Alberts Entdeckungsreise
Alberts Entdeckungsreise ... Henriette Schmezkow, die beste Freundin meiner Cousine, strahlte mich an. Der ICE hatte 200 Sachen drauf, ich saß hinter ihr im Raucherabteil. Vor einer Stunde hatte ich sie entdeckt und stellte mich Schlafend. Hey, Albert, aufwachen, dröhnte sie mich voll. Hmmmmm?, zwinkerte ich sie an, kennen wir uns? Ach, du bist es, Henni. Wo fährste hin?, heuchelte ich. Stell dir vor, ich komme gerade aus Hamburg von Claudia. Übrigens haben wir über dich gesprochen, ihr habt euch ja ewig nicht gesehen ... blablablablabla. Ich schaltete auf Durchzug. Sie redete und redete. Hannover, ich muss umsteigen, schön, dich getroffen zu haben, meld dich mal, tschüüüüühüüüüüüs. Dem Himmel sei Dank. Ich blickte ihr nicht hinterher, sondern schloß meine Augen und gab mich Erinnerungen hin.
Stimmt. Wie lange ist her, seit ich Claudia gesehen habe, siebzehn, achtzehn Jahre? So um den Dreh. Sie war immer meine Lieblingscousine, schon in unseren Kindertagen. Damals hatte sie nach Hamburg geheiratet. Kurz nach ihrer Hochzeit fuhr ich hoch, Vorfreude im Gepäck, nebst selbst gemaltem Portrait von ihr, als Hochzeitsgeschenk.
Großes Trara am Hauptbahnhof, als sie mich abholte. Mit Bernd. Ein kurzer Blick, ich wußte Bescheid, ein Arschloch. Widerstrebend gab ich ihm die Hand. Sie umarmte und küsste ich lange. Claudia. Als Kind war ich in sie verliebt. Sie ist mittlerweile freie Photographin, durchquert die Krisengebiete dieser Welt, ihre Photos kannte ich aus Stern und Spiegel. Dick ist sie geworden, so richtig rundlich, ohne an Schönheit einzubüßen. Sie schlug vor, bei ihnen zu wohnen, doch ich hatte bereits ein Hotelzimmer gebucht. Du und dein Sinn für Freiheit, lachte sie. Er atmete erleichtert auf. Ich auch. Ab zum Hotel, die beiden an der Bar parken, schnell frisch machen, umziehen.
Nach einer Dreiviertelstunde prosteten wir uns zu. Er war schon leicht angeschickert, na toll. Dann stellten sie mir das Abendprogramm vor. Lecker Essen gehen, den Namen des Lokals habe ich vergessen, war ganz nett. Danach den unvermeidlichen Cocktail im Tower des Residenz Hotels Hafen Hamburg gegenüber den Landungsbrücken. Geile Aussicht über den abendlichen Hafen. Millionen Lichter, blitzende Wellen, einfach nur schön. Beim dritten Cocktail musste er zur Toilette. Claudia und ich schauten uns schweigend an. Stumm machte ich ihr meine Zurückhaltung ihm gegenüber klar. Nickend gewährte ich ihm für den heutigen Abend Toleranz. Dankend drückte sie mir die Hand. Wir brauchten nie viele Worte.
Es folgte ein Streifzug über die Reeperbahn, das meiste war mir noch bekannt, zu oft war ich in Hamburg gewesen, früher. Die gleichen Lokale, anderes Mobilar, neue Touristen. Ich versuchte, einen gutgelaunten Eindruck zu hinterlassen, ihr zuliebe. Er war mittlerweile schwerst angeschlagen, seine Zunge schwer.
Zum vorläufigen Abschluss Besuch der dritten Vortsellung im Pulverfaß in St. Georg. Der Taxifahrer liess keinen Umweg aus, ich gönnte ihm seinen kleinen Nebenverdienst, welcher uns das Trinkgeld einsparte. Dumpfbacke, die Strecke kannte ich in- und auswendig.
Pulverfaß, dritte Vorstellung. Nicht ganz voll, weniger Pauschaltouris, mehr Szene. Den Sofaplatz neben der kleinen Bühne hatte Claudia vorher reserviert. Wie ich es früher auch schon oft gemacht hatte. Schlaues Mädchen. Prosecco, schrie Bernd, Prosecco! Claudia erzählte mir, warum wir hier waren. Wegen einer neuen Tänzerin, eine absolute Schönheit, sagte sie. Laut Plakat. Wir warteten gespannt die ganze Vorstellung ab. Prosegggggo, schallte es wieder laut durch das Fäßchen. Vollspacko, dachte ich. Die Show war wie so oft frivol, frech und witzig, einige Touries wurden zum Vergügen aller als Opfer durch den Kakao gezogen. Es war wie immer. Bernd sackte mittlerweile in sich zusammen. Schlafe ein, schlaf ein, summte ich in Gedanken.
Dann betrat sie die Bühne, die neue Tänzerin. In einem schwarzen Herrenanzug, Herrenhut und High Heels mit schwindelerregenden Absätzen.
---
Copyright Maurice de Winter - 2008
Fortsetzung folgt in Kürze