Wandersmaid
„Nimm deine Finger weg, du räudiger Lump“, schrie ich den Kerl an, der versuchte, sich mit meinem Bündel aus dem Staub zu machen. Ich hatte es neben mir auf die Bank gelegt, auf der ich saß, und es enthielt alles, was ich hatte. Erschreckt fuhr er zurück und lief davon. Die Wirtshausstube war voller Menschen, die aßen und tranken und sich unterhielten und nicht darauf achteten, was um sie herum vorging. Niemand schien den Vorfall bemerkt zu haben.
Ich hob meinen langen Rock, klemmte mir das Bündel zwischen meine nackten Beine und ließ den Rock wieder fallen. ´So`, dachte ich. `Das soll jetzt mal einer versuchen.`
Dann wandte ich mich wieder dem Holznapf zu, der vor mir auf dem grob gezimmerten Tisch stand. Mehr als diese Kohlsuppe konnte ich mir nicht leisten. Sie war die erste warme Mahlzeit seit Tagen.
Um Wirtshäuser machte ich nicht nur wegen des Geldes einen Bogen. Abgesehen von der Gefahr bestohlen zu werden, waren mir die Mannsbilder lästig, die nach ein paar Bechern Wein mutig genug waren, einem hübschen Weib in den Hintern zu kneifen. Mit denen konnte ich nichts anfangen, obwohl ich durchaus wusste, was ich mit einem stattlichen, gut bestückten Mann anfangen könnte. Der letzte war schon allzu lange her. Als ich daran dachte, begann mein Schoß zu kribbeln.
Was ich aber im Moment dringender brauchte, war einer, der mich beschützen konnte vor Wegelagerern und vor allem vor den Soldaten aller Couleur, die sich zunehmend in dieser Gegend sammelten. Es war ein offenes Geheimnis, dass es in den nächsten Monaten eine entscheidende Schlacht zwischen Napoleon und den Alliierten geben würde. Die Soldaten beider Seiten hatten auch schon viel zu lange keine Frau mehr gehabt und geizten nicht mit derben Sprüchen. Weiter wollte ich es auch nicht kommen lassen.
Seit einigen Wochen schlug ich mich schon allein durch. Ich war als junges Ding von meinen Eltern zu einem Großbauern gegeben worden. Als Küchenmädchen fing ich an und arbeitete mich in den nächsten Jahren zur Köchin hoch. Dann starb die Frau des Bauern. Er verkraftete das nicht. Das Weinfass wurde sein bester Freund, und schließlich legte er sich vor ein paar Wochen besoffen wie er war neben einer brennenden Laterne im Heuschober schlafen.
Als ich in der Nacht aufwachte, brannte alles schon lichterloh. Ich konnte nur noch das, was ich am Leib trug, dazu mein Sonntagskleid, die guten Schuhe und meine wenigen Ersparnisse retten.
Das Gesinde des Hofs kam auf den Nachbarhöfen unter, und ich nutzte die Gelegenheit, meinen Traum wahr zu machen. Ich wollte in die große Stadt – nach Leipzig – und dort in einem Gasthof Arbeit suchen.-
Als ich aufgegessen hatte, verließ ich die laute, vom Herdfeuer stickige Gaststube und atmete draußen die frische, süß duftende Frühlingsluft ein. Seit einigen Tagen war es so warm, dass ich ohne Probleme in meinen Mantel gehüllt im Freien schlafen konnte, ohne morgens halb erfroren aufzuwachen. Meist hatte ich aber irgendwo in einer Scheune einen Schlafplatz im Heu oder Stroh gefunden.
Vor dem Gasthof verlief eine breit ausgefahrene Straße, der ich bis hinter die nächste Kurve folgte. Dann suchte ich mir den nächsten Pfad, der in dichtes Buschwerk führte, um in Deckung zu gehen und wartete eine Weile ab, ob mir jemand gefolgt war. Es blieb aber alles ruhig.
Die Mittagswärme und das ungewohnt schwere Essen machten mich müde, so dass ich beschloss, mir an dem Bach, der meinen Weg kreuzte, ein geschütztes Plätzchen für eine Pause zu suchen. Mein Bündel diente mir als Kissen, mein Mantel als Decke, und innerhalb weniger Minuten war ich eingeschlafen.