Tag 5 – Unter (Massen von )Touristen
Der Morgen graut, und endlich geht es vorwärts. In doppelter Hinsicht. Zwar ist der Himmel noch wolkenverhangen, aber es regnet zumindest nicht und ist auch etwas wärmer geworden. Nach den notwendigen Dingen nach dem Aufstehen geht es hoch in die neue Lodge, wo das Frühstück aufgebaut ist. Erstmal einen Kaffee ziehen, und draußen eine rauchen. (Morgenkaffee und Kippe, die Raucher unter euch werden es verstehen…). Danach wieder rein, und sich über das Frühstück hermachen. Ich persönlich mag es da eher herzhaft, daher wird der Teller schnell mit Ei, Wurst, Brot, Käse und Gurken gefüllt. Da ich die nächsten Tage wohl eher auf meine mitgeschleppten Vorräte angewiesen sein werde, schlage ich gerne auch noch ein zweites Mal zu. Aber wenn man schon mal in einem fremdem Land ist, sollte man auch mal fremdes probieren. Mit zum Frühstücksbuffet gehört auch ein warmer Grießbrei (nehme mal an das es das war) und karamellisierter Käse. Beides nicht so mein Fall wie sich rausstellt, aber Versuch macht eben klug. Beim Frühstück treffe ich nochmal auf die Schwedin vom Vorabend, man kommt nochmal über dies und das ins Gespräch.
Danach geht es auf mein Zimmer, alles zusammenpacken, Schlüssel abgeben, und dann bin ich auch prinzipiell abmarschbereit. Bis auf meine Wanderstöcke. Eine klemmt (Drehgewinde). Waren welche, die ich einfach von Zuhause mitgenommen hatte, was eben „da“ war. Mangels Zange muss ich fast eine halbe Stunde lang ganz schön ackern. Auf dem glatten Aluminium finde ich mit meinen Händen kaum halt, mal dreht dann das falsche Gewinde mit, usw. Irgendwann habe ich es dann aber geschafft und die Wanderstöcke sind beide auf meine Größe eingestellt. Es kann losgehen.
Hinter der Lodge beginnt dann auch der Wanderweg hoch zum Preikestolen. Laut ausliegender Mini-Karte soll der Aufstieg etwa zwei Stunden dauern. Und wird steil, was natürlich wenig überraschend wird, wusste ich ja schon vorher. Am Einstieg begegnet mir auch das erste Mal das rote „T“ des DNT als Wegmarkierung. Zunächst hat das ganze noch was nach einem breiten Bergwanderweg auf festgetretener Erde, schon nach den ersten 500 m wandelt sich das ganze aber. Der Weg wird zunehmend mehr zu einem kleinen Pfad, gelegentlich über kleine Felsplateaus oder über „Steintreppen“. Aus der Broschüre kann ich entnehmen, dass wohl seit einigen Jahren der Pfad hoch zum Preikestolen von Sherpas aus Nepal überarbeitet wurde, um ihn gangbarer zu machen. Haben die Jungs ganz gut gemacht, zwar keine Steintreppen wie man sie in deutschen Gärten finden würde, aber gut gangbar. Frage mich wie das wohl vor den Bauarbeiten ausgesehen hat.
Da ich nun ja morgens gestartet bin, bin ich auf der Tour nicht alleine. Im Gegenteil, morgens sind nochmal mehrere Busladungen voller Touristen an der Lodge ausgeworfen worden, mit denen muss ich jetzt zusammen hoch. Im Vergleich zu mir echte „Fliegengewichte“, minimale Rucksäcke, Hunde und Kinder dabei. Eben auf einem Tagesausflug. Ich steche da in doppelter Hinsicht aus der Menge, zum einen wegen meinem Riesenrucksack, und weil ich wegen dessen Gewicht (waren 27 kg, ich sagte ja, ich komme noch auf den zu sprechen) natürlich nur im Schneckentempo vorankomme. Bin damit vergleichsweise der langsame LKw auf der rechten Autobahnspur, nur das sich zum (vermutlichen) Ärger der Tagesausflügler das ganze eben oftmals auf nur eine Spur reduziert. Irgendwann ist es dann aber geschafft, ich bin an der oberen Kreuzung angekommen. Links geht es auf den Wanderweg rund um den Lysefjord, Richtung Bratelli, rechts zum Preikestolen. Ab hier sind die Anstiege nicht mehr so heftig. Nach einer kurzen Pause geht es also weiter zum Preikestolen.
Auf dem letzten Kilometer passiert es dann. Kurz vor den kleinen Seen gibt es, als ich gerade ein paar Holzstufen runter gehe, einen starken Zug an meiner Hose und ein hässliches, reißendes Geräusch. Mein linkes Hosenbein flattert auch ganz ungeniert herum. Habe zu dem Zeitpunkt meine Zip-off-Trekkinghose von Vaude an. Wie ich feststelle bin ich mit dem Hosenbein an einem Nagel hängen geblieben. Ich fluche. Oh nein, hoffentlich nicht am ersten wirklichen Tag auf der Tour eine meiner beiden Hosen aufgerissen. Aber nach einer kurzen Inaugenscheinnahme stelle ich fest: Glück im Unglück, zwar hat mir der Nagel die Hose ein Stück weit aufgerissen, aber nur ein paar Zentimeter am unteren Ende, der Reisverschluss ist wegen des Impulses aufgegangen, und lässt sich wieder einfädeln. Habe also weiterhin eine komplett geschlossene Hose. So geht es dann den letzten Kilometer bis hin zum Preikestolen. Als ich um die letzte Ecke biege und den Preikestolen zum ersten Mal selber sehe, stelle ich zwei Dinge fest. Erstens, tolles Panorama, echt tolle Felsformation. Zweitens, überlaufen von Touristen. Wahnsinn was hier los ist. Das ganze Felsplateau ist voll mit Menschen, an der Spitze gibt es eine Warteschlange, jeder will ja schließlich sein Foto haben, wie er an der Spitze des Preikestolen steht.
Anmerkung: Für alle die doch die typische Naturidylle des Preikestolens genießen wollen, das geht. Denn der Touristenstrom hält nur bis nachmittags an. Die meisten müssen bis spätestens um 1700 Uhr wieder an der Lodge sein, weil dann die Busse abfahren Richtung Kreuzfahrtschiff. Wer also spät nachmittags erst zum Preikestolen geht, kann (bis auf ein paar weitere Naturliebhaber und Trekkingreisende) den Preikestolen abends im Sonnenuntergang und am nächsten Morgen ganz natürlich ohne Massentourismus genießen.
Ich suche mir erstmal einen Platz etwas abseits, zwischen ein paar Felsen. Hier habe ich meine Ruhe. Erstmal das durchgeschwitzte T-Shirt wechseln, lege das nasse auf die Felsen, und ziehe mir mein Oberteil an, um eine Auskühlung zu verhindern. In aller Ruhe mache ich mir erstmal mit dem Campingkocher was zu essen, während um mich rum die Touristen sich auf dem Plateau tummeln. Danach will ich natürlich auch ein „Erinnerungsfoto“ vom Preikestolen haben, muss aber zum Glück nicht warten, denn da ich alleine unterwegs bin, würde ein Selfie auf der Spitze ja nicht zeigen das ich auf dem Preikestolen war. Abseits der Meute mache ich daher mehrere Selfies mit der Spitze im Hintergrund, immer darauf achtend nicht zu nahe an die Felskante zu kommen. Man liest ja dieser Tage oft genug das Menschen beim Versuch das spektakulärste Selfie zu machen von Brücken oder Felsen stürzen.
Irgendwann habe ich mich dann aber doch satt gesehen, und gehe wieder den Weg zurück zur Kreuzung. Auf der gegenüberliegenden Seite, auf einem anderen Bergrücken, bietet sich mir ein phänomenales Panorama. Zwei kleine Seen, die einen Wasserfall speisen, welcher den Berg hinunterläuft. Herrlich. Das wäre doch ein wunderbarer Ausklang des heutigen Tages, ein Bad im See und dann dort das Lager aufschlagen. An der Kreuzung packe ich meine Karte aus, und tatsächlich, ein kleiner Miniweg führt genau in das Areal der zwei Seen. Während ich den Weg im Kopf durchgehe, werde ich plötzlich angesprochen. Eine junge Dame, Polin wie sich rausstellt, spricht mich an. Mitte 20 etwa, sportlich-schlank, und mit Rucksack und diversen „Aufbauten“ wie Isomatte etc. auch keine Tagestouristin. Wir kommen ins Gespräch. Sie ist auch auf Solotrekking-Tour und möchte ein paar Tage lang am Lysefjord lang wandern, die meisten Sehenswürdigkeiten abklappern. Nur ist sie da eher etwas…intuitiv unterwegs, hat nur eine kleine Mini-Karte der Region dabei. Gerne gebe ich ihr kurz meine Karte, wir kommen weiter ins Gespräch. Echt nette Person. Wie sich rausstellt will sie in die gleiche Richtung. Ich helfe ihr bei der Orientierung, sie bedankt sich und macht sich auf den Weg Richtung Bratelli. (Wer von euch jetzt die flache Hand an den Kopf schlägt und sich denkt: „Oh Mann, Junge, du hast doch nicht….doch habe ich, mehr dazu später).
Ich packe meinen Rucksack und mache mich auf Richtung Bergseen. Auf einem Kleinen Trampelpfad geht es über die Bergkuppe, alsbald läuft dieser aber aus und es geht mehr oder weniger über Wiesen, durch Gestrüpp und über Felsen weiter. Nach circa einer Stunde nähere ich mich dem Bergsee. Und breche in der Wiese mit dem rechten Fuß plötzlich ein. Was mich echt erstreckt. Ein Erdloch? Ich schaue mich um und stelle fest…nein, ich habe die Topgraphie nur nicht richtig gelesen. Zwar ist hier ein dichter Teppich aus Moosen und Hecken, der Rand des Sees ist bewaldet, aber überall liegen schroffe, große Steine herum. Bei der Betrachtung des Erdlochs erkenne ich dann das Problem. Der größte Teil des Untergrundes rund um den See besteht aus einem Geröllfeld mit großen Steinen, über das sich mit der Zeit eine Schicht aus Erde ausgebreitet hat, auf der dann die Moose und Hecken gewachsen sind. Darunter ist aber immer noch das Geröllfeld, mit seinen entsprechend großen Zwischenräumen. Ein echtes Potential in ein weiteres dieser „Löcher“ zu treten und sich eventuell Fuß oder Schienbein zu brechen. Ich nehme meine Trekkingstöcke zu Hilfe und ertaste mir so den Weg. Und tatsächlich, mehrmals steche ich den Boden einfach durch. So komme ich nur langsam voran, kann mich aber dann bis an das Ufer des Sees vorarbeiten, wo mehrere flache Felsplateaus sind. Hier mache ich erstmal Rast, und genieße ganz ungeniert ein Nacktbad im See, bei herrlicher Kulisse. Im Anschluss mache ich mir schnell noch eine Suppe, um wieder etwas Wärme zu bekommen, das Wasser war herrlich, aber auch sehr frisch.
Es ist jetzt ungefähr kurz nach 17 Uhr nachmittags. Was soll ich machen, denke ich mir. Ich habe schon sehr viel Zeit auf dieser Tour verloren, so schön das hier am See auch ist, um zu Rasten ist es noch zu früh. Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen, ich weiß nicht warum ich so lange auf der Leitung stand. Du Idiot! Da war diese junge sexy Polin, die dir sagt, dass sie alleine den gleichen Weg wie du nehmen willst, und dir fällt nix besseres ein als ihr den Weg zu zeigen und dann diesen Abstecher zu machen? Ich schaue auf die Uhr. Sie hat inzwischen mehrere Stunden Vorsprung, heute wird das nix mehr. Aber wenn ich mich beeile, vielleicht hole ich Sie ja in den nächsten Tagen irgendwo ein. Ich packe meine Sachen. Nach etwas über einer Stunde (das „Minenfeld“ hat ganz schön aufgehalten) bin ich wieder an der Wegkreuzung Richtung Bratelli. Der Abstieg gestaltet sich schwierig. Der Trampelpfad verschwindet sobald ich den Wald erreiche, jetzt geht mehr eine steile Kletterpartie über Wurzeln und große Steine los. Da ich dieses 27-kg Monster auf dem Rücken habe, bin ich dementsprechend mit einem schlechten Schwerpunkt ausgestattet, und muss aufpassen und mich langsam bewegen, um nicht zu stürzen. Zudem zeigt sich jetzt bergab eine der Problematiken eines Ausrüstungsgegenstands auf, des Ultraleicht-Solarpanels. Da es groß und ultraleicht ist, kann ich es nicht in den Rucksack stopfen, das Panel könnte sonst gequetscht werden und brechen. Also hatte ich es mittels Karabiner außen am Rucksack fest gemacht. Mehrmals wenn ich mich vorbeugen musste, ist es mir so von Hinten schon um die Ohren geschlagen. Kann es aber irgendwie trotz mehrerer Versuche nicht so festmachen, dass das nicht mehr passieren kann.
Der Abstieg gestaltet sich langsam und mühselig. Zudem zeigt sich mit zunehmendem Fortschreiten der Zeit ein weiteres Problem auf: zwar darf ich hier überall frei zelten, aber erstmal eine Fläche finden, wo das geht. Das Gelände ist abschüssig und ein einziges Baum- oder Geröllfeld. Keine Chance da irgendwo das Zelt aufzuschlagen. Kurz vor 20 Uhr habe ich aber Glück. Ich erreiche die Stelle, wo der Wasserfall Richtung Tal stürzt. Zwischen den beiden Strömen des Flusses, welcher sich hier am Fuße des Wasserfalls spaltet, gibt es ein bewaldetes Plateau, mit einem graden Stück Erde. Besser wird es vermutlich nicht denke ich mir, und beschließe hier mein Lager aufzuschlagen. Ich baue mein Zelt auf, verpflege, spanne eine Leine zwischen zwei Bäumen und hänge dort meine verschwitzten Klamotten auf. Als es dann zunehmend dunkler im Wald wird, lasse ich es dann für heute sein und krieche in meinen Schlafsack. Das Rauschen des Wasserfalls ist eine angenehme Naturkulisse, und so schlafe ich ein.