Begriffe, Begriffe, Begriffe.
Mit Polygamie ist jedoch ein patriarchales Verständnis verbunden. Dies ist einer der Gründe, die als Begründung für das Verbot der Polygamie angeführt wird. Das ist aber nicht der Grund. Die Begründung liegt in der christlich geprägten Geschichte des Abendlandes. Polygamie ist eben nicht das Gegenteil von Monogamie. Die Monogamie sollte die Erbverhältnisse klären und vereinfachen. Es geht sogar noch weiter: Sex hat mit der Monogamie nichts zu tun. Es geht nur darum, dass nur die Kinder der einen Ehefrau erbberechtigt waren. Konkubinen gab es trotzdem.
Vor dem Hintergrund ist an dem Artikel nicht alles so sauber. Auch die Begrenzung auf vier Frauen scheint nicht überall angekommen. Muhammad bin Raschid al Maktum (König Dubais) hat z.B. 6 Frauen. Aber es wird leider noch deutlich unangenehmer. Beispiel Mormonen. Hier nicht zu erwähnen, dass diese Form der Polygamie eine streng patriarchale ist, bei der der Mann nach seinem Tod entscheidet, wen er mit in den Himmel nimmt und die Frau sich nur dann scheiden lassen kann, wenn ein Gremium aus Gmeindeführern ihrer Befürchtung recht gibt, dass ihr Ehemann nicht in den "Himmel" kommt und sie daher nicht mitnehmen kann, das ist schon ziemlich unreflektiert und hinterlässt einen sehr miesen Geschmack auf der Zunge. Zudem ist in Utah die Polygamie offiziell verboten und wird nur von einigen radikaleren Gruppen ausgeübt (der patriarchale Quatsch wird von allen so gepflegt).
Und bei der modernen Polygamie wird es jetzt immer schlimmer. Denn natürlich hat Polygamie immer noch mit Ehe zu tun. Sie ist nur nicht mehr religiös aufgeladen. Und hier sollte man doch zumindest mal den Ursprung unserer modernen Ehe kennen. Denn dies ist das Subsidiaritätsprinzip.
Kurzer Exkurs: Subsidiarität bedeutet, dass z.B. ein Staat sich aus den Angelegenheiten herauszuhalten hat, die in den Untereinheiten besser ausgeführt werden können. Dies begründet zum Beispiel die föderale Struktur, Organisation der Städte, usw. Die kleinste Einheit ist basierend auf den Überlegungen Hegels die Familie und hier insbesondere die moderne Kleinfamilie (Eheleute mit ihren eigenen Kindern).
So, zurück zur "modernen Polygamie". Das ist eigentlich das Thema, dem sich Grüne und FDP in unserer Ampelregierung annehmen wollen. Es geht darum den Ehebegriff neu zu fassen. Das hat aber eben gar nichts mit Sexualität zu tun. Da geht es um Familienrecht, Erbrecht und Sozialrecht (in letzterem definiert Hartz 4 dies schon um - die Bedarfsgemeinschaft kann da auch ohne Trauschein und sogar entgegen einer bestehenden Ehe zur kleinsten Einheit im Staate werden). Es geht also um nichts anderes als einen verbindlichen und staatlich sanktionierten Vertrag (denn die moderne Ehe ist nichts anderes).
Polygamie ist also alles nur nichts Unverbindliches. Ab dem Abschnitt "Warum Polygamie auch hierzulande immer beliebter wird" ist der Beitrag also ziemlicher Schrott. Es folgt ein wilder Ritt zwischen Singledasein, Optimierungswahn, Beziehungsunfähigkeit und Eifersucht. Endet also völlig in der emotionalen Schiene. Das ist auch keine Polyamorie. Mir scheint, dass diesen Text jemand geschrieben hat, der von all dem nicht den Hauch einer Ahnung hat.
Und genau da greift ja auch deine Frage fehl. Polygamie dreht es sich einzig um rechtliche Fragen. Es dreht sich darum, wie Ehe in einer gleichberechtigten offenen und pluralistischen Gesellschaft ohne Rückgriff auf religiöse Dogmen definiert und staatlich sanktioniert werden kann. Vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft und Patchworkfamilien eine sehr spannende und in meinen Augen sehr wichtige Frage.
Wie wir unsere Gefühle dazu sortieren beantwortet aber nicht die Polygamie sondern das tut die Polyamorie oder auch eine Beziehungsanarchie viel eher. Welcher Ansatz hier gewählt wird, muss sich durch Ausleben ergeben. Sicher spielen da Orientierungslosigkeit bei Lebensentwürfen und fehlende Beziehungsvorbilder eine sehr entscheidende Rolle. Aber dies bedürfte ganz anderer Diskussionen.
Es gibt einen Trend: Der Trend zur Auflösung tradierter Rollenbilder und Familienstrukturen. Der beschleunigt sich durch externe Faktoren, wie die alternde Gesellschaft und die Gleichberechtigung auch immer mehr. Wie wir aus staatlicher/organisatorischer Sicht damit umgehen ist eine rechtliche Frage. Wie wir unsere Emotionen da mit abbilden ist eine gesellschaftliche Frage. Ob Polyamorie auf letzteres und Polygamie auf ersteres DIE Antwort ist, mag ich stark bezweifeln. Ist es eine mögliche Antwort: Ja.