Interessanter Artikel aus der Welt - Was Sexpuppen können
In diesem Artikel geht es hauptsächlich um die in modernen Sexpuppen eingebaute Künstliche Intelligenz und ihre ethisch moralischen Demensionenhttps://www.welt.de/wissensc … aet-Mit-Sexpuppen-reden.html
Künstliche Intelligenz verleiht Sexrobotern menschenähnliche Fähigkeiten. Das wirft ethische und rechtliche Fragen auf. Experten diskutieren etwa, ob es möglich ist, eine Maschine zu vergewaltigen.
Sexroboter werden immer intelligenter. Das wirft ethische und rechtliche Fragen auf, insbesondere auch beim Datenschutz. Der stärker werdende Trend zur Nutzung von Sexpuppen kann weitreichende Konsequenzen für die Gesellschaft haben. Der Maschinenethiker Oliver Bendel von der Schweizer Hochschule für Wirtschaft FHNW beschäftigt sich seit Jahren mit dieser Thematik. Im Interview erklärt er, warum wir uns dringend mit KI-Sexrobotern auseinandersetzen müssen.
WELT: Haben Bordelle mit Sexpuppen oder Sexrobotern von der Corona-Krise profitiert?
Oliver Bendel: Definitiv nein. In Deutschland war auch ein Bordell vom Shutdown betroffen, in dem es gar keine Prostituierten, sondern nur Sexpuppen gibt. Auch diese könnten ja Überträger von Viren sein. Sie hätten nach jeder Nutzung aufwendig gereinigt und desinfiziert werden müssen. Doch das dafür benötigte Personal durfte während des Shutdowns nicht arbeiten. Seit Mitte Juni ist die entsprechende Einrichtung aber wieder geöffnet.
WELT: Dann hat sich der eine oder andere in den Zeiten von Corona wohl selber einen Sexroboter zugelegt?
Bendel: Da bin ich mir sicher. Allerdings sind hochentwickelte Sexroboter wie „Harmony“ nur direkt beim Hersteller und speziellen Händlern erhältlich. Sexpuppen ohne künstliche Intelligenz kann man hingegen ganz einfach über Amazon und andere Plattformen im Internet bestellen. Diese Modelle kosten zwischen 100 und 1000 Euro.
WELT: Über die wollen wir nicht sprechen, sondern über Puppen, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind.
Bendel: Es gibt durchaus Billigpuppen, mit denen man sich dank eines Sprachmoduls tatsächlich unterhalten kann. So ein bisschen Elektronik kostet nicht viel und kann auch in preiswerte Sexpuppen eingebaut werden.
WELT: Und diese Puppen nutzen dann via WLAN oder Bluetooth die Möglichkeiten von Siri oder Alexa?
Bendel: WLAN oder Bluetooth sind schon mal richtig. Doch für diese Dienstleistungen kann man keinesfalls Alexa oder ähnliche Sprachassistenten nutzen. Die sind nicht für Dirty Talk gemacht. Überdies möchte der Besitzer einer Sexpuppe das, was er ihr anvertraut, wohl nur ungern von Google- oder Amazon-Algorithmen ausgewertet wissen.
WELT: Doch die intimen Daten werden gleichwohl in der Cloud verarbeitet?
Bendel: Das kann in der Tat vorkommen. Die Hersteller von Sexpuppen haben für diese Anwendung spezielle Sprachassistentinnen entwickelt, die an Smartphone oder Tablet oder eben die Cloud angebunden sind. Sie verfügen über einen Wortschatz, bei dem Alexa, bildlich gesprochen, rot werden würde.
WELT: Letztlich stellt sich so oder so die Frage nach dem Datenschutz?
Bendel: Absolut. Zumal diese Roboter ihren Besitzer dank künstlicher Intelligenz und Maschinenlernen im Laufe der Zeit immer besser kennenlernen. Für gute Gespräche ist es schlicht notwendig, dass sich die aufgerüstete Sexpuppe an frühere Gespräche und deren Inhalte erinnern kann. Es wäre ja nervtötend, wenn sie jedes Mal aufs Neue fragen würde „Wie heißt du eigentlich?“ und auch sonst kommunikativ immer wieder bei null anfangen müsste. Außerdem lernen diese Maschinen auch die sexuellen Vorlieben ihrer Nutzer kennen. Da ergibt sich insgesamt schon ein sehr detailliertes Persönlichkeitsprofil.
Das Datenschutzproblem ist vielen nicht bewusst
WELT: Dieses vertrauliche Wissen ist dann irgendwo in der Cloud gespeichert?
Bendel: Damit muss man rechnen. Und das ist nur so sicher, wie Clouds eben im Allgemeinen sicher sein können. Auch sensible Firmendaten und Unmengen privater Informationen landen in diversen Clouds. Ich persönlich bin nicht davon überzeugt, dass man irgendeiner Lösung der Konzerne vertrauen könnte. Vielen Usern ist aber die Datenschutzproblematik überhaupt nicht bewusst.
WELT: Die Problematik gäbe es nicht, wenn die KI im Sexroboter eingebaut wäre?
Bendel: Richtig. Und das kann im Prinzip auch gemacht werden. Es gibt drei technologische Wege. Entweder die Sprach- und Informationsverarbeitung findet direkt in der Figur statt, sodass sie autark agieren kann. Das ist allerdings eine Frage des Platzes – wo bringt man die Technik unter? Ein echter Roboterkopf ist schon vollgestopft mit Motoren und Komponenten. Und es ist eine Frage der Kosten. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Verarbeitung der Daten im eigenen Smartphone oder Tablet erfolgt, das mit der Puppe via Bluetooth oder Kabel in Kontakt steht. Damit ist schon vieles möglich, aber eben nicht alles. Erst wenn man die Informationen vom Gerät in die Cloud und von der Cloud zum Gerät schickt, lassen sich die aufwendigen Dinge realisieren. Nur in der Cloud kann bislang die Leistung zur Verfügung gestellt werden, die für anspruchsvolle Dialoge und den simulierten Prozess des Kennenlernens erforderlich ist. Der Sexroboter wird durch diese KI lernfähig und kann sich an die Wünsche des Users anpassen.
WELT: Was kosten solche Sexroboter?
Bendel: Die Übergänge bei der Leistungsfähigkeit sind fließend, doch für einen intelligenten Sexroboter muss man schon zwischen 4000 und 9000 Euro bezahlen. Mit einem Spitzenmodell können Sie sich stundenlang unterhalten, ohne dass es langweilig wird oder es zu Wiederholungen kommt. Dafür werden neuerdings Sprachmodelle wie GPT-2 benutzt, sodass Sexpuppen nicht vorhersehbare Dinge sagen können und gleichsam kreativ erscheinen. Mit dem Aneinanderreihen von Textbausteinen hat das nichts mehr zu tun. Das sind intelligente, offene Systeme, die selber neue Sätze bilden können.
WELT: Wollen sich denn Männer stundenlang mit Sexrobotern unterhalten?
Bendel: Absolut. Das wollen sie. Prostituierte berichten ja, dass manche Männer zu ihnen nicht kommen, um Sex zu haben, sondern weil sie reden wollen. Das ist bei den Puppen nicht anders, es sei denn, sie dienen wirklich nur der Triebabfuhr. Heute erhältliche Modelle können Männern das Gefühl geben, ein echtes Gespräch zu führen. Wer sich eine teure KI-Sexpuppe kauft, der will mit ihr meist eine Beziehung führen. Und dazu gehört unbedingt, dass er mit ihr per Sprache kommunizieren kann. Und das in akzeptabler Weise über Monate hinweg. Deshalb stecken die Hersteller so viel Energie in die Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten. Unterhalb des aufwendig gestalteten Kopfes sind Sexroboter meist passive Puppen. Nur wenige Modelle haben ein bisschen Technik im Schritt, zur Messung von Aktivitäten, auf die die Puppe dann verbal reagieren kann. Bei manchen gibt es auch Sensoren auf beziehungsweise unter der Haut.
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Moralische Maschinen
„Ein Sexroboter muss User vor emotionaler Bindung warnen“
WELT: Worüber unterhalten sich Männer mit Sexpuppen?
Bendel: Natürlich stehen Gespräche mit sexuellen Bezügen im Vordergrund. Doch je nach Qualität der künstlichen Intelligenz können die Roboter über praktisch alle Themen sprechen.
WELT: Was sagt das über die Psyche der betreffenden Männer aus?
Bendel: Die entscheidende Frage ist, ob jemand die innere Distanz bewahren und das Ganze nur als ein zeitlich begrenztes Spiel zur persönlichen Unterhaltung oder Befriedigung sehen kann. Problematisch wird es, wenn jemand die Grenze zwischen dem realen Leben und dem Virtuellen gar nicht mehr spürt. Als Maschinenethiker würde ich etwa empfehlen, dass Sexroboter ihre User warnen, wenn diese zu große Emotionen entwickeln. „Vergiss nicht, dass ich kein Mensch bin. Du solltest dich besser nicht in mich verlieben!“ – das wäre wohl eine angemessene Reaktion, wenn die intelligente Maschine merkt, dass die Beziehung zu eng und damit für den Mann oder die Frau ungesund wird.
WELT: Ist es nicht auch problematisch, dass User bei manchen Puppen bestimmte Charakterzüge festlegen können?
Bendel: Wenn dabei bestimmte Grenzen, die dem realen Leben nachempfunden sind, eingehalten werden, finde ich das nicht problematisch. Die Geschmäcker sind halt verschieden. Doch wenn wir das Thema in der Wissenschaft weiterdenken, dann stellt sich letztendlich auch die Frage, ob es Grenzen gibt, die ein Mensch bei einer intelligenten Maschine nicht überschreiten darf. Zugespitzt auf ein provokantes Beispiel: Darf man einen Sexroboter vergewaltigen?
Kann man einen Sexroboter vergewaltigen?
WELT: Was ist da ihre Antwort?
Bendel: Ich denke, dass man einen Sexroboter nicht vergewaltigen kann. Wenn er allerdings so tut, als würde er den Sex nicht wollen, wenn er sich sogar in irgendeiner Weise wehrt und dann doch penetriert wird, kann das problematisch sein. Oder wenn er zur Vergewaltigung auffordert. Der Benutzer könnte sich hier ein Verhalten angewöhnen, das er auch auf Frauen anwendet. In einem Interview, das wir mit einer Betreiberin eines Puppenbordells geführt haben, stellt diese freilich die Vermutung an, dass ein Vergewaltiger gar kein Interesse an einer Puppe hat. Er will ja einen Menschen demütigen und zerstören.
WELT: In Deutschland haben Fälle von Kindesmissbrauch jüngst für viel Aufsehen gesorgt. Könnten Sexroboter möglicherweise eine präventive Wirkung bei potenziellen Tätern haben?
Bendel: Die Frage ist sehr berechtigt. Doch leider gibt es darauf keine wissenschaftlich fundierte Antwort. Es gibt keine Studien, sondern nur Mutmaßungen. Die einen sagen, der Roboter könnte eine Triebabfuhr ermöglichen und somit Schäden in der realen Welt verhindern. Andere kommen genau zur entgegengesetzten Einschätzung, dass nämlich die Betreffenden an Puppen etwas physisch einüben, was dann anschließend mit höherer Wahrscheinlichkeit auch in der Realität passieren kann. Angesichts dieser Unsicherheit rate ich dringend vom Einsatz kindlicher Sexpuppen oder Sexroboter in Bordellen oder Haushalten ab.
WELT: Kann man Kindersexroboter im Internet bestellen?
Bendel: Zumindest bei einfachen Kindersexpuppen ist das leider ohne Weiteres möglich. Das finde ich sehr problematisch und fordere ein Verbot, solange die Unbedenklichkeit nicht wissenschaftlich belegt ist.
WELT: Entsprechende Studien stelle ich mir als schwierig bis unmöglich vor.
Bendel: Schwierig ja, aber notwendig und nicht unmöglich. Die gilt für Forschung zu Sexrobotern überhaupt. Es gibt mehrere Hürden. Zum einen gibt es Kolleginnen und Kollegen, die eine solche Forschung schlichtweg ablehnen, weil sie eine normative Wirkung habe. Das sehe ich anders. Wir sollten die Zusammenhänge wissenschaftlich erkunden und dann entsprechende Schlussfolgerungen daraus ziehen, auch in rechtlicher Hinsicht. Die meisten Hochschulen wollen mit dem Thema nichts zu tun haben. Und dort, wo es dazu Forschung gibt, wird sie in erster Linie von Frauen geleistet. Mein Eindruck ist, dass es viele junge und auch ältere Männer zutiefst verstört, über dieses Thema nachzudenken oder zu sprechen. Man müsste sie aber gerade bei diesem Thema einbinden, als Forscher wie als Probanden. Damit sind wir beim größten Problem angelangt: Es möchte sich praktisch niemand als Proband für derartige Studien melden.
Studien mit inhaftierten Straftätern
WELT: Wäre nicht ein Forschungsprojekt mit inhaftierten Straftätern naheliegend?
Bendel: Auf diese Idee bin ich auch schon gekommen. Das wäre durchaus eine Möglichkeit, doch auch das wird schwierig. In Gefängnissen gibt es ohnehin viel sexuelle Gewalt. Und wenn andere Insassen mitbekommen, dass jemand eine Spezialtherapie mit einer Sexpuppe erhält, könnte das leicht zu Aggressionen gegenüber diesem Mithäftling führen.
WELT: Könnten die für intelligente Sexroboter entwickelten Technologien nicht auch zur Betreuung von Patienten, zum Beispiel auf einer Corona-Intensivstation, genutzt werden? Dann könnte das Pflegepersonal mehr Abstand zu infektiösen Covid-19-Patienten halten.
Bendel: Im Prinzip ist das möglich. Tatsächlich gibt es bereits Therapie- und Pflegeroboter, die in Zeiten von Corona einen Boom erlebt haben. Doch bei ihnen handelt es sich nicht um humanoide Systeme mit täuschend echtem menschlichem Antlitz. Der hohe technische Aufwand dafür lässt sich in unserem Gesundheitssystem finanziell nicht abbilden. Und es gibt noch einen Grund, der gegen den Einsatz solcher Roboter bei Patienten spricht. Systeme mit nahezu perfekten menschenähnlichen Gesichtern führen beim Betrachter früher oder später zu Irritationen, weil irgendetwas, zum Beispiel bei einem Lächeln oder beim Sprechen, merkwürdig und unnatürlich wirkt. Experten bezeichnen das als Uncanny-Valley-Effekt. Bei manchen Menschen löst er heftige Angstreaktionen aus. Das sollte man vulnerablen Menschen auf einer Intensivstation besser nicht zumuten.
WELT: Welche Aspekte interessieren Sie als Wissenschaftler an Sexpuppen?
Bendel: Ich habe da drei Hüte auf. Den des Informationsethikers, des Roboterethikers und des Maschinenethikers. Als Informationsethiker interessieren mich besonders die angesprochenen Datenschutzaspekte. Bei der Roboterethik geht es u. a. um die Diskussion, ob wir intelligenten Maschinen moralische Rechte zugestehen wollen, und wenn ja, welche das sind. Ich sehe keinerlei Rechte bei den Robotern selbst, nur bei Besitzern oder Betroffenen. Und als Maschinenethiker beschäftigt mich die Frage, an welche moralischen Regeln sich Roboter halten sollten oder müssen. Im Falle von Sexrobotern plädiere ich für den Einsatz von Verfremdungseffekten à la Brecht. Die technisierte Sexpuppe sollte den Menschen ab und zu aus seiner Illusion herausholen und ihm mit metallischer Stimme sagen: „Bedenke, ich bin nur eine Maschine.“
Zur Person
Oliver Bendel wurde 1968 in Ulm geboren. Er studierte Philosophie, Germanistik und Informationswissenschaft an der Universität Konstanz und promovierte in Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen. Seit 2009 ist Bendel Professor an der Schweizer Hochschule für Wirtschaft FHNW.