Weil Furchtlosigkeit erlernt werden muss
Weil wir Menschen widersprüchliche Menschen sind.
Wir haben die Gabe, hochkompexe Strukturen zu schaffen, sogar virtuelle Realitäten, wir können Religionen bilden, Rechner programmieren, Stoffe herstellen, die die Natur nicht kennt, und "online" und mit Daten rein gedankliche und zugleich stabile Welten erschaffen, deren Existenz völlig real erscheint, obwohl sie durch die ihnen zu Grunde liegenden physikalischen Vorgänge in dieser Bedeutung auch nicht andeutungsweise zu erfassen sind.
Und sobald ich ein Brötchen zum Essen in der Hand habe, wünscht mir ein guter Mann, der jeden Tag gute Arbeit mit seinen Händen leistet: "Guten HUNGER!" Nein, es geht nicht um Appetit, die feine Schwester in der Magengrube und im Gehirn, es geht um HUNGER. Also um "Magen voll". Er ist auf eine gewisse Weise ehrlich.
Und so ist es noch viel mehr beim Sex, dem Ursprünglichsten aller Verlangen. Auch das primitive Pantoffeltierchen im Schulmikroskop hatte es irgendwie. Wir Menschen sind fähig, auch dieses Bedürfnis auf komplexe Weise zu kultivieren. Doch sind wir im "guten HUNGER" und um anerzogene Weisheiten.
Einerseits werden wir biologische Geschlechterunterschiede spüren. Das Menschenweibchen begibt sich traditionell mit jedem Geschlechtsverkehr in die potentielle Lebensgefahr einer Schwangerschaft. Ihre Gefahr beruht darauf, dass das Menschenmännchen und sein Anhang sie im Moment größter Schwäche verlassen könnte.
Das Menschenmännchen kann potentiell in jeder Nacht mindestens ein Kind zeugen. Seine Gefahr besteht darin, dass seine Erwerbskraft durch "Kuckukskinder" geschmälert wird und seine Empathie so ausgenutzt wird.
Und wir haben eine jahrtausendealte Sexualkultur, die auf diesen Prämissen aufbaut. "Pater semper incertas" (römischer Rechtssatz = "der Vater ist immer unsicher") und das Verdammen des "Fremdgehens" der Frau (während bei Männern ein anderer Maßstab angelegt wird) beruht auf diesen Umständen. Und es war irgendwie auch gerecht und galt als Allgemeingut.
So, und nun haben wir seit gerade einmal 20 Jahren eine andere Situation. Es gibt absolut zuverlässige DNA-Tests und auch Verhütungsmethoden sowie verlässliche Sozialsicherungssysteme. Niemand muss unwillentlich ein Kind bekommen. Wenn ein Kind kommt, besteht normalerweise keine Lebensgefahr, und das größte Risiko der Frau besteht darin, dass ein Urlaub platzt und die Figur bei allergrößten Problemen hinterher nicht mehr Extremanforderungen entspricht.
Diese Veränderungen spüren wir nun, vor allem diejenigen, denen ihre Sexualität sehr wichtig ist. Und wir stellen uns Rätsel. Wie kann die Neugier auf fremde Haut denn erklärt werden?
Die Antwort ist: Es ist Neugier. Es ist eine ganz andere Triebfeder des Menschen, die Magellan und Cook als Männer und Merian und Curie als Frauen extrem angetrieben hatten.
Wir werden uns darüber bewusster, dass wir als Menschen seit kürzester Zeit auch risikofreier sehr bewusst andere Menschen kennenlernen können, bei denen uns schlicht die Neugier und der Geschlechstrieb dazu bringt, dass wir uns fragen, wie sich die Haut, der Körper, der Geruch und Geschmack anfühlen mögen.
Es wird immer etwas Besonderes sein, den Geruch und den Geschmack kennezulernen, den ein attraktiver Mitmensch zwischen den Schenkeln trägt. Bloß werden wir diese Neugier bald nicht mehr wegen überkommener Vorstellungen verbergen müssen.
In dieser Hoffnung
COBerlin (Er)