Das Thema "liberale WG" (ist vielleicht noch ein bißchen weiter gefaßt als Poly-WG) ist bei mir eines der Lebensprojekte, die ich noch nicht ganz abgeschrieben habe. Es gibt zu diesem Thema auch einige Diskussionen im Forum der Gruppe "Alternative Wohnprojekte".
In meinem Fall geht es weniger um Liebe als vielmehr um den offenen Umgang mit Körper und Sexualität, sodaß sich niemand verstecken muß und sozusagen nach Wunsch "mitgemacht" werden kann oder eben auch nicht - ohne Zwänge, sich aber eben auch keine Zwänge ergeben, es zu unterlassen. Und trotz aller Offenheit sich keine Zwänge ergeben.
Natürlich sollen da auch Gefühle erlaubt sein - und sich nach meiner Einschätzung auch recht automatisch ergeben; bei mir ist's jedenfalls so, dass ich zu fast allen Menschen, nit denen ich Sex praktiziere, auch mehr oder weniger starke Gefühle entwickle und das nicht unterdrücke.
Ganz generell halte ich diese Form (WG), zu leben, für sehr schön, abwechslungsreich und wertvoll und wünsche mir sehr, daß ich irgendwann wieder in einer WG lebe. Als Student hatte ich das sehr lange und es war eine meiner besten Zeiten.
Zum konkreten Thema:
Nicht mal (alle) Ehen von Menschen, die bis über beide Ohren verknallt sind, halten ewig. Warum also soll eine Poly-Geschichte ewig halten?
Natürlich kommt, wenn Zuneigungen und Gefühle im Spiel sind, noch eine weitere Komponente, die zukünftiges Konfliktpotenzial birgt, gegenüber einer "stino WG" hinzu.
AAAABER:
Generell gilt ja bei allen Projekten: Gute Vorbereitung, viel Überlegungen, das Betrachten aller (jedenfalls vieler) möglichen Probleme und vor allem ein gutes Vertrags- und Regelwerk verhindert Katastrophen.
Meine Überlegungen sind folgende - und NICHT explizit nur für Poly-WG's, sondern aus meiner Sicht generell gültig (unvollständige Liste):
1.) Es muß in jedem Fall genügend Rückzugsgebiet - hoheitliche Privatspähre - für die teilnehmenden Personen geben. Das kann auf Einzelpersonen oder Paare (und jeder erdenkliche Mix davon) abgebildet sein.
2.) Gemeinschaftsräume sollten "Zusatzräume" sein. Auch gemeinsam genutzte Badezimmer bergen nach meiner Erfahrung Konfliktpotenzial.
3.) Eine (rechtliche) Trennung von Besitz und Nutzung (das bedeutet nicht, dass nicht alle Mitglieder auch Mitbesitzer sein können) wäre - gerade im Konfliktfall - sachdienlich.
4.) Umgang mit Trennungen, partiell, aber auch komplett sowie "Nachfolge" muß im Vorfeld relativ klar geregelt und auf Problemfälle ausgelegt sein. Verträge werden immer nur im schlechten Fall bemüht. Dies ist einer der Gründe für Punkt 3.
4.) Es muß ein Verhaltenskodex und auch die Sanktionierung aufgestellt werden, denn wenn es "Zuwiederhandlungen" gegen Vereinbarungen gibt, gilt die goldene Regel: Wehret den Anfängen. Erst dann einen "Kriegsrat" einzuberufen ist zu spät.
5.) Die vom TE angesprochene "Testphase" ist erstrebenswert, aber auch dafür spricht m.E. Punkt 3. Das kann am Anfang natürlich ggf. einen oder ein paar finanzstarke Leute erfordern, die das Projekt anschieben oder eben das Objekt vorfinanzieren, um es dann an die Besitzgesellschaft zu übergeben.
my 2 cents.