Achtsamkeit - eine Klarstellung
Mir fällt auf, dass Achtsamkeit in einer gewissen Szene zu einem Fetisch geworden ist. Einfach, um mal ein paar Punkte aus meiner Sicht klarzustellen.Punkt 1: Achtsamkeit selbst macht einen Menschen weder nett, noch fromm, noch freundlich. Es veredelt den Charakter nicht. Tatsächlich bilden die US-Armee Scharfschützen in Achtsamkeitstraining aus, damit sie ihren Job - Menschen zu erschiessen - besser durchführen können.
Punkt 2: Folglich verwechseln viele Menschen einen achtsamen Umgang mit einem besonders freundlichen. Und den beide gemeinsam wiederum mit einem liebevollen. Ein liebevoller Umgang muss nicht freundlich sein. (Der Bodhisattva Manjushri hält nicht umsonst ein Schwert in seiner Hand.) Und er kann entweder achtsam oder unachtsam sein.
Punkt 3: Achtsamkeit ist lediglich der siebte von insgesamt acht (!) Gliedern auf der traditionellen Liste der Buddhisten, mittels welcher zur Erleuchung zu gelangen sei. Aus unerfindlichen Gründen haben die Westler heute diesen einzelnen Punkt aus der Liste ausgegliedert und ihm aus unerfindlichen Gründen ganz, ganz grosse Wichtigkeit beigemessen. Dabei ist er noch nicht einmal der letzte (achte) Punkt auf der Liste, sondern bloss der vorletzte. Wenn es überhaupt einen gibt, der am wichtigsten ist, dann ist es rechte Konzentration/Sammlung, also der letzte und achte Punkt, sicher nicht der vorletzte. Oder von mir aus auch der allererste Punkt auf der Liste, weil damit alles beginnt. Warum nun ausgerechnet dem vorletzten so viel Aufmerksamkeit beigemessen wird, dafür gibt es keinen ersichtlichen oder logischen Grund.
Punkt 4: Achtsamkeit führt alleine nirgendwohin. Es gibt ansatzweise Forschung über Menschen mit psychischen Problemen, welche zwar mit Achtsamkeitstraining ihrer Probleme äusserst achtsam geworden sind, aber diese Problem trotzdem weiterhin mit sich herumtragen. Das Achtsamkeitstraining hilft ihnen zwar dabei, WENN sie Versuche unternehmen, diese Probleme irgendwie zu beseitigen, indem es ihnen ein Instrument gibt, erstmal ohne Reaktivität diese Probleme anzuschauen. Aber es beseitigt die Probleme nicht.
Punkt 5: Ganz im Gegenteil kann Achtsamkeitstraining latente psychische Problem in Menschen zum Vorschein bringen - OHNE dass die Person automatisch in der Lage ist, die Probleme dann auch zu lösen. Insofern kann man sagen, dass Achtsamkeitstraining teilweise gefährlich ist.
Punkt 6: Wer korrekt Vipassana- (übersetzt als "Einsichtsmeditation") betreibt, der durchläuft bei völlig korrektem Training irgendwann bestimmte Stufen, welche als "leidhaft" bezeichnet werden. Diese sind selbst mit dem allerbesten Training schwierig auszuhalten. Die Fähigkeit zur Achtsamkeit ist zu diesem Zeitpunkt bereits sehr weit fortgeschritten.
Punkt 7: Die Fetischisierung von Achtsamkeitstraining ist zu einem grossen Teil Jon Kabat-Zinn zu verdanken, welcher schlicht und ergreifend buddhistische Inhalte sehr selektiv aufgegriffen hat, quasi um die unbequemen religiösen Inhalte des Buddhismus für Westler mehr attraktiv zu machen. Dadurch ist zwar etwas entstanden, was für uns Westler heute viel konsumfreundlicher ist, aber auch massiv eingeflacht wurde. Man begnügt sich dann mit Achtsamkeit, wo die ursprünglichen Ziele der Praxis viel radikaler waren.
Punkt 8: Achtsamkeitstraining, wie man das heute bei uns sogar in Firmen findet, ist ein perfektes Komplement zum Kapitalismus. Weil der Kapitalismus uns dann als "Wissensarbeiter" zu noch besserem Ausbeuten unseres eigenen Geistes ausbildet. Was könnten sich Kapitalisten denn mehr wünschen, als sogar daran zu verdienen, dass Menschen Geld dafür bezahlen, insgesamt achtsamer und somit noch produktiver zu werden? Achtsamkeitstraining ist auch eine Top-Burnout-Prevention-Massnahme. Statt an der Organisation zu leiden, geht man ins Training, findet wieder ins Lot, und macht weiter wie zuvor. So reichen sich Quietismus und Achtsamkeitstraiing gegenseitig die Hand.
Vielleicht fällt mir ja noch mehr ein, aber soviel mal erst dazu.