fränkische Hüne seine Rechnung ohne mich gemacht. "Lass' ihn in Ruhe!", fauche ich nämlich - ebenfalls wenig verhalten - und stelle mich auf die Zehenspitzen. Bei mehr als dreißig Zentimetern, welche mein Mann größer ist, ein recht zweifelhaftes Unterfangen. "Der gehört mir!"
Die Warteschlange samt des älteren Ehepaars lacht völlig unverhalten.
Doch hier eskaliert die Situation plötzlich und völlig bar unseres Einverständnisses, denn der Besitzer des zu tief gelegten Punto reißt eine Flasche aus einem seiner Kästen und geht auf meinen Mann los. Ich will mich in die Bresche werfen, bin aber aufgrund zu hoher Absätze etwas unbeholfen.
Mein Mann nicht.
Zwanzig Jahre Kampfsport kommen in einer winzigen Bewegung zum Ausdruck, der junge Mann quietscht wie ein schlecht geöltes Scharnier, und eine leere Colaflasche scheppert auf den Asphalt. Sie geht nicht zu Bruch. Erstaunlich.
Allerdings geht bei mir etwas zu Bruch, nämlich meine Fassung.
"Spinnst Du jetzt!", schnauze ich meinen Mann an, der den Nichtgegner sofort verdattert los lässt. "Das is meiner!" Ich bin so wütend, dass die freundliche Samstagmorgensonne rote Schlieren auf meine Netzhaut malt.
"Süße", sagt mein Mann amüsiert mit völlig konsonantenlosem "S" und drückt mir einen kleinen Kuss auf die Nase, "Du gansDi do ned in dem hübschn Gleid mit dem do anlegn."
Da bin ich allerdings ganz anderer Ansicht. Meine Wut sprengt den Staudamm samstäglichen Benimms, ich ramme die Hände in die Hüften und flüstere (noch mehr tote Laborraten): "Ich, mein Schatz, ich wohne hier! Such' Du Dir Deine Spielzeuge in Nürnberg!"
Der Junge mit den beiden Leergutkästen, dem zu tief gelegten Punto und dem offensichtlichen Migrationshintergrund missversteht die Situation gründlich. Tatsächlich hebt er seine nicht zu Bruch gegangene Colaflasche auf, wirft sich beeindruckend in Pose und fragt mit wieder aufflammenden Aggressionspotential in der Stimme: "MachsDu misch an, oder was!?"
Einmal mehr hält eine Warteschlange den Atem an.
"MiDir red i grad ned", sagt mein Mann und bohrt seinen Blick in den meinen, während ich sage: "Mit Dir redet grad keiner."
Die Warteschlange holt Luft und atmet kollektiv weiter.
Während wir uns gegenseitig mustern wie diverse Schlangen und Kaninchen, zieht die frühlingsgelaunte Warteschlange - samt des älteren Ehepaars und einiger Neuzugänge - sanft an uns vorüber. Den aggressiven jungen Mann haben wir binnen Sekunden vergessen.
Sehr viel später reden wir noch immer nicht miteinander. Aber da ich ja meine Klappe nicht halten kann, sage ich irgendwann am Abend: "Mein Revier!"
Der Franke atmet tief ein und vergräbt sich wieder in sein Buch.
Anne Johann 2015