Einmal allerdings wurde ich vor Publikum nackt gemacht. Jedoch nicht beim Schul-, sondern beim Kinderarzt, als ich ungefähr elf oder zwölf Jahre alt war.
Bei diesem Kinderarzt gab es zwischen Warte- und Behandlungszimmer einen sogenannten Vorbereitungsraum. Typisch waren zwei oder drei Kinder mit ihren Begleitpersonen dort, um das Ablegen von Hemd, evtl. Hose oder Verbänden vorab zu erledigen, damit diese Zeit beim Arzt gespart wird. Selten einmal, dass einem Kleinkind dort Fieber gemessen wurde.
An jenem Tag waren im Vorbereitungszimmer mit rund zwei Dutzend Personen sehr viele anwesend. Auf vier hintereinander gereihten Arztliegen an der Fensterseite saßen auf dreien etliche Kleinkinder nebeneinander. Auf der vierten saß nur eines, daneben lag ein Kind im Vorschulalter auf dem Bauch mit heruntergezogener Hose zum rektalen Fiebermessen. Sichtblenden gab es keine. Lediglich, dass diese Arztliege in der Zimmerecke abseits der Fenster im dunkleren Bereich stand.
Die wenigen Stühle im Raum waren von älteren und schwangeren Begleitpersonen besetzt. Alle anderen, auch Kinder im Schulalter standen herum. Die Arzthelferinnen schienen wegen des enormen Andrangs recht nervös, zumal auch einigen Eltern es zu langsam voranging. Ob deshalb so viel wie sonst nie Fieber gemessen wurde, um für Abwechslung sorgen oder den Anschein von schnellerem an-Reihe-kommen zu wecken, wird wohl ein Geheimnis bleiben.
Wenn ein Kind bis maximal Vorschulalter gemessen worden war, kam meist gleich das nächste auf die Liege in der dunkleren Ecke des Raumes. Einmal wurden gleichzeitig zwei schlanke Kleinkinder zum Messen dorthin beordert.
Dann kam eine Arzthelferin mit Thermometer in der Hand auf meine Mutter zu, die mit mir mitten im Raum stand. Sie fragte, ob mir vor den Gang zum Arzt Fieber gemessen worden wäre. Auf das kurze Schweigen sagte ich, dass ich kein Fieber habe. Auf Nachfrage erklärte ich, dass ich am Vorabend kein Fieber hatte und die Morgentemperatur noch niedriger ist.
Damit schien ich den Eifer der Krankenschwester umso mehr geweckt zu haben. Sie ging zu der Liege direkt an einem großen Fenster, um die zwei dort sitzenden Kinder wegzuscheuchen und mich her zu bitten. Meine Mutter schob mich hin. Ich begann leise zu protestieren. Die Arzthelferin forderte ultimativ von mir, auf die Untersuchungsliege zu klettern und mich hinzulegen.
Damit wurde unmissverständlich klar, was mir zugedacht war. Ich protestierte deutlicher und blieb vor der Liege stehen. Meiner Mutter schien es unangenehm zu sein, wollte alles nur schnell über die Bühne bringen, forderte mich auf, endlich das zu tun, was von mir erwartet wird. Ich leistete nur noch geringen passiven Widerstand. Halb ließ ich mich von meiner Mutter und der Schwester auf die Liege hochschieben. Irgendwie lag ich dann auf dem Bauch mit bis zum Brustkorb hochgeschobenen Hemden und weit heruntergezogenen Hosen dort.
Durch das große Fenster an der Liege war das alles ins helle Licht gerückt. Heftig zog man mir die Pobacken auseinander. Fast schmerzhaft bekam ich das Fieberthermometer in meinen Hintern, so dass ich vor Schreck zuckte. "Nun halte still!" hörte ich. Als ich mich bewegte, um bequemer zu liegen, spürte ich sofort vom Thermometer ausgehend einen Schmerz, woraufhin ich es vorzog, zu erstarren. Ein beständiger unangenehmer Druck wurde wie eine Drohung aufrecht erhalten. Ich war wütend über diese beschämende Zurschaustellung mit dem vermutlich absichtlichen Anwenden von Schmerz zu meiner Ruhigstellung - so deute ich es heute im Rückblick.
Nachdem das Fiebermessen vorbei war, hob ich den Kopf und schaute ich die Runde. Viele Kinder sahen mich verunsichertem Gesichtsausdruck an. Die Erwachsenen ab 30 Jahre taten desinteressiert, egal ob sie ab- oder zu mir zugewandt waren. Lediglich bei jüngeren Müttern mit Kleinkindern glaubte ich zu meinem Entsetzen fast schon freudiges Interesse zu sehen.
Meine Mutter war arg gefrustet. Nach dem Verlassen der Arztpraxis entluden sich die angestauten Emotionen. Vorwürfe, wie ich denn vor allen Eltern und Kindern solche Szenen machen könnte, alle seien entsetzt gewesen, so dass sich meine Mutter nur noch unglaublich schämen konnte, weil alle ihre Liebe und Erziehung offensichtlich nichts genutzt hätte usw. usf. da ich mich so ungezogen verhalten habe, anstatt brav wie die Vorschulkinder alles still mitzumachen.
An diese Episode erinnerte ich mich nur einmal schwach vor einigen Jahren.
Mit dem hier eröffneten Thema durchkramte ich mein Gedächtnis, ob mir irgendwann etwas zu Ohren gekommen sei. Plötzlich spulten sich viele lückenhafte Details an Selbsterlebtem wieder vor meinen Augen ab.
Solchen Ärzten und Helferinnen traue ich jetzt auch die beschriebenen übergriffigen Schuluntersuchungen zu. In meinem Bekanntenkreis war jedoch niemand betroffen oder hatte auch nur von mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten bei Schuluntersuchungen etwas gehört.