„Die Fehler der Vergangenheit kann man nicht ungeschehen machen
Stimmt. Ungeschehen machen kann man eine Grenzüberschreitung nicht.
Sich selbst die "Überschreitung der Grenzen seines Gegenübers" einzugestehen und dem Gegenüber zu kommunizieren, dass man die "Überschreitung seiner Grenzen" nun erkannt hat, wäre jedoch ein wichtiger erster Schritt. Mich würde es beruhigen, wenn ich wüsste, dass der Mann zumindest jetzt meine Grenze erkannt hat und akzeptiert.
Was aber tun gebende Männer nach einer Grenzüberschreitung in der Regel?
Wahlweise der Mann verleugnet, dass überhaupt eine Grenzüberschreitung statt gefunden hätte.
Die Frau hätte das doch auch gewollt.
Oder der Mann redet über sich selbst, sein Gefühlschaos und seine Bedürfnisse.
Die Frau soll ihm ihre Aufmerksamkeit schenken, Verständnis entgegen bringen und möglichst schnell sagen, dass alles wieder gut sei.
Dass die Frau gerade selbst in einem Gefühlschaos steckt, ist ihm Scheiß egal.
Und diese "typisch männlichen" Verhaltensmuster finde ich viel schlimmer als die ursprüngliche Grenzüberschreitung.
Zum Glück ticken nicht alle Männer so. Ich habe bereits Männer erlebt, die diese patriachalistischen Verhaltensmuster hinter sich gelassen hatten. Männer, die als erstes anerkannt haben, dass er da meine Grenze überschritten hat. Oft haben wir es erst mal bei dieser Feststellung belassen. Wir haben uns Zeit genommen. Denn keiner von uns beiden wäre in diesem Zustand ein guter Zuhörer gewesen. Wir brauchten beide Zeit, um uns selbst zu sortieren. Darüber geredet haben wir dann später.
Perspektiven-Wechsel:
Und so ganz allgemein gesprochen. Nicht nur im sexuellen Kontext:
Ich weiß, dass es schwer zu ertragen ist, wenn man soeben bemerkt hat, dass man einem Menschen, der einem etwas bedeutet Unrecht getan und ihn verletzt hat. Dass ich da Grenzen verletzt hatte, die ich eigentlich nicht hätte überschreiten wollen. Dazu hatte ich kein Recht. Ich kenne die eigene Betroffenheit in solchen Momenten. Wie sehr mir das Leid tat. Gleichzeitig hatte ich meine eigenen Ich-Ideale verletzt. Wie sehr ich mich da über mich selbst geärgert und/ oder geschämt habe.
Ich weiß, dass man am liebsten sofort ein "Alles ist gut" hören würde. "Du bist auch nur ein Mensch und Menschen machen Fehler. Ich hab dich trotzdem lieb." Die positive Bestätigung meines Gegenübers hätte es mir leichter gemacht, meinen angeknacksten Selbstwert zu stabilisieren. - Doch ich wurde als Frau sozialisiert. Von mir wurde erwartet, dass ich mich in solchen Situationen emotional selbst stabilisiere.
Wenn es dann zur Aussprache kam, ging es auch primär um die Anerkennung der Grenze und des Schmerzes des Geschädigten.
Doch in hetero-sexuellen Beziehungen mit Männern scheint dieser zwischenmenschliche Umgang nicht allzu weit verbreitet. Zumindest nicht bei den Männern.
Etliche Männer wurden darauf sozialisiert, dass das Weibchen immer schön ums Männchen kreist und sich zuerst um seine Bedürfnisse kümmert. Weibchen, die schön passiv bleiben und dem Täter zuhören, obwohl es ihnen gerade selbst mies geht. Zumindest die Weibchen, mit denen man eine sexuelle Beziehung hat. Das gehört doch dazu. - Tut es das?
Inzwischen habe ich keine Skrupel mehr, in meine Wut zu gehen, um einen bedürftigen Mann nach seiner Grenzüberschreitung auf Abstand zu halten.
Denn ich bin die Geschädigte, mein Raum wurde verletzt.
Da brauche ich den Abstand zum Täter.
Gerade in so einer Situation ist es für meine Selbstheilung verdammt wichtig, dass ich wieder zu mir selbst komme.
Und es ist Teil meiner Emanzipation, dass ich mir die Emotionen Verärgerung, Wut & Empörung auch in Gegenwart von Männern, mit denen ich eine sexuelle Beziehung habe, erlaube!
Ich kann keine symbiotische Mutter-Kind-Beziehung zu einem Sexualpartner haben, in der ich seine Emotionen auch noch mitregulieren muss. Da versiegt meine sexuelle Lust.
Viele aus der Tantra-Szene haben jedoch ein riesen Problem mit weiblicher Wut.
Das ginge ja gar nicht.
Die können dann ellenlang schöne Worte von sich geben, wie schrecklich doch all die Grenzüberschreitungen im Tantra seien. Und dass es diese nicht geben dürfe. Doch die Emotion, die dazu da ist im Falle einer Grenzüberschreitung die nötige Distanz herzustellen und aufrecht zu erhalten, die wird bei Frauen nach wie vor verurteilt. Bleib bitte das ohnmächtige kleine Weibchen.
Als Frau darfst du heulen.
Als Frau darfst du aus Angst erstarren.
Als Frau darfst du vor Scham im Boden versinken.
Aber Wut? Wut geht gar nicht. Die armen Männer. Wie sollen die bloß die Wut einer Frau ertragen?
Für die Männer musst du doch verfügbar bleiben.
Wahlweise als Sündenbock oder als Seelentrösterin. Das sucht sich dann der Mann aus.
Mir ist keine andere Szene bekannt, in der die Wut der Frauen derart stiefmütterlich behandelt wird wie in der Tantra-Szene. Und solange sich daran nichts ändert, wird sich auch an den Übergriffen im Tantra nichts ändern.