HSP ist durch die im Wort enthaltene Bezeichnung
hoch sicher gerne ein Stein des Anstoßes. Warum erhöht jemand da seine Wahrnehmung? Warum gesteht er mir keine Sensibilität zu oder setzt meine Empathie herab?
Oder vielleicht gleich: Was ist denn das wieder für eine neue Modeerscheinung???
Gut, der Begriff ist bedauerlicherweise wie er ist. Die Ungläubigen bzw. diejenigen, die sich daran stoßen, dürfen dabei nur nicht vergessen, dass die Betroffenen das Wort nicht selbst erfunden haben.
Reizüberflutung ohne Filter klingt allerdings nicht besonders handlich.
Besonders schön oder angenehm finde ich persönlich diese Reizüberflutung meistens nicht. Da hilft auch kein noch so hübscher Begriff wie
Hochsensibilität. Was nutzt es mir, wenn ich lauter Geräusche gleichzeitig mitbekomme, aber das Gespräch mit meinem Gegenüber nicht mehr mitverfolgen kann, weil ich es nicht schaffe meinen Fokus darauf zu lenken?
Was nutzt es mir bei einem Fest zu sitzen, in einer Menschenmenge zu stehen oder auch bloß im Supermarkt, wenn mir von den ganzen Gerüchen und Geräuschen schon ganz schwindlig oder schlecht wird? Wenn ich nur noch Rauschen in den Ohren höre. Oder wahrnehme, dass mein Gegenüber redet, aber kein sinnerfassendes Wort oder Satz mehr bei mir ankommt.
Oder Momente, in denen ich die Duft- bzw. Parfümspur von Personen durch den ganzen Laden (und ich meine nicht die kleinen Lädchen um die Ecke) riechen kann und schon würge, weil es für mein Empfinden wohl eher die ganze Flasche Duftwasser war.
Dieser Beschreibung kann ich ebenfalls nur zustimmen:
dass man manchmal vor Schmerzen aufschreit, wo andere bisschen zusammen zucken, dass man in der Disko fast bewusstlos wird wegen des Lärms, das andere Menschen immer bisserl zu stark riechen, dass Gewürze auf der Zunge brennen, dass man von wenigen Schnapspralinen betrunken wird, in der Oper oder der Bildergalerie heult, weils soo schön dort ist
oder diese hier:
Meine Frau z. B. kann sich nicht auf das Gespräch mit mir konzentrieren, wenn viel drumherum los ist, beziehungsweise ist nach dem Restaurantbesuch unglaublich erschöpft und muss sich erstmal im Leisen und Dunklen verstecken. Eine andere Freundin dreht durch, wenn man sie auch nur leicht am Oberarm anfasst, oder wenn in 50m Entfernung jemand raucht - beides nicht unbedingt tolle "Superfähigkeiten".
Gerade in Bezug auf die Geräusche (zusammen mit den Gerüchen im Prinzip mein Haupt"problem") schreibe ich mal von zwei konkreteren Situationen:
Wir saßen zu viert im Coaching (dauert 90min). Ich konnte mich die ganze Zeit überhaupt nicht richtig auf das Gesprochene konzentrieren. Weil das einzige, was ich intensiv hörte, war der Wecker rechts neben mir auf dem Schränkchen. Ich dachte wirklich, dass mich das Ticken langsam wahnsinnig macht (ich hasse tickende Uhren, keine Ahnung wie Menschen dieses Geräusch ertragen...). Nach ca. 80min war ich so entnervt, das mir ein halblauter Satz entwich: "Irgendwann erschlag ich diese Uhr!"
Worauf die beiden Coacher vollkommen perplex fragten, warum ich denn nichts gesagt hätte?
--> Ganz einfach, weil es ihre Uhr und ihre Räumlichkeiten sind und ich zudem die anderen nicht mit meiner komischen Wahrnehmung belasten will.
PS: Beim nächsten Coaching war die Uhr durch ein lautloses Exemplar ausgetauscht worden. Ich war dankbar für so viel entgegenkommen. Obwohl es immerhin niemand anderen störte.
Auch die zweite Situation stammt aus dem Coaching:
Diesmal waren es die Armreife von einem der beiden Coachingleiter. Sie hatte fünf dünnere Metallarmreife ums rechte Handgelenk und jedes Mal, wenn sie den Arm bewegte, zuckte ich innerlich zusammen, weil ich dieses Zusammenklacken so störend und ablenkend fand. Wieder war meine Konzentration ausschließlich auf dieses eine Geräusch fokussiert. Das eigentliche Gespräch rauschte mehr an mir vorbei. Immer wieder bloß dieses fürchterliche Klacken.
Erneut wartete ich bis fast zum Schluß bis ich fragte, wie sie dieses Geräusch den aushalten würde. Auch jetzt waren alle Anwesenden erstaunt, das ich es überhaupt wahrgenommen hatte. Den anderen war der Ton vollkommen entgangen.
Ebenfalls wäre hier die Antwort auf mein langes Zögern: Ich will den anderen nicht unter die Nase reiben, das ich offensichtlich etwas als störend empfinde, was kein anderer zu hören scheint. Und zusätzlich erkenne ich an, dass Menschen ihre Accesoires sehr sorgfältig wählen, sich morgens beim Anlegen etwas denken oder fühlen. Welches Recht habe ich, ihnen etwas anderes vorzuschreiben?
PS: Glückerlicherweise sind die Armreife seitdem nicht erneut aufgetaucht. So viel Rücksichtsnahme finde ich wirklich beispiellos.
Vor den Gefühlen anderer kann ich mich übrigens mittlerweile meist gut verschließen. Als Kind hingegen war das grauenvoll.
Bezogen auf BDSM konnte ich bisher immerhin keine negativen Wirkungen feststellen.
Für mich ist meine Wahrnehmung im SM jedenfalls bisher eher bereichernd.
Nähe können allerdings auch andere erzeugen und wie intensiv sie diese empfinden, kann und will ich nicht beurteilen.
Der Umgang mit entsprechenden Partys hat allerdings eine Weile gedauert. Am Anfang habe ich gar nicht selbst dort gespielt (viel zu viele neue Reize, neue Umgebung, andere Geräuschkulisse, unbekannte Personen, etc.). Dann eine ganze Weile lieber in der hintersten Ecke und es ist bis heute so, dass ich mich nicht unbedingt mitten in den Raum stellen würde.
Oh, und noch die Beantwortung jener Frage:
und wer hats diagnostiziert ?
Besagte zwei Coacher und eine Psychotherapeutin. Drei Leute. Würde sagen, ich bin diagnostisch gesehen safe, oder?
Wohlmöglich haben die aber auch eine andere Art von Wahrnehmungsstörung...