Ich finde nicht, dass ich ein Problem habe. Woran machst du also das Problem fest?
Ich glaube dir, dass du kein Alkoholproblem hast. Und natürlich ist nicht jeder gefährdet, nur weil er ab und zu Alkohol trinkt.
Ich habe in den Kliniken, in denen ich zusammengerechnet über 1 Jahr verbracht habe, zu viele Alkoholiker gesehen. Ich habe mich 2 Jahre lang um ein 19-jähriges Mädchen gekümmert, die spätestens mit 14 Jahren Alkoholikerin war. Ich lernte sie in der Klnik kennen.
Ein hübsches, intelligentes Mädchen. Geboren in einem Darmstädter Problemviertel als Tochter einer Alkoholikerin und eines Afrikaners, den sie nie kennen gelernt hatte.
Ihre Mutter hat ihr schon als 12-jährige die Schnapsflasche hingestellt, damit sie in Ruhe mit ihren wechselnden Lovern ficken konnte. Wenn die Tochter dann besoffen war, wurde sie von den Kerlen befummelt.
Sie hatte keinen Schulabschluss, keine Berufsausbildung, keine Arbeit.
Sie vögelte jeden für eine Flasche Schnaps. Sie wohnte im Obdachlosenasyl, weil sie für ihre abgesoffene Mutter eine Schlampe war.
Sie hatte einen einzigen großen Wunsch, einen ganz normalen Mann und ganz normale Kinder, also eine ganz normale Familie.
Ich gab ihr ein bißchen Heimat. Sie durfte mich besuchen, wenn sie nüchtern war. Sie durfte keinen Alkohol mitbringen. Dafür durfte sie bei mir auf der Couch pennen. Sie sagte mal, sie könne nur lachen, wenn sie bei mir wäre. Sie sagte, sie hätte noch nie einen echten Freund gehabt, also einen Kumpel-Freund, ein Mann, der sie nicht ficken möchte. Sie fragte mich, ob ich ihr Kumpel-Freund sein möchte.
Sie war immer wieder verschwunden, abgesoffen, wochenlang. Dann stand sie wieder vor der Tür.
Sie konnte sich bei mir ausruhen, bis zur nächsten Sauf-Tour.
Sie verliebte sich in einen Junkie, bekam zwei Kinder von ihm.
Das letzte, was ich von ihr hörte war, dass das Amt ihr die Kinder abgenommen hat. Sie ist verschwunden.
Sie hatte nie eine Chance.
Ich habe viele Alkohol-Wracks gesehen und auch näher kennen gelernt.
Ein 25-jähriger, der silbernes Jubiläum feierte. Der 25. Entzug.
Er fasste sich ununterbrochen an den Hals. Ich fragte ihn, was mit seinem Hals ist.
Krampfadern in der Speiseröhre. Alkoholikerkrankheit. Wenn eine platzt, ist man in wenigen Sekunden verblutet.
Regelmäßig wurden die Straßengrabenfunde von der Polizei gebracht. Vollgeschissen, vollgepisst, vollgekotzt.
Die Schwesternschülerinnen durften sie dann baden.
Wenn sie wieder nüchtern waren, prahlten sie von ihren Saufgelagen.
Das will keiner sehen. Und es sieht ja auch keiner.
Ich habe es gesehen und kriege die Bilder nicht mehr aus dem Kopf.
Ich kann keine Betrunkenen mehr sehen. Es kotzt mich an. Ich gehe auf keine Feste mehr, denn dann würde ich wieder die verdrehten Augen (die jeder Betrunkene hat), die roten Gesichter, die torkelnden, grölenden Gestalten sehen. Besoffene sind peinlich, oberpeinlich.
Ich will sie nicht mehr sehen.