Komisch.
Keine Ahnung, ob ich zu einfach denke und fühle, aber - mir fallen hier in der Gruppe und den Diskussionen auch immer wieder Dogmen auf. Aber ehrlich gesagt auch schon im Eingangsthread.
Vielleicht bin ich wirklich zu einfach gestrickt, denn ich habe aus einer Haltung heraus, ob nun politisch, spirituell, religiös oder sonstwie mental, noch nie eine Erektion bekommen können; noch nicht einmal den Ansatz von Lust, und wirklich schon garnicht von Verliebtheit. Irgendwie passiert mir das einfach. Ich fühle mich angesprochen, bin neugierig, irgendetwas schwingt da plötzlich anders und irgendwie miteinander.
Und für mich ging das auch genauso los: ich war in einer liebevolle Beziehung und habe mich dennoch in einen anderen Menschen verliebt. Und genau da ging das Chaos los. Von schlechtem Gewissen (das darfst du nicht; liebst du deinen Partner nicht genug?) über Angst, dem Partner weh zu tun (Liebe heisst doch, den Anderen nicht zu verletzen, oder?), über Unsicherheit (bist du nicht verbindlich oder gar beziehungsunfähig?) bis hin zu ganz kleinen, ganz spitzen Nadeln, die mich pieksten und in grosse Scham und Selbstzweifel führten.
Und alle Bücher, die ich gelesen habe zu dem Thema, ob nun in Form von Case-Studies oder mit Focus auf Eifersucht und Selbstwert und Gesellschafts- und Gemeinschaftsgestaltung, alle diese Bücher gingen davon aus, das man sich verlieben kann, auch wenn man in Liebe ist. Und in vielfältigster Weise wird besprochen und diskutiert und reflektiert, wie man damit umgehen kann. Wie man es leben kann, was vielleicht daran hindert. Was die eigene Sozialisation und Erziehung damit zu tun hat, und was die gesamte Kultur- und Gesellschaftsgeschichte und Gemeinschaftsform damit zu tun hat. Aber immer ausgegangen vom Einzelnen, der als Individuum in genau diese Situation gelangt: ich liebe und verliebe mich dennoch und ich möchte das gern zu leben versuchen.
Und genau da und genau deswegen finde ich es völlig komisch, irgendwelche Allgemeinaussagen zu machen, und das schon im Ansatz. Was jeder unter Liebe versteht und was er da lebt, das ist seine Sache, seine Welt und seine Gefühle, die er wirklich nur mit demjenigen abgleichen und austarieren muss, mit dem er in Beziehung geht. Und wenn er mit mehreren in Beziehung geht, dann muss es eben unter diesen klar gemacht werden - aber nur unter diesen. Mit ist völlig unverständlich, wie man überhaupt auf die Idee kommt, irgendjemandem klarmachen zu wollen, was denn bitte Liebe und Poly ist und was nicht. Und ja: in Offenheit und Ehrlichkeit mehrere zu lieben unterscheidet sich Poly von kürzeren oder längeren Affären, die heimlich geführt werden.
Ich für mich bemerke an mir selbst immer wieder, das ich allgemeingültige Aussagen, Glaubenssätze und damit letztlich Dogmen dann brauche, wenn ich unsicher bin und irgendwie einen Halt oder eine Autorität brauche, an die ich mich anlehnen kann und die ich anderen auch irgendwie als Erklärung, als Rechtfertigung für mein Denken, Fühlen und Handeln nennen kann. Ich versuche das zumindest wahrzunehmen, schlicht um mir auch klar zu machen, das das Konstruktionen und Erklärungen sind, die morgen garnicht mehr stimmen müssen und die ich morgen hoffentlich nicht mehr brauche - und die auf andere überhaupt nicht zu übertragen sind. Wir müssen uns überhaupt nicht einig sein, das dies oder das genau so zu sehen ist.
Was mir aber echt supermäßig aufstösst, ist diese Diskussion um Polyamorie und Sex. Ich kann ja Poly sein ohne Sex - ich kann ja mehrere lieben, ohne mit ihnen Sex zu haben.
Klasse das ihr das könnt. Ich finde es ehrlich gesagt anmaßend, sich damit als polyamor zu bezeichnen. Denn im Umkehrschluss heisst das, das tausende von Generationen und Millionen von Menschen entweder sowieso polyamor waren und sind oder schlicht nicht lieben konnten oder können. Oder wollt Ihr die Menschen nicht sehen, die ihre Beziehungen definitiv exclusiv und monogam leben - und zwar sexuell, und über diese Beziehung hinaus sehr wohl andere Menschen lieben, aber eben definitiv nicht sexuell?