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Polyamorie und das Schwinden der Liebe

Danke, strictly_fun, Du sprichst mir aus der Seele. Wir sollten uns bewusst sein, dass wir mit der Kritik am vorherrschenden monogamen Leitbild (das ja nun mindestens mit unserer und vieler anderer Liebesexistenzen ganz schön brüchig geworden ist *zwinker* ) nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten.

Wir tun der Entwicklungsgeschichte des Denkens ganz bestimmt keinen guten Gefallen, wenn wir übersehen, dass Romantik mehr ist als Lagerfeuer oder monogame Symbiose-Bilder. Dahinter stand immerhin auch eine Besinnung auf die alte Erkenntnis, dass es mehr gibt als die Schulweisheit uns bisher bewiesen hat.

Wer von uns wollte denn (auch polyamore) Liebe auf naturwissenschaftliche Erklärungsmuster zur Erhaltung der Art reduzieren? Ich zumindest gehöre zu denjenigen, die der Magie der Liebe mindestens genauso viel Existenzberechtigung beimessen. Und wenn das nicht romantisch ist ... *zwinker*

Cheers
Joshi
Schau mir in die Augen, Kleines (202311)
*********herz Mann
3.908 Beiträge
Liebe vs. Funktion - Lösung für ein Paradox?
Eilige Leser können sich bei Interesse gerne auf die letzten 7 Absätze dieses Textes beschränken oder - noch schneller - weiterscrollen *zwinker*


Die Zitate stammen aus dem Text, der im Eingangsthema verlinkt ist.

Eine Grundannahme des folgenden Textes ist, dass das Wesen der Menschen maßgeblich bestimmt wird durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben.

Schon hier könnte sich zumindest in Liebesdingen Widerspruch z.B. von Dr. Ingelore Ebberfeld, Kulturwissenschaftlerin der Universität Bremen regen, die (vlt. nicht als Einzige) die Auffassung vertritt, dass 99% unseres Liebeslebens von den Genen bestimmt wird.
http://www.t-online.de/lifes … ebe-selten-funktioniert.html


"Oft wird behauptet, der Mensch sei von Natur aus egoistisch, aber richtig ist, dass er sich unter den gegenwärtigen Bedingungen egoistisch verhalten muss, um in einer Gesellschaft, deren Grundprinzip das der Konkurrenz ist und in der viele Menschen unter materiellem Mangel leiden, einigermaßen bestehen zu können. "

Richard Price hat in einer nicht widerlegbaren (aber eben auch nur mathematisch beweisbarten) Arbeit gezeigt, dass Altruismus einen evolutionären und damit egoistischen Vorteil haben könnte http://de.wikipedia.org/wiki/Price-Gleichung. Im Verlauf seines berührenden Lebensweges hat er versucht, seine Annahme durch eigenes selbstloses Verhalten zu wiederlegen: http://de.wikipedia.org/wiki/George_R._Price , was ihm letztlich ebenso wenig gelang, wie der empirische Beweis. Ob er sich wegen dieser Unsicherheit oder wegen seiner Unfähigkeit, mangels fehlender Mittel weiterhin zu helfen, das Leben nahm, ist ungeklärt.
von 15:10 - 29:50.

Ich finde, gibt es immer einen guten Grund für alles, was geschieht, auch wenn ich ihn (evtl. zunächst) nicht erkenne. Für mich ist es psycho-logisch, dass es für Menschen mit einer Ich-Vorstellung völlig selbstloses Verhalten nicht geben kann. Deshalb empfinde ich es als realitätsfremd, völlige "Selbstlosigkeit" als Bestandteil eines menschlichen Liebesideals zu machen. Selbst Jesus hat das nicht postuliert.
Imho ist das Wesen des Menschen schon deshalb egoistisch, weil er Mensch ist und eine Ich-Vorstellung hat - und nicht (nur) wegen der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Mit Konkurrenz hat das imho zunächst einmal nichts zu tun. Kooperation und Konkurrenz sind beide Ausdruck von Egoismus. In der Bewertung muss das Eine nicht grundsätzlich schlechter sein als das Andere. Mit dem aktuellen Wirtschaftssystem oder materiellem Mangel (wie uns manche glauben machen möchten) hat das weniger zu tun als mit den Machtverhältnissen (das sind nicht nur autoritär "legitimierte" Herrschaftsverhältnisse) und durch sie etablierten Verhaltenscodices innerhalb der (Wirtschafts)systeme..


„Es wird heftig bestritten“, so Horkheimer, „dass die materielle Lage den Menschen bestimme, aber in extremen Fällen tritt dieser Umstand so offen zutage, daß die Leugnung ausgeschlossen ist. […] Wenn ein großzügiger und kluger Mensch […] ins Zuchthaus gesperrt wird, so daß sich während der Dauer von zehn Jahren sein Leben in den Zellen und Korridoren eines dieser furchtbaren Gebäude abspielt, dann reduzieren sich auch seine Bedürfnisse und Ängste, seine Interessen und Freuden immer mehr auf das winzige Maß dieses armseligen Daseins. […] Die Geburt der meisten Menschen geschieht in das Zuchthaus hinein.“ (1)

In diesem Satz fehlt mir der Bezugsrahmen für das Wort "bestimmen". Was vom Menschen bestimmt die materielle Lage? Im Zuchthausbeispiel sind den physischen und geistigen Entfaltungsmöglichkeiten (je nach Informationszugang) des Menschen begrenzt, aber nicht die Möglichkeiten von Fantasie und Ideenreichtum. Je nachdem, zu welchem Welt- und Menschenbild ich in Resonanz gehe, ist der Geist der Schlüssel zu dem, was sich materiell verwirklichen kann oder nicht. Insofern können die materiellen Verhältnisse und Sozialisation einen Menschen prägen, aber sie müssen ihn nicht im Sinne einer zwangsläufigen Abhängigkeit bestimmen. Auch wenn das statistisch überwiegend anders empfunden wird, ist der Weg für andere Entwicklungen nicht verschlossen.


" Wenn aber das Wesen der Menschen abhängt von den gesellschaftlichen Zuständen, dann gilt diese Abhängigkeit auch für ihre zwischenmenschlichen Beziehungen, ihre Wünsche, Sehnsüchte, Ängste, ihr Aggressionspotential, letztlich auch für ihre Fähigkeit zu lieben. Eine gewaltvolle Gesellschaft, in der die Einzelnen miteinander in Konkurrenz stehen, wird demnach in einem geringeren Maße liebesfähige Menschen hervorbringen als eine, in der das alltägliche Leben nicht konkurrenzhaft organisiert ist."

Wie oben dargelegt, mag dies eine statistische Erfahrungstatsache sein, aber imho keine zwangsläufige Abhängigkeit. Insofern ist die Liebe so frei wie der Geist eines Menschen. Deshalb können auch Menschen zur Liebe fähig sein, deren Sozialisation eher dagegen spricht. Wobei sich die Frage stellt, welche Sozialisation(en) konsequent die Entwicklung der Liebesfähigkeit unter Menschen praktiziert/ten.



"„Wäre diese Kälte“, so Adorno, „nicht ein Grundzug der Anthropologie, also der Beschaffenheit der Menschen, wie sie in unserer Gesellschaft tatsächlich sind, wären also nicht die Menschen im Grunde gleichgültig gegen das, was mit allen anderen geschieht – außer den paar, mit denen sie eng und womöglich durch Interessen verbunden sind, so wäre Auschwitz nicht möglich gewesen. Die Menschen hätten es dann nicht hingenommen. Die Kälte der gesellschaftlichen Monade, des gesellschaftlich isolierten Konkurrenten, ist als Indifferenz gegen das Schicksal der anderen die Voraussetzung dafür, dass alle zusahen und keiner sich regte.“ (2) Die konkurrenzhafte Organisation dieser Gesellschaft drückt unseren zwischenmenschlichen Beziehungen ihren Stempel auf. Bereits die Vertreter der Kritischen Theorie wie Adorno und Horkheimer befürchteten vor diesem Hintergrund ein Verschwinden der Möglichkeit von Liebe. Hierzu trägt, das ist zentrale These des Textes, „Polyamorie“ bzw. das, was vielfach darunter verstanden wird, einiges bei."

An dieser Stelle frage ich mich, insbesondere ob des gewählten Auschitz-Beispiels, ob wirklich ausschließlich Kälte und Gleichgültigkeit (evtl. als Kompensierung von Angst), existenzielle Überlebensangst und/oder gerechtfertigter Egoismus Motoren dafür waren, die das Geschehene ermöglichten. Inwieweit diese Angst berechtigt war und inwieweit moralische Abwägungsporzesse eine Konfrontationsvermeidung rechtfertigen konnten, ist ein anderes, moralisch derart schwieriges Thema, dass ich nur mitzureden würde, wenn ich einmal in vergleichbarer Situation gestanden hätte.

Unser Gesellschaftssystem belohnt Formen von Konkurrenz ebenso wie Formen von Zusammenarbeit (meist innerhalb von Gruppen) ebenso wie die Evoluition, deren Teil wir als Lebewesen sind. Insofern ist unser Gesellschaftssystem zu einem gewissen Grade "natürlich", wenngleich wir uns fragen könnten, inwieweit wir uns von der Natur entfernt haben, welche Folgen das hat, was Inhalte einer "natürlchen" Moral leisten könnten, und ob es so etwas wie eine "soziale oder moralische Umweltverschmutzung" gibt.

Hinsichtlich "der Polyamorie" als was-auch-immer für das Verschwinden der Liebe ist für mich fraglich, ob das Ideal oder die persönlich ge- bzw. erlebte Wirklichkeit gemeint sind. Würde das Ideal in gesellschaftlicher Breite gelebt, sehe ich eher die Chance auf eine Gesellschaft, die in einvernehmlicher Mehrfachliebe, Anteil nehmender, ehrlicher, offener, mitfreudiger Kommunikation lebt. An der Formulierung des Ideals liegt es imho nicht, wenn die Möglichkeit zur Liebe (ver)schwindet.

Schwindet die Liebe vlt. eher an dem Bewusstsein, wie wir den Liebesaspekt (nicht nur) in der Polyamorie verstehen und damit umgehen?

Weil ich ein suchender, (durchaus selbst-) zweifelnder Mensch bin in dem Entwicklungsversuch zum liebesfähigen Menschen, überhaupt nicht perfekt, aber interessiert an meinem Anteil zu Liebe und Lieblosigkeit in unserer Welt, sehe ich die Funktionalisierung der Liebe als EIN Aspekt ihrer gelebten Erscheinungsformen ebenso wie der Autor des Themas und habe mir ein paar Gedanken dazu gemacht.


"Was hier stattfindet, ist in vielen Fällen der endgültige Einzug instrumentellen Denkens noch in die intimsten Bereiche unseres Lebens. Die Größe des romantischen Liebesideals bestand immer darin, den anderen Menschen als ganzen anzuerkennen, mit allen Stärken und Schwächen, dem man auch in schlechten Zeiten beistehen wollte, bis der Tod die Liebenden scheide. So unerreicht dieses Ideal auch in vielen Fällen blieb, so sehr unterscheidet sich ein solches Verständnis von Liebe doch von dem, das sich zunehmend herauszubilden scheint. Die Liebe funktionierte gerade nicht wie ein Vertrag oder Tausch, bei dem man penibel darauf achtet, ja nicht der Benachteiligte zu sein. Glück besteht in der Liebe viel mehr wesentlich im Glück des anderen, was es verunmöglicht, um etwas betrogen zu werden. „Wirkliches Schenken“, schreibt Adorno und hier ist ein Vergleich mit der Liebe naheliegend, „hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten. Es heißt wählen, Zeit aufwenden, aus seinem Weg gehen, den anderen als Subjekt denken […] Alle nicht entstellte Beziehung, ja vielleicht das Versöhnende am organischen Leben selber, ist ein Schenken. Wer dazu durch die Logik der Konsequenz unfähig wird, macht sich zum Ding und erfriert.“ (5) Liebe ist demnach das glatte Gegenteil von Tausch und Verrechtlichung."

Wenn wir die "GBgB - Gesellschaft zur Befriedigung gegenseitiger Bedürfnisse", (wie Robert Betz eine heute weit verbreitete Form der Paarbeziehung als Handelsbeziehung nennt), nicht unter Liebe subsumieren wollen, können wir Bedürfniserfüllung nicht als Funktion der Liebe verstehen. Dann kann es für mich als Liebender zwar mein Wunsch sein, dass ein geliebter Mensch in der Begegnung mit mir liebesglücklich sein möge, aber nicht Maßstab für mein Verhalten ihm gegenüber in der Absicht, dieses Ziel zu erreichen, indem ich seine/ihre Wünsche Bedürfnisse aktiv handelnd im Schenken erfülle. Ich würde Liebe und Selbsttreue in dem Moment verlassen, wenn mein Handeln nicht zugleich Ausdruck meines inneren, (selbst!)ehrlichen Liebesgefühls in mir ist. Wie also kann ich lieben ohne lediglich Bedürfnis befriedigenden wollendes Verhalten? Ein Paradox?

Die Frage, was Liebe(sglück) außerhalb der Befriedigung unserer Bedürfnisse nach Nähe, Wärme, Zärtlichkeit, Geborgenheit und Sexualität ist, erscheint vielen von uns nicht leicht zu beantworten, und hier sehe ich in der Tat die Auswirkungen unseres aktuellen Gesellschaftssystems. Dieses mag Einfluss auf mein Denken haben, aber es nimmt mir nicht die Freiheit, ein anderes Denken zu versuchen, zu entwickeln, zu leben.

Genau das hat mir der polyamore Weg erst ermöglicht mit so herausfordernden Themen wie Selbstliebe und Selbsttreue, die das oben angesprochene Paradox für mich nicht verkomplizieren, sondern (mglw. nur scheinbar und vorläufig) gelöst haben.

Mein gedanklicher Weg war folgender:
Liebe, Zufriedenheit und Glück sind Gefühle.
Weil ich im Wesentlichen allein dafür verantwortlich bin, wann ich diese Gefühle habe, sind sie grundsätzlich unabhängig von dem Phänomen (das schließt Menschen mit ein), dem ich begegne. Als Mensch kann/möchte ich nicht alles und jeden lieben, sondern nur Phänomene, zu denen ich in eine von mir positiv empfundene Resonanz gehe, die diese Gefühle auslösen. Weil die Phänomene und die stattfindenden Resonanzen so unterschiedlich sind, fühlt sich die Liebe "zu"r Natur, "zu" diesem oder jenem Menschen oder auch in einer Situation immer unterschiedlch für mich an.

Entscheidend ist, ob ich mich alleine oder in der Begegnung mit einem Phänomen in Liebe, Zufriedenheit und/oder Glück fühle. Dann liebe ich, bin zufrieden oder glücklich "mit" jemandem oder etwas.
Vlt. kann und möchte ich mein Resonanzspektrum verbreiteren oder vertiefen. Daran etwas zu ändern, kann ich als meine Ent-wicklungsaufgabe verstehen - um meinetwillen, in der Verantwortung für meinen Beitrag zu unserer Welt, meine Bedürfnisse, Wünsche und Träume.

Wenn ich einer Person im Gefühl der Liebe begegne, bedeutet das nicht unbedingt, dass die Person sich von mir geliebt fühlt (erst recht nicht fühlen "sollte") und umgekehrt. Es bedeutet nicht, dass da keine Liebe ist, sondern lediglich, dass die harmonischen Resonanzen nicht in jeder beteiligten Person als Liebe empfunden werden. Dass in einem geliebten Gegenüber durch die Begegnung mit meinem ungeschützten, authentischen Sein mit allen seinen "Unzulänglichkeiten" ebenfalls das Gefühl von Liebe entsteht, mag eine Hoffnung sein - aber es ist nicht (mehr) meine Absicht, sondern gegenseitiges Hinschauen, Erfahren und Geschenk durch - soweit mir nach bestem Wissen und Gewissen möglich - natürliche, individuelle Präsenz.

Das zweite Element für meine Zufriedenheit in der Liebe ist, dass ich mich so weit wie möglich von meinen Bedürfnissen und Vorstellungen befreie, die meiner Zufriedenheit im Weg stehen. Besonders, wenn es mir gelingt, mich vom Bedürfnis zu befreien, von einem anderen Menschen geliebt zu werden, ist jede liebevolle Resonanz, die in in einer Begegnung entsteht, ein Zugewinn, der positive Gefühle auslösen kann; die Notwendigkeit für Funktionalisierungen und Handelsbeziehungen entfällt.

Das empfinde ich als meinen Weg zur Freiheit, allen Phänomenen so zu begegnen, wie sie sind und nichts ändern zu müssen, solange ich für meine verbliebenen Bedürfnisse selbst sorge und nicht in Mangel oder in Not gerate. Wenn ich meine Resonanzen zu einem Phänomen nicht mit geistig-emotionaler Arbeit harmonisieren kann, bleibt mir immer noch, einen Wunsch zu äußern und/oder mich zu distanzieren.

Auf diesem Weg, den ich zu gehen versuche, fühle ich mich einerseits ganz bei mir und meinen wichtigsten Bedürfnissen (in diesem Sinn egoistisch), andererseits "selbstlos", also frei von Egoismen, die jemandem Funktionen zuweisen wollen, die meiner Befriedigung dienen.

Vielleicht ist das eine Art "Selbstlosigkeit" in der Liebe oder eine Art, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst - wobei ich freilich niemandem auf meinen Weg "überhelfen" möchte. Jeder Mensch möge seinen eigenen Weg zu dem finden, was er als Liebe versteht. In diesem Sinne lohnt es sich für mich, an mir zu arbeiten.

*herz*lich
T*wink*M

(1) Max Horkheimer: Däm­me­rung. No­ti­zen in Deutsch­land, in: Ders.: Ge­sam­mel­te Schrif­ten. Bd. 2. Hg. von Al­fred Schmidt und Gun­ze­lin Schmid Noerr. Frank­furt/M. 1987, S. 355f.
(2)

(3) http://www.spiegel.de/panora … die-sex-wollen-a-976478.html
(4) Oliver Schott: Lob der offenen Beziehung
(6) Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Aphorismus: "Tisch und Bett"
(5) Theodor W. Adorno: Minima Moralia, Aphorismus: "Umtausch nicht gestattet"

*******yson Mann
215 Beiträge
Au weia.
Ich war nach dem Lesen des Artikels, auf den sich der Themenersteller bezieht, erstmal ziemlich befremdet.

Als wissenschaftlich denkender Mensch stelle ich bei jeder Behauptung zunächst die Frage, ob die zugrundeliegenden Annahmen überhaupt stimmen. Sonst diskutiert man leicht über fiktive Probleme.

Die Haupt-Stichwörter des Artikels sind Bedürfnisbefriedigungshandel, Instrumentalisierung der Liebe, Selbstoptimierungszwang und Abwertung der Partner, die der Artikel in meinen Augen zu verdammenswerten Haupteigenschaften der Polyamorie zu erklären scheint.

Damit stellt er jede Menge Behauptungen auf, die für manche sich als polyamor deklarierende Menschen stimmen mögen, aber ganz sicher nicht für alle gelten.

Die Haupteigenschaft eines polyamoren Menschen ist in meinem Verständnis, dass er in der Lage ist, mehrere Menschen gleichzeitig "romantisch" zu lieben und damit bejahend und bewusst und ggf. offen umgeht.

Unter romantischer Liebe verstehe ich dabei das Gefühl, sich von einem anderen Menschen unwillkürlich (!) geistig und körperlich intensiv angezogen zu fühlen, sich auf ihn irgendwo zwischen Herzklopfen und völliger Närrischkeit zu fixieren und einzulassen.
(Und ja, diese Definition ist unvollständig und mangelhaft...)

Damit grenze ich für mich Polyamorie ausdrücklich von Menschen ab, die bewusst mehrere (Zweck-)Beziehungen eingehen, um Lücken in ihrer eigenen Bedürfnissbefriedigung zu stopfen - was zum Beispiel in offenen Beziehungen passiert, und womit ich auch gestartet bin.

Mehrere Menschen zu lieben kann man genauso wie im monogamen Modell m.E. nicht beschließen, sondern man findet sich irgendwann in der Situation wieder (so wie es mir erging).

Beschließen kann man lediglich, dass man die Möglichkeit nicht ausschließt, und wie man mit der Situation umgehen will, wenn sie eintritt.

Weitere unsortierte Gedanken:
Alles, was man tut, tut man letztlich für sich selbst (Tony de Mello). Im Zustand der Liebe erzielt man einen emotionalen Vorteil für sich selbst daraus, dem geliebten Menschen gut zu tun.

Nicht alle Bedürfnisse eines Partners befriedigen zu müssen, kann eine Befreiung sein, die beide Partner enger zusammenrücken lässt, weil der Blick mehr auf die Stärken als auf die Mängel in der Beziehung gerichtet werden kann.
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