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Der Tunnel

Der Tunnel
Der Himmel weint. Dicke Tropfen klatschen gegen die Fenster meines Arbeitszimmers, breitgedrückt rinnen sie am Glas herab und waschen den Staub ab. Ein Teil von ihm wird bleiben und als hässlicher, kaum sichtbarer Rand das Glas verunzieren. Eine Spur, die nur zu sehen sein wird, wenn ich nahe genug an das Fenster herantrete und die Sonnenstrahlen im richtigen Winkel darauf fallen.

Alles im Leben hinterlässt Spuren und meistens können wir das, was geschah, nur an Hand dieser Spuren vermuten. Aber nur, wenn wir zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Doch war ich das, weil ich die Spuren deuten konnte? Oder deutete ich sie falsch?

Kausalität funktioniert auch rückwärts. Wir sehen etwas geschehen, schlussfolgern daraus auf die Ursache und ignorieren nur zu gerne, dass es mehr als eine Ursache geben könnte. Weil wir Menschen sind. Menschen brauchen für alles eine Erklärung.

So auf die Wirkung-Ursache-Beziehung festgelegt, sind wir es selbst, die unsere Fähigkeit zur Erkenntnis dessen, was war und noch viel schlimmer, dessen, was ist, in einen Tunnel zwingen, der nur einen Eingang, einen Ausgang und ansonsten nur Wände kennt. So sind wir selbst es, die uns den Blick versperren auf das, was hätte ebenso sein können. Auf das, was nicht sein kann, weil es nicht sein darf. Auch wenn es vielleicht vielmehr dem tatsächlichen Geschehen entspricht als das, was wir für die Wahrheit halten wollen. Wir fürchten das Unbekannte, das Undenkbare und so klammern wir uns lieber an vielleicht falsche Wahrheiten. Mit ihnen lässt sich besser schlafen als mit Ungewissheit und Zweifeln.

Ich habe mir die Leben der Menschen immer wie in allen Regenbogenfarben schimmernde, duftende Fäden aus Seide vorgestellt; dünn und so leicht zu zerreißen am Beginn, zur Mitte hin stark und kräftig werdend und dann schwächlich, abnehmend, bis der Lebensfaden glanzlos im Nirgendwo sein Ende findet. Kreuzt ein solcher Faden andere, begegnen sich Menschen, ein Knoten wird geboren, der das Netz des Lebens stärker macht. Manchmal sind seine Geburtswehen so heftig, dass sie das Netz noch viele Fäden weiter erzittern lassen. Etwas in uns, jenseits unseres bewussten Denkens, kann es spüren und uns fällt nichts Besseres ein, als es Schicksal zu nennen. Wir sind so dumm ...

Wir verstehen es nicht, solange wir in unserem Tunnel nur nach dem einen Eingang und dem einen Ausgang suchen und die Wände in unserem Kopf für die Realität halten.

Sven, Johanna, Christian, Müller, Borg, Mikkelsen, Wielander, Hakonsen – dreißig Jahre ihres Lebens habe ich zusammengetragen; habe versucht, herauszufinden, was sie antreibt und wo sie hinwollen, weil Menschen immer irgendwo hin wollen. Ich bin auch ein Mensch und auch ich brauche für alles eine Erklärung. Dass Dinge einfach so geschehen, kann ich nicht akzeptieren und so habe ich wie ein Chronist, der seinen Nachfahren beschreiben will, warum es zu der entscheidenden Schlacht gekommen ist, der Aufstellung der Schlachtreihen beigewohnt und mir für alles eine Erklärung ausgedacht. Doch in Wahrheit weiß ich gar nichts.

War Johannas „Leb wohl“ zu Christian aus ihrem Wissen darum geboren worden, dass er sie am nächsten Tag töten würde? Woher hätte sie dieses Wissen haben können? Wie hatte sie mir dann dreißig Jahre später diese Geschichte erzählen können? Wenn ihre „Herren“ sie ohne Gefühle geschaffen hatten, warum hatte ihre Stimme dann so geschwankt, als sie das Wort „Hoffnung“ ausgesprochen hatte? Hoffnung worauf? Wenn es nicht unsere Geburt ist, die uns zu Menschen macht, sondern das, was wir denken, fühlen und hoffen, sind dann Christian und Wenger zwei unterschiedliche Menschen gewesen? Wie konnte Hakonsen so verbohrt sein und nicht verstehen, dass nicht das „Portal“ verteidigt wurde, sondern „Menschen“ sich vor seinem Zugriff schützen wollten?

Fragen über Fragen. Auf keine davon habe ich eine wirkliche Antwort, eine Erklärung schon gar nicht und so bleibt mir nichts weiter übrig, als die Geschichte so zu Ende zu erzählen, wie sie sich zugetragen hat.

Erklären kann ich sie nicht. Ich will es auch nicht. Ich müsste dazu wieder in den Tunnel zurück.
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