Eine Leerveranstaltung
Eine Leerveranstaltung „Sehr verehrte Studentinnen und Studenten, herzlich willkommen zu meiner Vorlesung über das Verhalten der Bewohner des mysteriösen Kultiversums. Erst in den letzten Monaten ist es uns gelungen, näheres über dieses extrem schwer zu durchschauende Leben dieser Spezies herauszufinden. Ich bin sicher, dass Sie dieser Vortrag in seiner Brisanz fesseln wird.“
Wir befinden uns im Leersaal der Fakultät für Unbestimmte Theorien an der Roswitha-Dornimfinger-Universität in Feiglingburg am Hohen Gipfel. Die Galaxie heißt nicht Milchstrasse. Sie heißt Anders.
Die Andorianer, so wie sie sich selber nennen, sind ein einfaches Volk. Ihr Lebensraum erstreckt sich auf den Planeten Anders, dort ist es immer angenehm warm, was Kleidung im Großen und Ganzen überflüssig macht. Ein Paradies für Anhänger des FKK. Nur Personen der Bildungsschicht und der politischen Elite verhüllen ihre nicht unbeträchtliche Leibesfülle mit Stoffen, die sie von anderen Planeten importieren, meist sind es Talare. Im Gegenzug tauschen sie Wärme und den Luxus eines leichten Lebens.
5 Studenten blicken den Vortragenden aus gelangweilten Augen an. Sie fragen sich schon, was sie in die Vorlesung dieses Irren getrieben hatte. Keinen interessierte das Thema. Ab und zu macht man etwas und im Nachhinein oder wenn man mittendrin steckt ist es nicht mehr so schön, wie man zu Beginn gemeint hat.
„Herr Prof. Was ist denn das Kultiversum? Davon hör ich heute zum Ersten Mal.“ Manche Studenten lernen es nie. Besonders im Leersaal der Fakultät für Unbestimmte Theorien, sollte das Köpfchen leer bleiben, um es später mit Interessanterem zu füllen, z.B. damit: warum ist es so, dass sich immer eine rote (wahlweise schwarze) Socke zur Weißwäsche verirrt, so dass die ganze Wäsche dann in einem zarten Rosa (wahlweise langweiliges grau) erstrahlt. Kann mir das mal jemand sagen?
Hilfried Hilfgut war einer der eifrigsten Studenten auf der Roswitha-Dornimfinger-Universität, wenn nicht sogar der eifrigste.
„Ich erklär Ihnen gleich, was das Kultiversum ist. Es liegt in einer weit entfernten Galaxie, die sie MilkyWay nennen. Fragt mich nicht warum das so ist, es ist eben ein Name. Ihren Planeten nennen sie Erde, das liegt wahrscheinlich an dem vielen Dreck, der dort herumliegt. Ganze Berge voll Dreck und Unrat, also erdig, wie wir sagen würden.“ Der alte Professor, der ja eigentlich noch gar nicht so alt ist, aber durch seine Halbglatze alt erscheint, streicht sich über den Bauch, er hat viele Bauchmuskeln, gut getarnt unter einer hübschen Wölbung und diese wiederum wird von einem schwarzen Talar verborgen. Zum Teil zumindest. Talare sind wahrscheinlich im Universum die weit verbreitedsten Kleidungsstücke überhaupt. So ein Mantel ist eine universelle Erfindung.
„Also, liebe Studierende“, Höflichkeit ist auch eine normale Angewohnheit der Andorianer. „Das Kultiversum.“ Professor Lebgut Apfeltart faltet seine Hände über den Bauch und räuspert sich. Er ist es nicht gewohnt, vor so vielen Studenten zu sprechen. Seine Lehrstunden zeichnen sich eigentlich sonst nur durch Leere aus, die er mit allen möglichen Leckereien ausfüllt, deshalb ist er etwas verunsichert. Er fragt sich auch, was die 5 Studenten in seine Vorlesung getrieben hat. Seine Studien sind nicht von Erfolg geprägt, aber darum geht es ihm auch nicht. Erfolg ist etwas, das den Andorianern auch nicht wichtig ist, neben der textilen Körperverhüllung.
„Das Kultiversum“, sein Blick fliegt zur Zimmerdecke. „Einmal die Begriffserklärung, warum nennen wir es Kultiversum, es leitet sich von dem Wort Kultur ab. Die Einwohner benutzen es für alle möglichen Tätigkeiten. Es gibt eine Kultur der Landwirtschaft, der Kunst, des Krieges und des Lebens. Das Wort wurde wahrscheinlich, da sind sich unsere Forscher nicht sicher, von einem Mann namens Kurt Kultur geprägt, der eines Tages der Ansicht war, dieses Phänomen brauche eine Bezeichnung, so nannte er es nach sich selbst. Die Einwohner produzieren alle möglichen Dinge, ob sie sie nun brauchen oder nicht und machen dafür auch noch Werbung. Notieren sie sich bitte diesen Begriff. Er wurde von einer Frau namens Werbena Bung geprägt, sie verkaufte jede Menge Zeug, das die Menschen nicht brauchten, da ist der Begriff Werbung entstanden.“
Eine eifrige Hand fährt nach oben(wieder Student Hilfgut) „Herr Professor, was ist Mensch?“
„Ach ja, so nennen sie sich selber. Menschen. Viel Sch und sonst nicht viel los. Sie sind im wesentlichen wie wir gebaut, enthalten aber sehr viel mehr Wasser und ihre Köpfe sind im Vergleich zum restlichen Körper etwas kleiner, was nicht gerade auf eine großartige Intelligenz schließen lässt.“
„Professor! Das ist aber jetzt diskriminierend“, empört sich einer der Studenten Hilfried Hilfgut, er hatte noch nie irgendeine Vorlesung verpasst. Ihm machte es Spaß, stundenlang auf den unbequemen Sesseln zu sitzen und sich voll quatschen zu lassen.
„Ich weiß das, Student. Aber der Schluss ist nahe liegend. Und ich habe nicht gegen das Diskriminierungsgesetz von Anno 2893 verstoßen, weil ich nur einen Schluss gezogen habe und es nicht als allgemeingültige Wahrheit dargestellt habe. Siehe auch Diskriminierungsgesetz von 2198. Also, zurück zu den Menschen. Sie produzieren wie die Wilden, alles was sie brauchen und auch, das was sie nicht brauchen. Den Rest werfen sie weg. Sie verwenden den Großteil ihres wachen Daseins im Großleben, sie nennen es Erwachsenenalter, mit Arbeit und Geldverdienen.“ Er unterbricht sich kurz und bedeutet den Studenten still zu sein. „Bevor einer fragt was Geld ist, dahinter sind wir noch nicht so ganz gekommen. Es ist etwas zum Tauschen, scheint auf den ersten Blick aber vollkommen wertlos zu sein. Also, ich würde dafür keinen Talar bekommen. Die Talarianer würden mich von ihrem Mond schmeißen. Geld scheint für die meisten Menschen sehr wichtig zu sein. Sie nehmen es so wichtig, dass einige damit sogar schlafen.“
Im Saal entsteht Gekicher. Der Vortragende wir rot.
„So war es nicht gemeint. Beruhigen Sie sich wieder.“ Er wartet einige Minuten. Als es unter den 5 Anwesenden wieder zur Ruhe kommt fährt er fort: „Sie haben damit keineswegs Geschlechtsverkehr, wie sie irrtümlich angenommen haben. Sie legen es unter die Matratze, damit es keiner stehlen kann. Manche sperren es sogar in eigens dafür gebauten und wieder verkaufen Schränken ein. Ja, das ist ihr Tauschmittel. Wie mir einer der Forschungsreisenden mitgeteilt hat, gibt es sehr viel dieses Tauschmittels auf der Erde, das jedoch auf nur wenige Menschen verteilt ist. Ich meine, die wenigsten besitzen am meisten. Diese haben dann immer Angst, dass ihnen die große Gruppe das Geld wegnimmt. Das ist dann die Kultur des Geldes, wie es Otto Orthograph nennt. Dann haben wir noch die Kultur der Landwirtschaft, das ist einfach und leicht zu verstehen … sie bauen Obst, Gemüse und Getreide an, in eigens dafür errichteten Einheiten, die sie Bauernhöfe nennen. Sie züchten auch Tiere, die sie dann töten und essen.“
Von der letzten Reihe sind Würgegeräusche zu hören.
„Sie müssen es ja nicht essen. Nur zuhören. Ich weiß, dass es eklig und ungesund ist. Aber es geht hier nicht um uns, sondern um die Kultur.“ Er macht wieder eine Gedankenpause.
„Die Kultur des Krieges ist sehr interessant. Die Menschen haben ein Problem. Sobald einer eine Waffe erfindet, geht er her und schreit: ‚Schaut euch das geile Ding mal an, damit kann ich sicher einen ganzen Landstrich entvölkern.’ Dann applaudieren alle und schon wird sie ausprobiert. Dann wollen andere auch diese geile Waffe haben. Weil unter den Menschen ein ständiger Wettbewerb herrscht, häufen sich die Waffen bereits ins Unermessliche. Keiner weiß, was damit geschehen soll. So haben sie die Kultur des Krieges geschaffen. Es geht auch darum, das zu erobern, was andere haben und man selber nicht. Land z.B., oder Bodenschätze. Zuletzt war etwas wegen irgendeinem schwarzen klebrigen Zeug, das aus dem Sand geholt wird. Es soll ganz eklig schmecken und ist sicher nicht essbar. Herr Orthograph hat gesagt, dass sie damit ihre stinkenden Fahrzeuge antreiben. Auch das gehört zu ihrer Kultur. Fahrzeuge. Wir haben unsere Luftschwebekissen, das ist doch viel besser.“ Er macht wieder eine Pause und kramt in seinen Unterlagen. Eine gewisse Unruhe macht sich in der letzten Reihe breit. Den Studenten dauert der Vortrag schon etwas zu lang. Sebrina Sextant wippt schon vor und zurück. Ihr tut der Rücken weh und sie würde sich über eine Pause sehr freuen, auch deshalb, weil Herbi Herbstblues, ihr immer über den Schenkel streicht. Es ist zwar alles ganz harmlos und lieb gemeint, aber diese Handlung regt bei ihr immer die Harnausschüttung an. Ihr Gesichtsausdruck ist schon ganz verkniffen.
„Ich würde sagen“, beginnt der Professor wieder, „wir machen beim Kultur des Lebens, der Kunst und des Todes weiter. Ganz kurz nur, damit Sie dann noch eine schöne Pause haben, bevor hier der nächste Kurs beginnt.“
Hoffnungsvolles Raunen macht sich breit.
„Die Kultur der Kunst, umfasst die Erzeugung von textilen Geweben und Kleidungsstücken. Produkten des täglichen Bedarfs, wie Nahrung, und dann die vielen Dinge, die kein Lebewesen für irgendetwas braucht. Ich habe ja bereits erwähnt, falls nicht, mach ich es jetzt, dass die Menschen immer Kleidung tragen, also, fast alle und das ständig, auch nachts und im Hochsommer bei 30 Grad im Schatten. Irgendwas hat ein Mensch immer an. Es scheint so, als würden sie sich schämen, dass sie eine Haut haben. Dann gibt es noch die Kultur des Lebens und des Todes, das beinhaltet natürlich die Entwicklung vom Kleinwesen, sie nennen es Kind, bis zum Großgewordenen. Erst wenn sie Großgeworden sind, dürfen sie den Geschlechtsakt vollziehen, aber nicht mit dem eigenen Geschlecht, das ist eine unverzeihliche Tat und wird hart bestraft. Erst zu diesem Zeitpunkt, sehen sich die Geschlechter zum ersten Mal nackt.“ In der letzten Reihe biegen sich die Studenten vor lachen. Nur Sebrina Sextant lacht nicht, sie hat mit ihrer Blase zu kämpfen. Der Professor wartet bis wieder Ruhe herrscht, dann fährt er fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben: „Zur Kultur des Lebens und des Todes gehört auch so was Sonderbares und schwer zu Greifendes wie Religion. Noch immer suchen unsere Forscher nach einem Sinn hinter diesem Phänomen. Religion stachelt die Menschen zu Taten an, die man nicht für möglich hält. Manche haben sich sogar der Kultur des Krieges bedient. Aber die Religionen sind auch dafür verantwortlich, dass die Menschen Kunst entwickelt haben. Kunst ist etwas, das auch wir sehr gut verstehen. Weil wir leben ja die Kunst. Wir sind Kunst. Die Religion wickelt auch zum sehr großen Teil die Kultur des Todes ab. Was bei uns selbstverständlich ist, wird dort mit riesigem Tamtam verneint. Wir wissen, dass wir auf die Welt kommen, dann leben wir ein bisschen und schließlich werden wir wieder zu Boden, der in hundert Jahren erodiert ist.
Ein weiterer Teilaspekt der Kultur des Lebens und des Todes ist, die Kultur der Verschwendung und des Mülls. Dadurch, dass die Menschen soviel produzieren, und meistens Dinge, die sie nicht brauchen, entsteht viel Abfall, auch Müll genannt. Dieser Müll wird gesammelt und dann gewaschen und zusammengedrückt in riesige Behälter gebracht. Jedes Ding hat seinen eigenen Behälter. Dann kommt in regelmäßigen Abständen ein großes Fahrzeug daher und bringt die getrennten Dinge weg. Alles zusammen kommt dann auf eine Mülldeponie, das Mülltiversum. Dort wird der Müll dann gelagert, um schließlich verbrannt zu werden.“ Er macht eine beredte Pause, ist aber so weit mit seinem Vortrag zu Ende.
„Das war’s dann. Ich hoffe, wir sehen uns bei der nächsten Vorlesung zum Thema „Verschwendungssucht im Kultiversum“ in 14 Tagen wieder.“
Sein Blick und sein Tonfall sind nicht sehr hoffnungsvoll.
„Tschuldigung“, ruft Sebrina springt auf und schwebt aufs Klo, als wär der Teufel hinter ihr her.
Der Professor ist irritiert. War sein Vortrag so schlecht?
„Wiedersehen, Prof. Weiß noch nicht, ob ich in 2 Wochen wieder kann. Hab noch andere Vorlesungen“, das war wieder Herr Hilfgut.
Professor Apfeltart packt seine Sachen zusammen. Er freut sich schon, wenn er in der Cafeteria ein Glas Wasser und einen Apfelkern bekommt.
Der Leersaal kommt wieder in seinen ursprünglichen Zustand, er ist leer. 5 weitere Andorianer wissen jetzt, was Kultur ist und woher sie kommt. Zumindest glauben sie es zu wissen.
Aber wer weiß?
©Herta 6/2009