Tödliche Demut
Das rote Lederkreuz beherrschte den spärlich beleuchteten Raum. Es wirkte riesig und furchteinflößend. Die Frau, deren Arme straff mit Ledermanschetten daran gefesselt waren, erschien dagegen zart und zerbrechlich. Bis auf eine schwarze Taillenkorsage und Highheels war sie nackt.
Ein breites Lederhalsband lag zu ihren Füßen. Deutlich konnte ich noch die Striemen erkennen, die sich rot und blau gegen den Rest der milchig weißen Haut abhoben.
Eine freiwillig empfangene Züchtigung, die sie voller Demut von ihrem Dom angenommen hatte. Der Gedanke erregte und stieß mich zugleich ab. Von meinen eigenen Gefühlen irritiert, führte ich meine Betrachtung fort. An ihrem Hals und den hässlichen Würgemalen blieb ich hängen. Garantiert nicht freiwillig empfangen, schoss es mir durch den Kopf. Dass diese Session zu ihrem Tod führen würde, hatte sie sicherlich nicht geahnt.
„Ziemlich abgefahren, findest du nicht?“
Abrupt aus meinen Gedanken gerissen, wandte ich meine Augen von dem Opfer ab und schaute meinen Partner Kalle an. Mit wachem Blick sog er ebenfalls den Tatort in sich auf und kaute dabei laut schmatzend seinen Burger. Angeekelt registrierte ich, dass sein Hemd und seine Hände voll mit Ketchup beschmiert waren. Grinsend bemerkte er meinen Blick und zuckte entschuldigend mit den Schultern.
„Auch ma‘ beißen?“ und hielt mir die matschigen Reste seines Abendessens unter die Nase.
Angewidert schüttelte ich den Kopf und seufzte.
„Okay Kalle, was haben wir?“
„Das Opfer heißt Barbara Dahm, 42 Jahre alt, alleinstehend und Stammkundin in diesem BDSM-Club. Schätzungsweise seit sechs Stunden tot. Den Mord hat niemand mitbekommen. Der Clubbesitzer hat sie gefunden, nachdem alle Gäste gegangen waren und er den Laden schließen wollte. Danach hat er uns gleich informiert. Er wartet an der Bar auf uns.“
Ich nickte. Wenn man davon absah, dass Kalle ständig alles Mögliche in sich hinein stopfte und danach wie ein Schwein aussah, konnte man sich immer auf ihn verlassen. Er war der Mann für das Grobe, ich kümmerte mich um den Rest.
Der Besitzer des Clubs wartete sichtlich nervös an der Bar auf uns. Seine Hände nestelten ständig an dem Saum seines T-Shirts herum und auf seiner Halbglatze hatten sich Schweißtropfen gebildet. Gerade als ich meine Routinefragen abspulen wollte, platzte es schwallartig aus ihm heraus:
„Sie war oft hier, wissen Sie. Jeden ersten Samstag im Monat. An diesen Tagen sind immer jede Menge Solodoms da. Da sie keine feste Spielbeziehung wollte, lebte sie Ihre Leidenschaft mit wechselnden Spielpartnern aus.“
Ich dachte an das Lederkreuz, die Fesseln und die Striemen auf ihrer Haut. Und wieder fühlte ich diese seltsame Erregung in mir aufsteigen.
„Wollen Sie damit sagen, sie hat das freiwillig mit sich machen lassen?“ Die Stimme meines Partners hatte einen ungläubigen Klang angenommen.
Der Besitzer schaute ihn verwirrt an. „Aber ja! Deswegen kommen die Leute ja hierher. Barbara hatte eindeutig eine masochistische Ader und war meistens auf der Suche nach einem Sadisten. Sie brauchte das…“ Sein Blick wanderte ins Leere.
„Das heißt, Sie kannten das Opfer sehr gut?“ Verdammt, meine Fragetechnik war auch schon mal besser gewesen. Dieser Ort ging mir definitiv zu sehr unter die Haut.
„Was? Nein! Das heißt, ja klar kannte ich sie. Als Besitzer lernt man seine Stammgäste ja schon etwas besser kennen.“
Nervös huschten seine Augen hin und her.
„Können Sie uns den Namen des heutigen Spielpartners von Frau Dahm nennen?“
„Nein, tut mir leid. Ich kenne alle meine Gäste nur mit ihren Vor- oder Spitznamen. Ich akzeptiere auch keine Karten, nur Bargeld! Sie wissen schon, der Diskretion wegen.“ Verschwörerisch riss er die Augen auf.
„Dann können Sie uns aber bestimmt eine genaue Täterbeschreibung liefern.“
Er runzelte die Stirn. „Ich fürchte, auch das wird nicht gehen. Er hatte den ganzen Abend eine Ledermaske auf.“
Kalle und ich wechselten einen Blick.
„Ist nicht ungewöhnlich, wissen Sie. Es gibt viele, die nicht erkannt werden wollen…“
Meine Vorstellungskraft fing an verrückt zu spielen. Abrupt unterbrach ich ihn: „Danke, das reicht für das erste. Wir benötigen trotzdem eine Liste Ihrer gesamten Kundschaft von dem heutigen Abend!“
Ich hatte genug von diesem Ort und wollte nur noch weg hier.
Einige Tage später trug ich im Büro die bisherigen Fakten über den Mordfall zusammen. Die Spurensicherung hatte keine neuen Erkenntnisse gebracht. Der Täter hatte Handschuhe getragen und keine Spuren am Tatort hinterlassen. Auch die Zeugenbefragung war bisher ergebnislos geblieben. Das Opfer war in der Szene bekannt gewesen, von dem eigentlichen Mord hatte aber niemand etwas mitbekommen. Frustriert rieb ich mir über die Augen. In diesem Moment stürmte Kalle triumphierend in das Büro.
„Ich komme gerade von meiner letzten Zeugenbefragung. Pack deine Sachen, wir fahren zu dem Clubbesitzer. Unterwegs erkläre ich dir alles.“
Aufgeregt berichtete er mir, dass seine letzte Zeugenbefragung einen wichtigen Hinweis erbracht hatte.
„Halt dich fest! Der Clubbesitzer war bis vor kurzem der alleinige Dom unseres Mordopfers gewesen. Ist wohl während einer Session völlig durchgedreht. Hat sie dabei fast krankenhausreif geschlagen. Danach hat sie sich von ihm getrennt.“
„Somit hätten wir auch endlich ein Mordmotiv: Rache!“
Mein Instinkt sagte mir, dass die Ermittlung in die richtige Richtung ging.
Im Club fanden wir den Verdächtigen beim Gläserputzen hinter der Bar. Kalle postierte sich drohend hinter ihm und ich begann ohne Umschweife meine Befragung.
„Warum haben Sie uns verschwiegen, dass Sie der Dom von Frau Dahm waren?“
Beunruhigt warf er einen Blick hinter sich, dann zuckte er betont gelassen mit den Schultern.
„Schätze, ich fand es nicht wichtig genug.“
„Und die Tatsache, dass Sie sie fast krankenhausreif geschlagen haben. Was war damit?“
Seine wässrigen Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen.
„Sie hatte es immer gerne etwas härter. Ich habe ihr nur das gegeben, was sie gebraucht hat.“
„Sie haben die Regeln missachtet und sie schwer misshandelt. Danach hat sie sich von Ihnen getrennt und Sie damit als Dom und Clubbesitzer vor allen anderen bloßgestellt.“
Nervös fuhr er sich mit der Zunge über den Mund, seine Hände fingen an zu zucken. Wieder meldete sich mein Instinkt. Ich machte weiter.
„Bewundernswert, dass sie trotzdem weiterhin zu Ihnen in den Club gekommen ist. Muss hart für Sie gewesen sein, mit anzuschauen, wie sie sich jedes Mal einen anderen Dom aussuchte und sich dann von ihm bespielen ließ. Eine Sache, die ja eigentlich nur Ihnen zustand.“
Sein Adamsapfel hüpfte hektisch auf und ab.
„Hören Sie auf!“
„Und als sie dann noch allen erzählt hat, dass jeder andere Dom ihr es besser besorgen konnte, als Sie…“
„HÖREN SIE AUF!“ Seine Stimme überschlug sich und das Glas in seiner Hand zerbrach. Sein Gesicht hatte sich zu einer hässlichen Fratze verzogen.
„Sie hatte es verdient! Sie hat MICH verlassen und es dann mit jedem dahergelaufenen Hund getrieben! Mich so zu demütigen! Ich wollte ihr zeigen, was es heißt Demut zu empfinden und oh ja, ich habe es ihr gezeigt. Es war so einfach, mich zu verkleiden und sie von mir zu überzeugen. Der Rest war ein Kinderspiel. Einen Dom wie mich verlässt man nicht.“
Schwer atmend stand er da und schaute mich voller Befriedigung an.
„Kalle, nimm ihn fest und les ihm seine Rechte vor. Danach lass uns was essen gehen. Ich habe Lust auf einen Burger!“