Shiobhans neue Reisebegleiter
Zwei Tage später saß Siobhan im voll geladenen, dunkelgrünen Studebaker Lark Wagonaire auf dem Weg Richtung Süden.
Zelt, Schlafsack, Kleidung und Proviant im Kofferraum, das Dach ganz nach hinten geschoben und das Radio zu voller Lautstärke aufgedreht, war Shiobhan auf dem Weg in das Abenteuer ihres Lebens.
Der kräftige 8-Zylinder brummte vor sich hin und brachte sie mit jeder Meile New York näher.
Shiobhan folgte der Straße in Richtung Redding, genoss den blauen Himmel, den strahlenden Sonnenschein und sang lauthals zum zweiten Mal den Refrain von Rockin' Round the World
"Rockin' all around the world
Come on boys now haven't you heard?
Come on girls did you get the word?
They're rockin' all around the world,
Rockin' round the world."
als sie eine einsame Gestalt am Straßenrand wahrnahm.
Ein junger Mann marschierte, einen prall gefüllten Seesack über die Schulter geworfen am Rande entlang und hielt lachend den Daumen in die Luft.
'Das ist doch....... Ist doch wohl nicht wahr......' Shiobhan drosselte die Geschwindigkeit und hielt kurz darauf in Höhe des hochgewachsenen, ihr wohlbekannten Mannes. Sie zog die Handbremse an, stoppte den Motor, kletterte auf den Fahrersitz und schob sich durch die Dachluke.
„Takeo“, strahlte sie ihn an. „Was machst du denn hier? Läufst du mit deinem Seesack spazieren? Du willst doch wohl nicht nach Redding zum Musterungsbüro?“
Takeo war ihr bester Freund, seit sie denken konnte. Beide hatten es nicht immer leicht gehabt als Exoten in ihrer kleinen Stadt im weißen Amerika, sie mit ihrer dunklen Haut und den grünen Augen und er als Japaner, aber immer noch einfacher als Farbige und Menschen mit ausländischen Wurzeln im Süden der Staaten. Trotzdem hatten auch sie sich gegen Neid, Vorurteile und zeitweise auch versteckten oder unverhohlenen Hass zur Wehr setzen müssen.
Das hatte sie zusammen geschweißt, und Takeo war gar nicht begeistert gewesen, als er von Shiobhans Plänen erfahren hatte.
Nun stand er da, grinste über das ganze Gesicht und ließ den schweren Sack langsam zu Boden sinken.
„Hallo, meine Schöne. Nein, ich bin sicher nicht auf dem Weg zum Musterungsbüro. Ich werde mich bestimmt nicht in diesem ungerechten Krieg verheizen lassen. Aber ich hatte die Hoffnung, dass du mich mitnimmst nach Woodstock. Ich kann dich doch nicht so alleine durch die Gegend fahren lassen, ganz ohne Schutz. Also, wie sieht es aus? Willst du mich noch weiter anstarren oder kommst du jetzt mal raus, damit ich dich umarmen kann, und wir dann weiter fahren können?“
Geschmeidig kletterte Shiobhan aus dem Wagonaire, lief um die Motorhaube herum und warf sich ihrem Freund in die Arme. Lachend umfing er sie mit seinen Armen, drehte sich mit ihr im Kreis und drückte ihr einen zärtliche Kuss auf die roten Lippen, nachdem er sie vorsichtig wieder auf die Füße gestellt hatte.
„So, und nun lass uns in das Abenteuer unseres Lebens starten.“
Takeo warf seine Habseligkeiten in den Kofferraum und sich selbst auf den Beifahrersitz. „Nun komm schon, lass uns fahren, wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“
Shiobhan krabbelte noch kurz nach hinten, beförderte zwei Flaschen Cola nach vorn und setzte sich wieder hinter das Steuer.
Takeo öffnete die Flaschen, drehte das Radio wieder auf volle Lautstärke und gut gelaunt ließen sie Meile um Meile hinter sich. Sie passierten Redding, fuhren über die 44 durch den Lassen Volcanic National Park und kurz hinter Chester am Alamor Lake tauchte die Sonne mit ihrem Abendrot die Welt in mystische Farben, aus dem Radio klang Joan Baez' Stimme mit den Zeilen:
„Let me wrap you in my warm and tender love, yeah
Let me wrap you in my warm and tender love
Oh, I loved you for a long, long time
Darling, please say you'll be mine
And let me wrap you in my warm and tender love ...“
als Shiobhan am Straßenrand eine humpelnde Gestalt entdeckte.
Sie trat so heftig auf die Bremse, dass Takeo seine Hand, mit der er gedankenverloren ihren Oberschenkel gestreichelt hatte, ruckartig wegzog.
„Was ist denn in dich gefahren?“
„Da ist ein verletzter Hund am Straßenrand. Lass uns mal nachgucken, ob wir ihm helfen können.“ Kaum hatte Shiobhan ausgesprochen, als sie auch schon aus dem Studebaker kletterte und sich dem Hund näherte.
Dieser duckte sich sofort in den Graben und sah sie aus traurigen Augen, jedoch nicht ängstlich an.
„Sch..... ist gut. Ich, wir wollen dir bloß helfen. Lass mal sehen.“ Die junge Frau beugte sich vorsichtig zu dem Hund, der zitternd seinen rechten Hinterlauf in die Höhe hielt, hinunter.
„Was ist dir denn passiert? Lass mich mal sehen.“ Shiobhan ging in die Hocke, konnte aber nicht genug sehen, denn es war schon zu dunkel, und so rief sie Takeo zu, die Taschenlampe aus dem Handschuhfach zu bringen.
Der kam auch sofort, und zusammen sahen sie sich das Tier und die Verletzung an.
„Sie hat sich eine Glasscherbe in den Fuß getreten“, stellte Shiobhan fest. „Hol mir doch bitte mal den Erste Hilfe Kasten aus dem Wagen.“
Keine Minute später war Takeo wieder bei ihr und half, das Tier, wie sich herausstellte eine Hündin, zu verarzten.
Die Hündin lies die Prozedur mit leisem Winseln über sich ergehen und leckte den beiden dankbar die Hände, als sie die Scherbe entfernt und einen Verband angelegt hatten.
„Was machen wir denn jetzt mit ihr?“ Ratlos sah Takeo das Tier, welches vertrauensvoll seinen Kopf in Shiobhans Schoß gelegt hatte, an.
„Wir nehmen sie mit und pflegen sie gesund. Sieht sowieso aus, als ob sie uns adoptiert hat.“
Nach einem kurzen, inneren Kampf und einem Blick in die Augen seiner Freundin lud der junge Mann sich die Hündin auf die Arme und trug sie zum Auto, wo er sie behutsam auf die Rückbank bettete.
„Na gut, Joan, dann setzen wir unsere Reise zu dritt fort.“
„Wieso Joan?“ wollte Shiobhan wissen.
„Weil du sie gefunden hast, als Joan Baez gesungen hat, und weil der Text außerdem auch prima passte. Und jetzt lass uns weiterfahren, es wird schon langsam dunkel. Ich fahre jetzt und du kümmerst dich um Joan.“
Takeo schwang sich hinters Steuer und Shiobhan holte noch schnell eine Flasche Wasser aus dem Kofferraum, um „Joan“ zu versorgen, und schon ging es weiter auf ihrem Weg zur nächsten „Überraschung“.
Diese Überraschung erwartete sie oberhalb des Buks Lake in Form von durch die Bäume schimmernder Lichter, die sich zu einem Camp gehörig herausstellten und eines Ford Mustang Cabrio, in dem sich ein Paar völlig ungeniert vergnügte.
Ansonsten schien da nicht allzuviel los zu sein. Schienen alle schon zu schlafen oder im Koma zu liegen.
Shiobhan und Takeo schauten sich an, parkten den Wagen, ließen die Szene auf sich wirken und beschlossen, zusammen mit „Joan“ hier ihr Lager aufzuschlagen.
Im Hintergrund lief Melanies
"Beautiful people
You live in the same world as I do
But somehow I never noticed
You before today
I'm ashamed to say
Beautiful people
We share the same back door
And it isn't right
We never met before
But then
We may never meet again
If I weren't afraid you'd laugh at me
I would run and take all your hands
And I'd gather everyone together for a day
And when we gather'd
I'll pass buttons out that say
Beautiful people
Then you'd never have to be alone
'Cause there'll always be someone
With the same button on as you
Include him in everything you do
Beautiful people
You ride the same subway
As I do ev'ry morning
That's got to tell you something
We've got so much in common
I go the same direction that you do
So if you take care of me
Maybe I'll take care of you
Beautiful people
You look like friends of mine
And it's about time
That someone said it here and now
I make a vow that some time, somehow
I'll have a meeting
Invite ev'ryone you know
I'll pass out buttons to
The ones who come to show
Beautiful people
Never have to be alone
'Cause there'll always be someone
With the same button on as you
Include him in ev'rything you do
He may be sitting right next to you
He may be beautiful people too
And if you take care of him
Maybe I'll take care of you
And if you take care of him
Maybe I'll take care of you...
People."
© DieTraumweber, März 2019