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Shane MacGowan: Die letzte Runde geht an ihn

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Shane MacGowan: Die letzte Runde geht an ihn
Der beste Kommentar zu einem Musiker, den ich sicherlich in den letzen 30 Jahren gelesen habe. Ich durfte vor vielen Jahren Pogues bei Konzerten erleben. Beim Lesen dieser traurigen Nachricht bekomme ich Gänsehaut.

Wieder ist ein großer Musiker von uns geganen. R.I.P.


Shane MacGowan: Die letzte Runde geht an ihn

Trinker und Dichter, Liebender und Suchender: Der Pogues-Sänger Shane MacGowan entsprach dem Bild der großen irischen Künstler, for better or worse. Ein Nachruf

Von André Boße
30. November 2023, 20:33 Uhr

Wer das Glück hatte, Anfang der Zehnerjahre eine Show der späten Pogues zu erleben, weiß: Das Timing bekam deren Sänger Shane MacGowan am Ende nicht mehr hin. Da stimmte kein Einsatz mehr. Was aber herzlich egal war, denn gesungen hat sowieso das gesamte Publikum. Ein paar Jahre später brachte MacGowans notorisch mieses Timing dann bei den Dreharbeiten zu Julien Temples großartigem Filmporträt Shane den Co-Star und Pogues-Fan Johnny Depp an den Rand seiner Coolness. Erstens erschien MacGowan zum vereinbarten Treffen Stunden zu spät, zweitens nicht in geplanter Verfassung, drittens ließ er sein kehlig-gurgelndes Ernie-aus-der-Sesamstraße-Kichern an den unpassendsten Stellen vom Stapel. Wer Depp im Film sieht, merkt, wie ihn das irritiert, dass mal nicht er der Kauz war, sondern jemand anderes.

MacGowans finales Timing jedoch wirkt seltsam passend. Er starb im Alter von 65 Jahren am frühen Morgen des 30. November, einen Tag vor Beginn der Adventszeit. Das ist die Saison, in der MacGowans unsterblicher Weihnachtssong Fairytale Of New York seit seinem Erscheinen im Jahr 1987 zuverlässig aus endlosen Weihnachtsmarktbuden auf der ganzen christlichen Welt schallt. In der diesjährigen Adventszeit werden sich die Leute bei jedem Durchlauf an Shane MacGowan erinnern. Sie werden auf ihn trinken, Glühwein, Lumumba, Weihnachtsbier und was sonst noch ausgeschenkt wird an schrecklichen Alkoholika. In Irland nennt man dieses rührselige, feuchtfröhliche Abschiednehmen von einem Verstorbenen "The Wake". Dieser Dezember wird sich wohl zur längsten Totenwache in der Geschichte des Rock'n'Roll entwickeln: The Wake of Shane MacGowan – die letzte Runde geht an ihn.

Geboren wurde Shane MacGowan – selbstverständlich – am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1957, die Affinität zum Fest wurde ihm also schon in die Wiege gelegt. Zur Welt kam er nicht in Irland, der Heimat seiner Familie, sondern in der englischen Grafschaft Kent, wo die Eltern nach Arbeit suchten. Bald kehrten die MacGowans zurück nach Tipperary, um ab Mitte der Sechzigerjahre erneut das Glück in England zu suchen. Für den jungen Shane MacGowan bedeutete dieses Hin und Her ein irritierendes Identitätspingpong, die Situation war verzwickt: Viele Iren verließen damals ihre Heimat, weil ihr Land noch immer unter der jahrelangen Unterjochung durch die Briten litt. Wer nicht nach Amerika auswanderte, wählte den kurzen Weg nach England, um ausgerechnet bei denen sein Glück zu suchen, die den Iren über Generationen böse mitgespielt hatten.


Dieser nicht auflösbare Widerspruch schien die Quelle, aus der Shane MacGowan seine besten Songs schrieb. Sie handeln vom Heim- und Fernweh, von Kriegen und Hungersnöten, von irischen Mythen und englischen Idioten, von der großen Sehnsucht und dem ewigen Suff. Immer wieder vom Suff. Der junge MacGowan wurde, so beschrieb er es selbst, schon im Vorschulalter von seiner Tante abgefüllt. Nicht, weil sie es böse meinte. Sondern weil sie glaubte, nur so sei das Leben zu ertragen. MacGowan selbst hat seine Tante und ihre Motive nie hinterfragt.

Als Teenager galt Shane MacGowan mal als hochbegabt, mal als Problemjugendlicher. Er verbrachte einige Zeit in der Psychiatrie, geriet an Drogen, an Alkohol sowieso. 1976, als in London der Punk ausbrach, war er zur Stelle. MacGowan wurde Sänger einer Band mit dem Namen The Nipple Erectors, der damalige Jam-Frontmann Paul Weller war ein früher Fan und nannte MacGowan 1979 in einem Artikel im New Musical Express den "einzigen echten Star, den die New-Wave-Szene hervorbringt".
Dieser dürre Sänger mit den schlechten Zähnen

Anfang der Achtzigerjahre gründete Shane MacGowan die Irish-Folk-Punkband Pogue Mahone, das ist gälisch und bedeutet, man könne ihn am Hinterteil lecken; später wurde der Bandname verkürzt zu The Pogues. Schon früh zeigte MacGowan sein Timing-Problem, hier noch bei der Wahl des Musikgenres: Unterkühlte Postpunks und durchgestylte New Romantics dominierten die Szene, die rumpeligen Irish-Immigrants mit ihrem dürren Sänger mit den schlechten Zähnen standen da eigentlich auf verlorenem Posten. Doch die Songs, die Shane MacGowan schrieb, waren viel zu gut, um nicht gehört zu werden.

Einer vom Debütalbum Red Roses for Me (1984) der Pogues etwa handelte von Streams Of Whiskey – das lässt sich im Refrain astrein mitgrölen, weshalb die Pogues von Beginn an auch eine Partyband waren, etwa auch auf Scheunenfesten in der deutschen Provinz wurde das Lied gespielt als Übergang zwischen Hier kommt Alex von den Toten Hosen und Was wollen wir trinken (7 Tage lang). Doch hinter der Saufmetapher lauerte bei MacGowan schon da Tieferes. Er beschreibt in Streams Of Whiskey eine Begegnung im Traum mit Brendan Behan, dem irischen Dramatiker. Auch der war ein Trinker. MacGowan singt, Brendan Behan habe ihm im Schlaf seine weisesten Philosophien verraten. Doch was bitte solle man mit diesen anfangen, wenn sich die Welt verdunkelt und man ein inneres Licht benötige? Dann doch lieber: ab in die Bar – "and drink 15 pints of beer".

Seine großen Songs schrieb Shane MacGowan zwischen 1984 und 1989, fünf Jahre nur dauerte seine wahre Schaffensphase, danach war sein Gehirn für weitere Großtaten wohl zu benebelt, bald wohl auch nachhaltig zerstört.

Shane MacGowan als 19-Jähriger © Sydney O'Meara/​Getty Images

Aber das spielt keine Rolle, denn die Lieder aus dieser Zeit bieten genug, um sich ewig mit ihnen zu beschäftigen. Da ist zum Beispiel A Pair Of Brown Eyes, zuletzt grandios gecovert von der US-Sängerin Cat Power. Der Song spielt, natürlich, im Pub, ein junger Mann hört unfreiwillig einem älteren zu, wie dieser vom Grauen des Krieges erzählt, dazu von einem Paar brauner Augen, das, so seine Hoffnung, zu Hause auf ihn warten würde. The Pogues spielen das Stück im Dreivierteltakt, wenn man es hört, bleibt unklar, ob es das Überleben feiert oder sich in Trauer suhlt. Oder anders gesagt: Ist es gut, noch einen zu heben, oder eher nicht? Am Abend weiß das niemand, schlauer ist man erst am nächsten Morgen.

Die Story von A Pair Of Brown Eyes geht für beide Männer nicht gut aus. Shane MacGowan ist kein Mann für Happy Endings, nicht einmal sein Fairytale Of New York hat eines zu bieten: Kirsty MacColl verwünscht ihren Noch-Partner, der die Feiertage in der Ausnüchterungszelle verbringt: "Happy Christmas your arse / I pray God it's our last!" – das ist der ewige Platz eins in der Hitparade der Flüche in Popsongs. Am Ende des Liedes singt der NYPD-Chor das irische Traditional Galway Bay, es läuten die Glocken zum Weihnachtstag – und in New York sind zwei irische Einwanderer gebrochen und allein.

Die Trennung des lyrischen Ichs von seinem Lifestyle war für Shane MacGowan offenbar zu keiner Zeit ein lebbares Konzept. Zum Leidwesen der restlichen Pogues, die ihn mit großer Langmut und Treue begleiteten. Bis 1988 funktionierte das Band-Gebilde, das dritte Pogues-Album If I Should Fall From Grace With God war ihr Meisterwerk. Danach verlor sich der Sänger und Songschreiber noch mehr als sonst im Suff, er schrieb weniger Lieder, die anderen mussten einspringen. Für zwei Pogues-Platten reichte es noch, dann war Shane MacGowan 1991 bei einer Tour durch Japan nicht mehr funktionsfähig: Während die Band mit dem Zug reiste, wurde der Sänger in einem eigenen Bandbus durchs Land kutschiert. Als ein japanischer Veranstalter kurz vor dem anstehenden Gig die Tür des Fahrzeugs öffnete, fiel der Star des Abends sturzbetrunken aus dem Bus auf den Asphalt.

Kurz darauf trennten sich die Pogues von ihm; als Aushilfsfrontmann übernahm Joe Strummer von The Clash, auch er ein großer Bewunderer MacGowans. Dass es ihm, einem der besten Sänger der Rockgeschichte, nicht gelang, Shane MacGowan zu ersetzen, zeigt, welch Persönlichkeit der Rock'n'Roll mit MacGowan verloren hat, aber schon zu Lebzeiten. The Pogues veröffentlichten zwei solide Platten ohne ihn, MacGowan versuchte es mit einer Solokarriere. 2001 fanden die Band und ihr Sänger wieder zusammen, jedoch nur für Konzerte, eine weitere Platte mit neuen Liedern erschien nicht mehr.

Hätte damals, am Bandbus in Japan, MacGowan auf dem Asphalt, jemand gesagt, dieser Mann werde noch mehr als 30 Weihnachtsfeste erleben, niemand hätte es geglaubt. Dass es so kam, lag an guter medizinischer Versorgung. Und an der Liebe.

Bereits Anfang der Achtzigerjahre, selbstverständlich kurz vor Weihnachten, lernte Shane MacGowan, da Mitte 20, die damals 16 Jahre alte Victoria Mary Clarke kennen. Die beiden wurden ein Paar und blieben es all die Jahre trotz aller Tumulte. 2007 erst verlobten sich die beiden, 2018 heirateten sie. Victoria Mary Clarke arbeitet als Autorin und Journalistin, ihr Gesprächsbuch A Drink With Shane MacGowan, erschienen im Jahr 2001, ist ein brillantes Porträt nicht nur ihres Mannes, sondern auch der gemeinsamen Liebe. Clarke ist, so lässt sich aus der Lektüre schließen, keine Kümmerin. Sondern jemand, der diesem mal wachen, mal vernebelten Geist die richtigen Fragen stellte. Zum Beispiel die, ob ihm noch was am Leben liege. Shane MacGowan bejahte, trank weniger, ließ sich das Gebiss richten.
Shane MacGowan NME
Shane MacGowan im Jahr 2010 © Chris Jackson/​Getty Images

Der Mann, den man in letzten Interviews sowie in der Doku Shane sieht, war einerseits von einem Leben gezeichnet, das man ungesünder wohl nicht führen kann. Andererseits: Wie er da, nach einem Sturz im Rollstuhl, neben seiner großen Liebe sitzt, sich Johnny Depps Lobhudeleien anhört und an den unpassendsten Stellen kehlig-gurgelnd loskichert – so kann man sich einen glücklichen Mann auch vorstellen.

Als Shane MacGowan nun starb, an Organversagen, war seine Frau an seiner Seite. Die Worte in ihrem Abschiedsposting bei Instagram stammen aus einem der wenigen Songs ihres Mannes, in dem niemand vor die Hunde geht. Victoria Mary Clarke schreibt, Shane werde für immer "das Maß meiner Träume" sein, "the measure of my dreams". Wer im Laufe der Vorweihnachtszeit Fairytale Of New York irgendwann nicht mehr hören mag: Das von Clarke somit zitierte A Rainy Night In Soho ist mindestens genauso toll.

Quelle:
xx
ahttps://www.zeit.de/kultur/musik/2023-11/shane-mac-gowan-the-pogues-musiker-tod-nachruf
xxx
*****ony Mann
27 Beiträge

**********nge74 Mann
340 Beiträge
Er war einer der Größten...
****ea Frau
314 Beiträge
Und länger geblieben als gedacht... R.I.P. Shane
Unschlagbare Erinnerungen an Konzerte...


*******balg Mann
3.022 Beiträge
R.I-P. Shane MacGowan
Durfte die die Band 14-15x live sehen.Begonnen mit der 'If I Should Fall From Grace With God' Tour Ende der 80iger!
Unvergessen!
*********_Punk Mann
3 Beiträge
Happy Christmas your arse...
Tiocfaidh ár lá!


********tter Mann
78 Beiträge
R.I.P. Shane
*****ony Mann
27 Beiträge
Nick Cave performing A Rainy Night in Soho at the funeral of Shane MacGowan



Einfach nur groß!
*******balg Mann
3.022 Beiträge
RIP Shane


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