Der Aufbruch
Durch die Butzenglasscheibe strahlte die steirische Morgensonne auf den Eichentisch in der Kammer der Postmeisterstochter von Bad Aussee. Auf dem rot blühenden Blumenkasten vor dem Fenster zwitscherten sich zwei Kohlmeisen
Guten Morgen zu. Ich räkelte mich unter der breiten Tuchent und küsste die hübsche Aloisia frech auf den Mund, während sie mir mit ihren warmen Händen den Schwengel hartmassierte. Es war ein wunderschöner, friedlicher Morgen im Salzkammergut.
Da wurde die Holztür aufgerissen! "Hans, du musst sofort kommen! Der Erzherzog will dich sprechen!"
Mitten in der Stube stand schnaufend mein Freund Josef. Ich nahm die Finger aus der Postmeisterstochter und ließ sie davon ihren Saft ablecken, während ich mich aufrappelte und in die Lederhose schlüpfte. "Der Erzherzog, sagst du? Was gibt es denn um sechs Uhr früh?"
"Weiß ich nicht", antwortete Josef, "aber es ist eilig. Er wartet in Salzburg auf dich! Ich muss dich hinbringen."
"Soso. Na, dann warte du unten, ich komme gleich", sagte ich, stopfte mein Hemd unter den Lederhosenbund, stieg in die Stiefel, warf den Rock über und küsste das Loiserl nocheinmal leidenschaftlich. "Staatsauftrag. Streng geheim!", sagte ich. "Wenn ich wieder da bin, machen wir weiter..."
Kaum trat ich aus dem Haus – die Sonne blendete mich – gab es einen ohrenbetäubenden Knall! Ich sprang sofort hinter den steinernen Brunntrog, krallte mir eine Handvoll Kieselsteine und warf sie blindlings über den Brunnen auf den Hof. Über mir plätscherte das Wasser. "Ihr habt keine Chance! Ich wehre mich bis zum letzten Blutstropfen", rief ich aus meiner Deckung. "Außerdem war ich's nicht! Ich bin unschuldig!"
Keine Reaktion... Nur das eindeutige Zischen der Zündschnur war von der Straße zu hören. Auf dem Brunntrog ließen sich die beiden Meisen nieder und sahen ungläubig auf mich herunter. Es zischte immer lauter... "Seid ihr verrückt geworden? Ihr werdet doch nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen!", schrie ich. "Ich habe den beiden nicht die Ehe versprochen! Nie und nimmer!! Und..., und... geschwängert habe ich sie auch nicht! Das behaupten die beiden nur, jaja genau! Damit ich eine von ihnen heirate. Aber das tue ich nicht! Weil ich liebe nur die Mitzi", schrie ich hinter dem Brunntrog hervor.
In diesem Augenblick erschien im Kammerfenster über mir das wütende Gesicht der Postmeisterstochter Aloisia: "Ach so ist das!", kreischte sie. "Die Mitzi hat's dir also angetan! Und bei mir hat es dir wohl gar nicht gefallen, was? Du elender Lump, du Hallodri! Schau, dass du weiterkommst zu deiner Mitzi, dieser blöden Kuh!" In meinem Gesicht landete eine Pelargonie, eine weitere verfehlte mich, sodann folgte eine Vase, ein Nachttopf, ein duftender Unterrock und am Schluss mein Ausseerhut, begleitet von den wüstesten Flüchen.
"Geh, Loiserl!", brüllte ich hinauf. "Du weißt doch, dass ich nur dich will. Das mit der Mitzi habe ich doch nur gesagt, damit die nicht schießen!"
"Abknallen sollen sie dich, du elender Bock!"
"Aber Loischen... Liiiebes Loiserl!"
"Nix da! Es hat sich ausgeloiserlt! Buhuuuu...."
Mist. Ich saß in der Klemme. Verärgert warf ich den Krautkopf und eine Pelargonie über den Brunnen auf den Hof und rief meinen Feinden zu: "Da seht ihr, was ihr angerichtet habt!"
"Was machst du denn da unten? Komm endlich, wir müssen fahren!", tauchte über dem Brunntrog das Gesicht von Josef auf. Ich lugte über den Rand des plätschernden Wassers hinweg auf den Platz. Er war menschenleer. Nur zwei Hühner gackerten herum. "Aber.... aber....", stammelte ich. Nun denn, ich hatte die aggressive Horde wohl in die Flucht geschlagen. Lediglich das Zischen der Zündschnur hörte ich noch. Ich tauchte den Kopf in den eiskalten Brunnen, klopfte den Staub aus dem Hut und eilte dem Josef hinterher, der auf die geladene Kanone zusteuerte. Ihr Lauf war steil in den Himmel gerichtet.
"Kannst du sie noch entschärfen?", rief ich.
"Wen denn? Die Aloisia?" fragte er. "Ich fürchte, das musst du selber klären."
"Nein, die Kanone", sagte ich. "Kannst du sie entschärfen?"
"Lieber Freund!", lächelte daraufhin der Josef und legte den Arm auf die großen Räder der kupfern und silbern glänzenden fauchenden Ansammlung aus Stangen, Hebeln, Schrauben und Rädchen. "Das hier ist keine Kanone, sondern meine neueste Erfindung! Es ist ein Dampfmobil, und damit fahren wir jetzt nach Salzburg zum Erzherzog."
"Ein Dampfmobil... Aber natürlich!", sagte ich mitleidig, und tätschelte meinem verrückten Freund an die Wange. "Wo sind denn die Pferde?"
"Brauchen wir nicht", sagte er belustigt, setzte sich auf die vordere Sitzbank und legte einen langen Hebel um. Das Zischen ging in ein Fauchen über, es knallte noch einmal, und tatsächlich rollte das Gefährt die Dorfstraße hinunter, ohne dass auch nur ein einziges Pferd daran gezogen hätte. Ich stand mit offener Klappe da und sah meinem Freund nach...
Nie und nimmer wäre ich da mitgefahren, wenn mich nicht die wütenden Schimpftiraden der hinter mir andampfenden Postmeisterstochter Aloisia aufgescheucht und angespornt hätten. So begann ich zu laufen und hatte große Mühe, die schnurrende Metallkutsche einzuholen. Ich schwang mich auf die überraschend bequeme, gepolsterte Rückbank, rief dem Josef zu "Gib Dampf!", und wir nahmen knallend, scheppernd und fauchend solche Fahrt auf, dass es mir den Gamsbart vom Hut riss.
Allmählich gefiel mir die Fahrt an diesem schönen Sommermorgen und ich gesellte mich zu Josef nach vorne, der mir einige Funktionsweisen von Hebeln erklärte. Als ich mir mein Pfeifchen anzünden wollte, zückte er einen glühenden Eisendraht aus der Messing-Armatur und hielt ihn mir hin. Welch Komfort!
Über den dicht bewaldeten Pötschenpass wälzten wir uns mühelos die steile Straße hinauf. Auf der anderen Seite ging es in rasantem Tempo abwärts. "Wenn du in Salzburg beim Erzherzog bist, fahre ich derweil zum Kesselflicker und lasse ein paar Änderungen durchführen", schrie Josef. "Wenn die Kutsche erst mal tiefer liegt, und der Abzug doppelläufig hinten rausgeht, der neue Zunder eine bessere Hitze macht und die Federn eingebaut sind, macht die Kiste glatt zehn Meter pro Sekunde", schwärmte er.
"Du könntest auch Ketten anbringen statt der Räder, dann könnten wir auch durch die Wiesen fahren... Und ein abnehmbares Dach", bemerkte ich. Er runzelte die Stirn, und ich fügte schnell hinzu: "Aber du bist der Ingenieur! Ich bin nur ein Feldschreiber..."
Am Wolfgangsee tankten wir Wasser nach und aßen zu Mittag. Gegen Abend erreichten wir schließlich Salzburg, wo ich aus den Händen von Erzherzog Johann meinen geheimen Auftrag erhalten sollte. Während wir den Salzachkai entlangdonnerten waren alle Blicke auf uns gerichtet. "Fahr langsamer", sagte ich zu Josef, lehnte mich lässig über die Seite unseres Gefährts hinaus und rief einer Gruppe feiner Damen zu: "Na, ihr Süßen? Kleine Spritztour gefällig?"
Eine der Hühner klappte unter ihrem Schirmchen zusammen, eine andere hielt sich die weiß behandschuhten Fingerchen vor den Mund und hüstelte indigniert, und die anderen starrten uns mit offenem Mund hinterher.
Die letzten Meter zur geheimen Unterkunft des Kaiserbruders, Erzherzog Johann, im Gasthof zum Goldenen Hirschen legte ich zu Fuß zurück. Mit einem festen Händedruck empfing mich dieser vortreffliche Mann, dem so viel an der wirtschaftlichen und industriellen Entwicklung des ganzen Reichs lag.
"Mein lieber Hans", begann er ohne Zögern. "Ich habe wieder einen Auftrag für dich. Es geht um den vermaledeiten Ehemann der Tochter des Kaisers..."
"Den albernen Franzosen?", fragte ich.
"Richtig. Bonaparte", antwortete er. "Hör zu,..."