Zur Kur (4)
Das war schon aufrührend. Langsam fuhr ich die paar Kilometer mit dem Wagen nach Hause. Mit all dem hatte ich wirklich nicht gerechnet: eine weitere Einladung. Und dann: Vera in der Geschäftsführung. Das war beides kaum zu glauben. Überhaupt nicht.Ich musste mich wirklich versuchen, mich von meinen Gedanken lösen, als ich zu Hause war. Es gelangen schwerlich bis gar nicht.
Gegen Abend machte ich mir eine Kleinigkeit zu essen und überlegte, wie und ob ich mich vorbereiten sollte.
Auch das ließ mir keine Ruhe. Ich stellte die Karte vor mir auf und tastete die schön geschwungenen Linien ihrer Schrift ab.
Ich möchte dann gerne mit Dir ins Wasser.
Was würde passieren? Was für eine Art Überraschung?
Ich kann nicht mal sagen, dass ich unruhig war. Eher mit einer Erwartungsvollen Neugierde angefüllt.
Mit all dem in mir ging ich dann später noch einmal ausführlich duschen, rasierte sorgfältig noch einmal den Teil, den ich notwendig fand: nicht alles – ich bin ja schließlich kein Junge mehr – aber doch dort, wo es zu fühlen oder zu genießen galt.
Ich ließ mir mit allem viel Zeit.
Dann: Badesachen einpacken? Vermutlich würde ich sie nicht brauchen. Aber schaden konnte das auch nicht. Bademantel? Ja, auch.
Und diese kleine Eitelkeit: was bloß ziehe ich an?
Draußen war es eigentlich noch zu kühl für T-shirt und Jeansjacke. Trotzdem. Ein leichter heller Pullover noch mit in die Tasche.
Ich fühlte mich überfrachtet. Auch mit einer Unruhe.
Ach ja: die Nummer ins Handy speichern. Sozusagen die Eintrittskarte.
Alles noch mal überlegen.
Dann schloss ich die Wohnung ab und fuhr los.
Es waren nur ein paar Minuten, dann stellte ich dem Motor auf dem gleichen Parkplatz ab, auf dem ich vor ein paar Stunden schon einmal stand. Licht aus.
Schlüssel einstecken.
Mein Blick auf das Gebäude des Bades. Alles war dunkel, auch in der Umgebung kein Mensch zu sehen. Lediglich die Werbetafel draußen vor dem Eingangsportal war durch kleine Scheinwerfer beleuchtet. Sonst Ruhe und Dunkelheit.
Bei Abendverabredungen nie zu früh kommen, hallte es in mir und ich sah auf die Uhr. Noch ein paar Minuten.
Was ist in einer halben Stunde passiert?
Um zwei Minuten nach Elf klappte ich die Tür zu, durch die Fernbedienung klickte die Verriegelung zu. Langsam ging ich zum Eingangsportal, sah mich noch eimal um, wie ein Dieb in der Nacht.
Niemand zu sehen.
Mein Handy flammte viel zu grell auf, ich rief die Nummer ab und tippe auf den grünen Wählknopf. Die Wahltöne flirrten an mein Ohr, ein kleine Pause.
„Ja, hier ist Vera Meinert?“ Leise und gar nicht geschäftsmäßig, dachte ich noch, aber: Stimmt - wer sollte um die Zeit schon noch im Büro anrufen?
„Hallo“, sagte ich fast zu leise, „hier ist Sam. Ich bin unten am Eingang.“
Kleine Pause: „Oooh, schön!“ Kleine Pause. „Warte einen Moment. Ich schalte die Türverriegelung kurz ab, dann kannst Du rein. Die Verwaltung findest Du neben dem Wellness, es ist der Gang nach rechts.“ Kleine Pause. „Okay?“
„Ja, ist gut“ antwortete ich wieder viel zu leise. Kurzes knacken, sie hatte aufgelegt.
Ich stand vor der großen Glastür.
Es dauerte einen Moment, dann hörte ich ein leises, mechanisches Geräusch. Eine Sekunde später glitt die große Glastür auf, ich trat ein, die Tür schloss sich hinter mir, wieder dieses leise, mechanische Geräusch, das wohl die Tür verriegelte.
Ich stand im Dunkeln vor der Bezahltheke: völlige Stille.
Nur die Hinweise auf die Notausgänge warfen ein ganz klein wenig Licht in den großen Raum.
Ich sah mich um, ging die Treppe in Richtung des Wellnessbereiches, wie schon zuvor. Oben zweigte tatsächlich ein dunkler Gang nach rechts ab, der durch eine Milchglastür abgeschirmt war. Daneben ein dezentes Hinweisschild: Personal
Ich drückte die Klinke, öffnete die Tür – sich klickte hinter mir leise zu.
Ich stand in dem dunklen Gang, des Länge ich nicht abschätzen konnte: links und rechts Türen.
Langsam ging ich los: und sah wenig später unter der letzten Tür am Ende des Ganges einen kaum sichtbaren Lichtstreifen am Boden.
Neben der Tür ein Schild. Im Dämmerlicht las ich: Geschäftsführung, Fr. Meinert
Anklopfen glaube ich konnte ich mir sparen.