Der Tag 2.0
„Wo sind die anderen?“ möchte ich wissen. Ein bisschen aus dem Brennpunkt zu kommen, ist auch nicht schlecht.Anita und Anna kommen wohl gleich zusammen. Biggi nicht, die ist heute bis abends arbeiten, erfahre ich. Und da geht die Tür auch schon auf und Anna kommt rein, eine Arbeitshose an und Staub im Haar, den sie nicht heraus schütteln konnte. „Hast du Anita mitgebracht?“ fragt Tom, während er weitere Schüsseln in die Mitte des Tisches stellt. Wer immer jetzt kommt – er ist versorgt. „Kommt gleich“, nuschelt Anna, während sie schon den Löffel im Mund hat. „Lecker! Füttert noch ihre Chicks!“ Aha, zwei Antworten in einem Satz, frei zum Wählen. „Hat Timka schon gemacht!“ meint Dieter. Tür auf, Peng, Anita rein, Dose anklagend in der Hand, der Deckel ist ab. „Was ist das denn!!!“ Sie hält die leere Dose so, dass alle gucken können. „Wer war das?“ Dieter sucht meinen Blick und schaut, wartet. „Timka?“ „Ich wollte die Hühner füttern, aber der Hahn…“. Weiter komme ich nicht. Schweigen. Anita seufzt. „Du lässt bitte in der nächsten Zeit die Hühner in Ruhe!“ Sie hat zwar „bitte“ gesagt, aber es klingt nach „gefälligst“. „Timka hat alleine Gartenverbot, solange bis sie sicher ist, was hier geht und was nicht“, verkündet Dieter ernst. Und solange kannst du erst mal in dein Zimmer gehen, es hat jetzt keiner Zeit für draußen.“ Ich wage nichts zu sagen, nicht mal „Entschuldigung“ zu Anita. „Ab!“
Das war deutlich. Froh der Situation zu entkommen laufe ich zu meinem Haus. Ja, toll, erst ist es ein Haus, jetzt nur noch „Zimmer“. Ich bin sauer. Der Typ geht mir echt allmählich auf die Nerven. So ernst, so böse und so streng. Zu ernst, zu böse, zu streng. Oder? Wobei - böse passt gar nicht mal. Egal, Saftsack. Dieter! Allein der Name! Ha!
Im Haus kuschele ich mich auf das große Sitzkissen, das in der Mitte des Raumes liegt. Mit Schnulli- auch wenns nicht Abend ist, eine weitere Regel. Nur im Bett. Na und?- hat ja eh keiner Zeit, nicht für draußen, dann auch nicht zum Kontrollieren.
So fühlt sich Hilflosigkeit an. Das Schlimmste ist aber nicht die Strenge, sondern die Enttäuschung der Mitbewohner. Das wird mir deutlich. Außerdem weiß ich gar nicht wirklich, was daran jetzt so schlimm war… Sterben die jetzt gleich?
Ich bin doch kein Hühnerspezialist.
Es klopft und Anita kommt. Sie sieht gar nicht böse aus. Fröhlich aber auch nicht. Schaut mich an und nimmt vor dem Kissen Platz. Jetzt bekomme ich eine Einführung in die Hühnerpflege . Die Hühner sterben nicht, versichert sie mir. Sie müssten nur eine gewisse Menge von allem möglichen bekommen und das geht nur, wenn man sie nicht mit einer einzigen Sache vollstopft. „Nur das eine ist eben nicht gut“, dabei zieht sie mir den Schnulli aus dem Mund und legt ihn unbeachtet zur Seite. Mist, den hatte ich ganz vergessen. Hoffentlich geht sie nicht gleich petzen.
„Ich wusste das nicht und es ist einfach passiert, der Hahn hat sich immer vorgedrängelt und die Hühner sollten doch auch was ab haben!“ Endlich komme ich mal zu Wort. Anita nickt. „Es ist nichts Schlimmes passiert. Der Hahn ist wirklich aufdringlich. Einmal ist es ein kleines Problem, aber es darf nicht öfter vorkommen. Für mich ist die Sache jetzt erledigt. Ich nehme dich morgen mit zu den Hühnern und wir machen es zusammen. Für Dieter ist es anders. Er hat es dir gesagt und du hast nicht darauf gehört. Und es war wohl nicht das einzige heute Vormittag…?“ Ich schaue sie ratlos an. „Jacke!“ hilft sie mir. Wir schauen uns an. Sie forschend, ich eher verwirrt.
„Was kann ich jetzt machen?“ „Er wird auf Gehorsam bestehen, da bin ich mir sicher. Erst mal musst du jetzt hier bleiben, bis er kommt. Er hat diese Strafe verhängt, nur er kann sie wieder aufheben. Ob es das war, kann ich nicht sagen.“ Sie steht auf. „Mal mir doch bitte inzwischen ein Bild, das wäre schön! Nur wenn du magst“, zwinkert sie. „ Dieter würde sich sicher auch freuen.“ Dann geht sie. Ob sie mein „Aschhh“ auf den Dieter-Satz noch gehört hat, weiß ich nicht. Aber für sie mache ich das nun gerne. Und natürlich einen Hahn, was sonst? Und Dieter? WTF is Dieter?
