Neulich im Kultiversum
Danke nochmal für euer positives Feedback ... schaun wir mal, ob die Fortsetzung da mithalten kann
Wie immer bitte ich um eure Kritik.
Liebe Grüße
Herta
***********************************
Neulich im Kultiversum
Erde. Nördliche Hemisphäre. Sommerhalbjahr. Zoom. Noch näher ran. Wir erkennen bereits die Konturen. Erde an Satellit, Zoom verstärken. Zoom. Ein Vorort einer kleinen Stadt. Es sind Häuserreihen zu erkennen. Umgeben von kleinen Gärten und Mauern. In den Gärten kann man schon die verschiedenen Poolvarianten unterscheiden. Halt! Nicht so nahe, wir fallen gleich in einen billigen aufblasbaren Pool. Wir wollen zum nächsten Haus, das mit dem teuren betonierten Pool und der Umrandung aus Marmor oder ist es Granit? Das kann man aus der Entfernung nicht so genau sagen.
Stop.
Ein Mann und ein kleiner Junge sitzen auf der Terrasse.
"Papa." Der kleine Junge starrt seinen Vater an, doch dieser verzieht keine Miene und starrt weiter in seine Zeitung.
"Papa, mir ist so langweilig." Der Junge beginnt mit den Füßen gegen den Tisch zu treten. Da endlich blickt der Vater auf.
"Dann beschäftige dich mit etwas", erwidert der Vater und widmet sich wieder seiner Lektüre.
"Was soll ich denn machen?"
Der Mann legt die Zeitung auf den Tisch und starrt sein Kind an. Er weiß auch nicht, was der Junge machen soll und zuckt die Achsel.
"Ich geh rein", sagt der Kleine.
Der Vater nimmt wieder seine Zeitung und liest weiter.
Nach einer Weile kommt der Junge wieder nach draußen.
"Papa, drinnen ist es auch fad. Der Computer lässt sich nicht einschalten und im Fernsehen haben sie heute nur Motorsport", quengelt der Knirps.
"Dann mach was anderes."
Der Vater öffnet eine Dose Bier und eine Packung Chips. Beides vertilgt er in Rekordgeschwindigkeit. Der Kleine sitzt daneben und trommelt wieder mit den Füßen gegen den Tisch. Ab und zu erwischt er auch ein Kartoffelchip.
"Wirf das bitte in den Müll", fordert ihn der Vater auf, als alles leer ist. "Bringst du noch was mit raus? Und nimm dir ruhig auch was zu trinken. Es ist genug zuhause."
Der Junge geht, wirft alles in den Müll und kommt mit einer neuen Chipspackung, einer Dose Bier und einer Dose Cola wieder heraus.
Zusammen sitzen sie auf der Terrasse, trinken Getränke aus der Dose und stopfen sich mit Chips voll.
Der Vater liest die Zeitung, der Sohn trommelt seine Langeweile in die Tischbeine.
Nach einer Weile wagt der Sohn es wieder seinen Vater zu unterbrechen. "Papa, was ist eigentlich Kultur?"
Der Vater überlegt. Es vergeht eine recht lange Zeit.
"Also, wir haben hier eine sehr alte Kultur", beginnt er unsicher und überlegt krampfhaft, was Kultur eigentlich ist. "Sie unterscheidet uns von den anderen Menschen, weißt du", fährt er schließlich fort. "Wir haben das alles hier", mit einer großen Geste weist er auf das Haus, den Garten und ihre Snacks. "Das ist Kultur", der Junge ist sprachlos.
"Ja, und nicht nur das", der Vater beginnt sich langsam für das Thema zu erwärmen. "Siehst du, auch die Zeitung ist Kultur. Und unsere Kleidung, eigentlich unsere ganze Lebensart."
Dem Jungen fällt die Kinnlade herunter. Mit so einer Antwort hatte er nicht gerechnet. "In der Schule haben sie etwas ähnliches gesagt. Die Frau Lehrer hat gemeint, wir leben in einer Kultur. Ich hab mich nicht zu fragen getraut, was sie damit meint. Aber jetzt hast du mich ja aufgeklärt." Der Junge wirkt erleichtert.
"Ja, das unterscheidet uns von anderen Menschen. Unsere Kleidung, macht viel aus. Siehst du, der Mann von der Müllabfuhr, trägt andere Kleidung als zB. ich. Er hat weniger Kultur." Der Vater steht auf, wirft die leere Dose achtlos in den Müll (Der Müllmann braucht schließlich auch seine Daseinsberechtigung, mit oder ohne Kultur.) Mit einer Dose Cola kommt er wieder aus dem Haus und fährt fort: "Auch unser Auto ist Kultur. Wäre unsere Zivilisation nicht so kultiviert, müssten wir noch zu Fuß gehen wie die Massai in Afrika."
"Haben die denn keine Kultur?"
Der Vater ist kurz verunsichert. Aber schnell hat er eine passende Antwort parat: "Doch, aber die ist weniger kultiviert als unsere Kultur. Schließlich haben wir ja das hier alles." Er steht auf, betrachtet seine Errungenschaften. Seine eigene Kulturlandschaft und sagt: "Komm mein Sohn, lass uns schwimmen gehen. Schließlich ist der Pool ja auch irgendwie Kultur."
Der Kleine springt auf, holt seine Badesachen, Hose, Schwimmflügerl und seine neueste Errungenschaft, eine Einmalunterwasserkamera.
Erde an Satellit. Wir haben genug gesehen. Unsere Kultur ist wieder einmal bewahrt worden. Wieder hat ein Vater seinem Sohn Kultur erklärt, so wie es sein soll. Der Satellit beendet seine Detailansicht und bietet wieder den Anblick der nördlichen Hemisphäre.
Und der Müllmann macht sich für die Abendschicht bereit.
©Herta 5/2009