Die Deutsche Annette Schwarz stieg mit 18 Jahren in das Pornogeschäft ein und durchlief die harte Schule von John Thompson, für dessen Label GGG sie eine Vielzahl von Pornos drehte. Irgendwann orientierte sie sich auch ins Ausland und wurde beispielsweise zum Zugpferd der amerikanischen Edelmarke "Evil Angel". Seit 2006 hat sie eine eigene Produktionsfirma namens "Le Big Fuck", für die sie als Darstellerin und Produzentin tätig ist.
Bei einem Treffen mit dem Pornostar erfuhr Philip Siegel, Autor des Buches Porno in Deutschland, mehr über Annette Schwarz' Karriere und noch viel mehr über die in unserer Gesellschaft grassierende Doppelmoral und die diversen Vorurteile gegenüber den Schaffenden der Pornobranche.
Der Artikel ist original am 03. Mai 2012 erschienen.
Weiblicher Pornostar mit eigener Firma
Ich warte und rauche eine Zigarette. Da höre ich Menschen die Treppe heraufkommen. Als erste betritt Annette Schwarz den Raum. Als sie mich sieht, ist sie irritiert. Sie hatte jemand anderen erwartet, nämlich Olli, der hier das Studio vermietet, der sich aber verspätet hat.
Gerade noch ist Annette forsch vorangegangen, doch jetzt wendet sie sich ihren beiden Begleitern zu, zwei jungen Männern Ende Zwanzig, die mich, den für sie Fremden, fragend und leicht misstrauisch mustern. Ich mache einen Schritt auf die drei zu, strecke ihnen die Hand zur Begrüßung entgegen, nenne meinen Namen und sage, wie es ist. Olli habe mir von ihnen erzählt, dass sie heute hier für ein paar Stunden sein Studio mieten würden und ich versuchen könne, sie zu sprechen.
Annette Schwarz lässt sich auf das verschrammelte rote Sofa sinken. Sie trägt ein eng sitzendes, einfaches Kleid, das ihre schmale und gut proportionierte Figur betont. Eine hübsche junge Frau, allenfalls die leicht hervorstehenden Augen könnten irritieren. Sie geben dem fast mädchenhaften Gesicht einen Stich ins Fiebrige, Überanstrengte.
Annette Schwarz, seit 1984 auf der Welt, ist eine der wenigen Frauen in Deutschland, die im Porno-Gewerbe tätig sind und ihre eigene Firma gegründet haben. Die zwei Männer in ihrer Nähe sind Kameramann, Manager, Teilhaber und Freunde, alles zusammen. Sie agieren im Hintergrund, nur selten vor der Kamera, und sie möchten, dass ich ihre Namen verschweige, stattdessen bieten sie mir Pseudonyme an.
Der mit dem wuscheligen Haar und dem Jungengesicht nennt sich jetzt mal Faust, der andere bittet mich, ihn Lars zu nennen, ein ebenfalls eher kleiner Typ mit aufmerksamem, wachem Ausdruck und fuchsigen, kurzgeschnittenen Haaren, lässig gekleidet, eher an einen Golfspieler erinnernd als an einen Pornomanager.
Das Internet als Chance und nicht als Feind des Porno
Vor Jahren schon haben sie die Firma "Le Big Fuck" gegründet und sofort den neuen Weg gewählt. Auf das stagnierende DVD-Geschäft haben sich Annette, Lars und Faust erst gar nicht eingelassen. Mir erscheinen sie als New Generation des deutschen Porno-Gewerbes. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen. Es ist ihr Freund, nicht der Feind. Sie können Webseiten selbst erstellen, kennen die Technik, wissen um die Vorteile. Das Lamentieren über die strengen Gesetze in Deutschland ist ihnen fremd.
Annette Schwarz hat mit 18 Jahren angefangen, als Pornodarstellerin zu arbeiten. Aus dem Ruhrgebiet ging sie nach München, erzählt sie mir. Als sie eine Zeitungsannonce des Porno-Produzenten John Thompson liest, meldet sie sich. "Für eine Neueinsteigerin eine harte Schule," meint sie.
Parallel dazu macht sie eine Ausbildung zur Krankenschwester. Ausgerechnet Krankenschwester, denke ich. "Irgendwann wurde mir die Porno-Arbeit hier zu gleichförmig, immer dasselbe", meint sie. Sie geht in die USA, dreht mit einer männlichen Porno-Legende, dem Italiener Rocco Siffredi, und gründet 2006 die eigene Firma.
Da kommt Olli und schließt auf. Sofort verschwinden Annette, Faust und Lars in einem Nebenraum. Sie werden dort Nachschub-Clips für ihre Internet-Seite drehen. Doch was machen sie da eigentlich genau? Ich weiß es nicht. Die Tür wird geschlossen. Ich muss draußen bleiben. Ich folge Olli in sein Büro, wo er beginnt, sich die Wartezeit mit Rechnungen und Formularen zu vertreiben.
Olli ist einer der wenigen Produzenten, die in München noch aktiv sind. Er dreht Gang Bang-Episoden für die Essener Firma "Magma". Olli ist kahlköpfig, dick, trägt eine Brille und gibt offen zu, dass er Pornos macht, weil er so mit attraktiven Frauen Sex haben kann. Sein Künstlername: Olli T.Horn.
Unterschiede im Porno zwischen USA und Deutschland
Nebenan im Studio öffnet sich eine Tür. Drehpause. Ich könne nun mit Annette reden, meint Lars. Sie hat sich einen Bademantel übergezogen. Faust positioniert sich mit der Videokamera. Ob wir das Interview auf Englisch führen könnten, fragt er.
"Das stellen wir dann ins Internet."
Ich schaue ihn fragend an.
"Für die Webseite", meint Faust fast entschuldigend.
Wir einigen uns darauf, dass ich die Fragen auf Deutsch stelle und Annette in Englisch antwortet. Wir reden dann über Pornodarstellerinnen in Deutschland, warum es nur so wenige gebe, die bekannt seien oder in den USA Aufmerksamkeit bekämen. Wir reden über die Vor- und Nachteile Deutschlands und den USA. So sei in Deutschland vieles erlaubt, was in den USA strengstens verboten sei.
"Hast du es vergessen und wirst erwischt, kannst du die Firma dicht machen. Verboten sind Szenen mit Pisse, man darf sich nicht anspucken, auch Schläge sind verboten, selbst wenn das die Darsteller so wollen. Da geht es in Deutschland wesentlich freizügiger zu. Aber wenn es darum geht, die Filme zu vertreiben, hast du hier große Probleme, während in Amerika der Vertrieb nicht so reglementiert ist.
Um es auf eine Kurzformel zu bringen: Während du in Deutschland vieles machen, aber schlecht verkaufen kannst, bist du beim Drehen in den USA stärker eingeschränkt, aber das Verkaufen ist wesentlich einfacher. Die Vorteile von beiden Ländern zusammenzubringen, wäre das ideal."
Der Weg von Annette Schwarz ins Porno-Business
Sie schaut mich beim Sprechen an. Ihr Blick ist offen, die Scheu gewichen. Annette Schwarz ist in der Branche als eine Darstellerin bekannt, die Dinge macht, bei denen andere abwinken. Sie dreht Szenen mit 40 Männern und mehr, schluckt deren Sperma, lässt sich anpinkeln. Ist das pervers? Oder sogar krank? Hat Annette einen Hau? Ich weiß es nicht. Jedenfalls macht sie immer wieder diese Extrem-Pornos. Sie sitzt mir gegenüber und spricht ruhig über ihre Arbeit. Wie kommt eine Frau dazu, solche Dinge zu machen?
"Mit 15 habe ich den ersten Porno gesehen. Das hat mich angemacht, aber ich kannte niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Meine Freundinnen haben sich lustig gemacht über die Darsteller, ich war erregt. In München wollte ich das nachmachen. Und der Pornofilm hat mir die Möglichkeit dazu verschafft."
Ich merke, wie ich – fast automatisch – anfange, nach Gründen zu suchen, die die Haltung der Frau, die da vor mir sitzt, fragwürdig erscheinen lassen. Dient das, was sie mir sagt – ihre Sicht der Sexualität – als Porno-Fassade, um mir, einem möglichen Kunden, der Außenwelt, die Illusion zu vermitteln, dass das, was sie spielt, nicht nur eine Darstellung ist, sondern echte Erregung? Annette Schwarz hat jetzt ihr akzentfreies Englisch aufgegeben und spricht Deutsch mit mir. Faust seufzt.
"Da muss ich für die Webseite alles übersetzen und Untertitel machen." Ich zucke mit den Schultern. Annette erzählt von ihren ersten Dreharbeiten. "Am Anfang hat mich die Situation verunsichert, aber der Regisseur hat mich angewiesen. Die Kamera war noch irritierend, später hat sie mir die Sicherheit gegeben, die ich brauche, um mich gehen lassen zu können. Regisseur und Kamera geben mir jetzt die Zuversicht, dass meine Wünsche nicht pervers sind. Sie legitimieren mich. Das Objektiv der Kamera sagt mir: Was du da machst, ist in Ordnung."
Die Kamera legitimiert sexuelle Exzesse
Es ist eine für mich zunächst irritierende Logik. Heftige sexuelle Fantasien werden lebbar, wenn die Kamera sie für eine zahlende Öffentlichkeit abfilmt? Annette erklärt mir, wie sie das sieht. "Privat habe ich Angst, solche Sachen zu machen. Man weiß nie, an wen man gerät. Es fehlt die Kontrollinstanz, einer, der, wenn die Sache aus dem Ruder läuft, eingreift. Beim Drehen dagegen müssen sich alle an die Verabredung halten. Und die Darsteller haben einen aktuellen Aids-Test."
Lars schaut auf die Uhr. "Wir müssen noch arbeiten."
"Was machst du dabei?", frage ich ihn.
"Ich wische die Pisse auf." Er lacht. "Einer muss sie ja weg machen."
"Ihr pisst Annette an?", will ich wissen.
"Klar, das kommt gut an. Das wollen die Leute sehen."
Ich gehe zurück zu Olli ins Büro, die drei verschwinden wieder im Nebenraum. Olli hat auch mit Annette gedreht, vor Jahren, als sie noch keine eigene Firma hatte.
"Die spielt das nicht", meint er. "Die ist so."
Die Tür zum Nebenraum geht auf, Lars kommt mit Eimer und Aufwischer heraus. Er macht seine Arbeit. Annette Schwarz trottet nach. Sie wirkt müde, fast eine Spur abgekämpft. Ich beginne zu verstehen, dass es keine Darstellerin geben kann, der es zuwider ist, was sie tut, wenn sie in der Branche zu dem geworden ist, was man einen Star nennen könnte.
"In wie vielen Filmen hast du mitgemacht?" Sie schaut sich fragend um, Faust und Lars zucken mit den Schultern. "Über 100? Vielleicht an die 200?" meint Lars. Annette Schwarz ist erschöpft. Sie umarmt Olli, bedankt sich für die Drehgelegenheit im Studio. Hand in Hand mit ihrem Begleiter Faust verlässt sie das Studio. Lars bleibt. Er sei hungrig, ob Olli und ich mit ihm noch was essen gehen?
Porno ist noch immer verpönt
Wir sitzen zwei Straßenecken weiter in einer Gaststätte. Hier gibt es Hamburger mit Salat, dazu ein Helles oder ein Weizen. Am Nebentisch gackern ein paar Mädchen um die Wette, während der Junge an ihrer Seite ratlos aus der Wäsche guckt. Der Geräuschpegel ist hoch. Es ist 23 Uhr nachts. Cocktails werden auch getrunken. Musik, aufgedreht.
"Porno ist immer noch verpönt. Da können die bei RTL 2 oder im Kulturteil der Süddeutschen Zeitung noch so viel drüber reden und schreiben: Die Gesellschaft scheint mir nicht so aufgeklärt, wie sie gerne tut. Wenn ich sage, ich mache Porno, werde ich schief angeguckt. Man wird dann mit einer gewissen Abfälligkeit behandelt. Ganz so, als sei sich mein Gegenüber sicher, das Recht dazu zu haben. Pornographie, das hat ganz viel mit Vorurteilen zu tun."
Lars hat bestellt, trinkt ein Bier. Er redet mit mir, als würden wir uns schon eine ganze Weile kennen. "Was für Vorurteile?", frage ich. "Immer wieder bekomme ich zu hören, dass wir die Leute anstiften würden, erst auf die Idee brächten, diese ganzen Sachen zu machen, die wir zeigen. Ich sage dir: So schräg, wie die Menschen drauf sind, können wir gar nicht sein. Zum Beispiel schreibt uns ein Mann, Annette solle ihn ficken. Er liege unten und werde dabei von 10 Männern angepisst!" Ich schaue ihn an und warte ab.
"Ein anderes Beispiel: Mehr aus einer Laune heraus hat Annette einmal in ihre Sneakers gepisst, sich die Schuhe angezogen und dann darin herumgetanzt. In den nächsten Wochen und Monaten bekamen wir immer wieder Mails von Leuten, die begeistert über diese Szene waren.
Aber nicht etwa, weil Annette sie auf eine großartige Idee gebracht hätte, sondern weil sich die Menschen in ihr wieder erkannt hatten. Endlich einmal bekämen sie gezeigt, meinten sie, dass mit Annette auch andere dieser seltsamen Neigung nachgingen – und fühlten sich jetzt verstanden und nicht mehr so allein. Es gibt inzwischen sogar – wie ich erfahren habe – pissing-in-sneakers-blogs. Das Phänomen gab es also schon länger, Annettes spontaner Einfall hat es nur an den Tag gebracht."
Porno liegt irgendwo zwischen banal und richtig spannend
Lars macht sich über den Hamburger her. Viel Ketchup dazu. Für einen, der sein Geld mit Pornographie verdient, redet er verblüffend offen, denke ich. Lars ist 29 Jahre alt. Gelernt hat er das Design von Webseiten. Dafür hatte ihn Annette auch angesprochen. Jetzt reist er in der Welt herum.
"Geht das alles spurlos an dir vorüber?"
"Bei Annette ist es so, als ob ein Hebel umgelegt würde. Ab einem bestimmten Moment ist sie nicht mehr zu bremsen. Ich empfinde schon mal Widerwillen bei dem, was ich tue. Annette ist da anders drauf, sie macht das gerne. Und die Leute wollen es sehen, sonst hätten wir nicht den Erfolg. Pornographie liegt irgendwo zwischen sehr banal und richtig spannend."
"Ist Annette eigentlich eine typische Darstellerin?"
"Die meisten machen Porno als Hobby und haben einen ganz normalen Beruf. Porno-Darstellerinnen hier sind selten Profis. Insofern ist Annette eine Ausnahme."
Wir sind jetzt alle müde. Von der Lautstärke, dem Sprechen. Von der Arbeit mit Pornographie, jeder auf seine Weise. Es ist 1 Uhr nachts. Mit Lars fahre ich ein paar Stationen in der U-Bahn. Ich frage mich, ob nicht gerade die exaltierten Filme der Annette Schwarz die Pornographie an einen Punkt führen, der sich zunehmend als ein echtes Problem des Genres erweist.
Denn viele Macher von Pornographie laufen Gefahr, dass sich ihre Produkte wiederholen könnten und bieten deshalb immer heftigere Szenarien an. Dadurch aber verlieren die Filme an Glaubwürdigkeit. Dennoch sieht es ganz danach aus, als werde eher nach Möglichkeiten gesucht, die Exzess-Schraube weiter anzuziehen, als es auf eine Neuausrichtung des Genres ankommen zu lassen. Doch wie könnte die aussehen?
Annette Schwarz jedenfalls passt – ob sie das will oder nicht – mit ihrer persönlichen Obsession genau in dieses Bestreben, die Pornographie in eine völlig abgedrehte Sphäre zu katapultieren, wo sie nicht nur die Bodenhaftung zu verlieren droht, sondern auf merkwürdige Weise abstrakt wirkt.
In meinem nächsten Reisebericht widme ich mich der Pornodarstellerin Kyra Shade.
© Philip Siegel
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