Der Virologe Christian Drosten bezog sich in seiner „Schillerrede“ im November 2020 mehrmals auf Kant und brachte den Dramatiker Friedrich Schiller gegen den Philosophen Immanuel Kant in Stellung:
„Was aber bedeutet verantwortliches Handeln? Reicht es – frei nach Schiller – aus, die Menschen auf ihre freie Entscheidung hinzuweisen, in der Pandemie nur aus Neigung und ohne äußeren Zwang das Richtige, Vernünftige zu tun? Werden sie dann freiwillig mitmachen? Oder brauchen wir – frei nach Immanuel Kant – einen eher strengen Hinweis auf Pflicht und Verantwortung? Eine Art pandemischen Imperativ: ‚Handle in einer Pandemie stets so, als seist du positiv getestet und dein Gegenüber gehörte einer Risikogruppe an’?“
Das ist in der Tat das Dilemma. Aufschlussreicher waren Drostens Bemerkungen zur Rolle der Wissenschaft im täglichen Corona-Meinungskampf. Auch hier eine Absage an die Politik: Der Forscher müsse authentisch, also bei sich „und dem erlernten methodischen Rüstzeug“ bleiben und dürfe „keinem Fürsten“ dienen.
https://www.dla-marbach.de/fileadmin/redaktion/Ueber_uns/Schillerrede/Schillerrede_Drosten_2020.pdf
Die Abhängigkeit der Forschung von privaten und staatlichen Geldgebern ließ Drosten weg und verwies auf die Freiheit, Forschungsergebnisse „ungehindert mit anderen teilen zu können“. Er selber stehe in der Verantwortung, Wissenschaft transparent zu machen und mit der Öffentlichkeit in einen Dialog zu treten. Das sei mindestens so wichtig wie die Entwicklung neuer Impfstoffe.
Am Ende seiner Rede hielt er sich an Schiller und dessen „Xenien“ – und endete:
„Die Freude an der Erkenntnis darf also auch in der jetzigen Situation unser verantwortungsvolles Handeln antreiben. Von daher bin ich mir recht sicher: Auch Friedrich Schiller würde Maske tragen.“
Hier der Link zur Aufzeichnung:
Mag sein, der Spruch zog: „Auch Schiller würde Maske tragen.“, aber es blieb auch der Anspruch: Wissenschaft sei Wahrheitssuche!
Immanuel Kant und Karl Popper sind diesbezüglich wegweisend.
Wissenschaftler formulieren Theorien und leiten daraus empirisch prüfbare Hypothesen ab. Sie versuchen, diese zu widerlegen, und halten so lange an ihnen fest, wie das nicht gelingt. Theorien sind also immer vorläufig. Über ihnen hängt permanent das Damoklesschwert der Falsifizierung.
Schön wäre es, wenn sich Wissenschaft und Politik wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben besinnen würden; die eine auf die Suche nach der unter dem Vorbehalt des Zweifels stehenden Wahrheit, die andere auf die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für die Freiheit und Eigenverantwortung der Bürger.
Doch dazu braucht es mündige Bürger, die nicht Mündel eines Staates sein wollen, der die Legitimation seiner „Gestaltung“ von Gesellschaft und Wirtschaft von einem eitlen Wissenschaftsbetrieb bezieht.
Drosten formuliert es so:
„Ich verstehe meinen Auftrag als Wissenschaftler so, dass ich Menschen mit Informationen und Erkenntnissen in die Lage versetze, diese Frage für sich selbst entscheiden zu können. Meine Rolle und mein Beitrag bestehen darin, die Methoden meines Fachgebietes zu erklären, die Grenzen wissenschaftlicher Studien aufzuzeigen, einzuordnen, was Fakt und was Fiktion ist. Und natürlich fühle ich mich dazu verpflichtet, korrigierend einzugreifen und ausgemachten Unsinn auch einmal beim Namen zu nennen. … Für die freie Wissenschaft ergibt sich also eine verantwortungsvolle Kommunikation als eine gesellschaftliche Verpflichtung. Es ist die Pflicht, die aus der Freiheit erwächst, an die uns heute Friedrich Schiller an seinem Geburtstag erinnert.“
Eine schöne Rede und viel Lob für einen ehrenwerten Mann.
Die Sache mit der Schweinegrippe? – Schwamm drüber!
Und wie ist es sonst so gelaufen?
Heinz Bude (Soziologe) zu dem, was hinter den Kulissen lief:
„Wir haben gesagt… wir müssen ein Modell finden, um Folgebereitschaft herzustellen, das so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist. Und das war diese Formel ,Flatten the curve‘, dass wir gesagt haben ‚Wie können wir die Leute überzeugen, mitzutun?‘ Wir sagen denen, es sieht so nach Wissenschaft aus, ne?“
Spätestens jetzt käme es wohl zu einem Schulterschluss der Protagonisten Kant und Schiller ob der zaghaft beginnenden Aufarbeitung dieser Zeit mit geschwärzten Zeilen/Seiten, in der sich Wissenschaftler mit Politikern verbündeten, um die Bevölkerung in ihrem Sinne zu manipulieren.
Ausgerechnet Schiller – dieser Freigeist – hätte nichts davon geahnt!?
Sowohl Schiller und später Thomas Kuhn haben anschaulich beschrieben, wie eitle Wissenschaftler an „Wahrheiten“ festhalten, auf die sie ihre Karriere gebaut haben, auch wenn neue Fakten sie widerlegen.
„Veränderungen finden nicht statt, weil sich Meinungen ändern, sondern weil Ansichten aussterben und junge Überzeugungen das Ruder übernehmen”, das ist nicht von Schiller oder Kant, sondern von Max Planck.
Schiller hat sich intensiv mit Kant befasst und äußerte sich dazu kurz, knapp, akzentuiert in den „Xenien“:
„Zwei Jahrzehente kostest du mir, zehn Jahre verlor ich
Dich zu begreifen und zehn, mich zu befreien von dir.“
(aus: Schiller, Werke – Xenien / Bd. III / S. 271)
Und auch dies findet man bei Schiller: „… ein schulgerechter Zögling der Sittenregel, so wie das Wort des Meisters ihn fordert, der jeden Augenblick bereit sein wird, vom Verhältnis seiner Handlungen zum Gesetz die strengste Rechnung abzulegen. […]
[Schiller, Sämtliche Werke – Anmut und Würde / Bd. V / S. 262f]
Aber vielleicht geht es inzwischen weniger darum, ob auch Friedrich Schiller Maske getragen hätte, als vielmehr darum, ob es sich um eine Maskerade handelte und ob Kant mit dem „Schlachtruf“: „Pflicht! du erhabener großer Name“ zum „Kant-Holz“ gegriffen und ob Schiller aus Neigung „Die Räuber“ für eine Neuauflage der ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechtes überarbeitet hätte.
Drosten habe das letzte Wort:
„Wir müssen auch komplexe Sachverhalte für die Allgemeinheit aufbereiten und sie sachgerecht
informieren. Gerade als Wissenschaftler haben wir hier eine gesellschaftlich wichtige Funktion, in der uns niemand ersetzen kann.“