Manuskriptauszug Zierau (9)
Paris gilt Anfang des 19. Jahrhunderts mit seinen liberalen Gedanken, mit seinen Opernhäusern und Theatern als das Opernzentrum schlechthin, selbst für Italiener. Rossini lebt hier und hat für die französische Metropole seine letzten Opern geschrieben. „Le comte Ory“ und „Guillaume Tell“. Seine italienischen Opern werden in Originalsprache im berühmten „Théâtre Italien“ aufgeführt. Und genau für dieses Theater will Donizetti tätig werden. Doch das ist gar nicht so einfach. An einen Auftrag ist zunächst überhaupt nicht zu denken. Wer interessiert sich im fernen Paris schon für Donizetti?
Donizetti: Streichquartett in D - Dur. Arrangiert für Streichorchester - 1. Allegro ·( Academy of St Martin in the Fields · Sir Neville Marriner)
Donizetti will mit seiner Musik Paris erobern und hofft dabei auf Unterstützung des Tenors Giovanni Battista Rubini. Denn Rubini ist in Paris erfolgreich. Einziges Problem, er wird dort voll und ganz von Bellini in Beschlag genommen.
Donizetti zieht alle Register. Er setzt sich ans Klavier und schreibt eine abendfüllende Opera buffa über den Kronprinzen Frankreichs "Gianni di Parigi".
Die Partitur schickt er als Geschenk an Rubini, mit dem Hintergedanken, der Tenor würde sich für die Aufführung der Oper einsetzen. Weit gefehlt. Rubini sendet nicht mal ein Dankesschreiben.
Erst acht Jahre später wird die Oper uraufgeführt, nicht in Paris, sondern in Mailand und auch nicht mit Rubini. Er wird die Titelrolle niemals singen.
Sextett mit Chor aus "Gianni di Parigi"
Über das Schweigen Rubinis, für den „Gianni di Parigi“ geschrieben war, ist Donizetti enttäuscht, doch er lässt sich nicht entmutigen. Weiter geht es mit dem Sturm auf Paris und dem Ehrgeiz, Bellini am Théâtre Italien herauszufordern. Giovanni Riccordi klagt er sein Leid: "Der Erfolg von Parisina hat in keiner Weise geholfen, den Weg nach Paris zu ebnen, wo die Impresarios sagen, da Rossini hier ist, brauchen wir niemand sonst zu suchen, um Aufführungen auf die Bühne zu stellen (fast als ob dieser Koloss eifersüchtig auf die Insekten sei.) Mein Unglück."
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Sollte tatsächlich Rossini mit seiner Omnipräsenz den Weg Donizettis nach Paris versperren? Eine gute Freundin, die deutsch-ungarische Sopranistin Karoline Unger, hilft Donizetti. Sie bemüht sich um eine Aufführung der "Parisina d‘Este" am Théâtre Italien. Gleichzeitig schickt sie die beiden Impresarios des Theaters auf ihrer Talentsuche durch Italien zu Donizetti nach Rom.
Die Beiden kommen tatsächlich bei Donizetti vorbei, man plaudert über "Parisina d'Este", schüttelt sich die Hände und verabredet sich auf ein Wiedersehen auf der Rückreise.
In Gedanken sieht sich Donizetti schon als Triumphator in Paris einziehen. Aber auch diesmal holt ihn die Realität schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Robert und Severini reisen von Neapel direkt nach Paris zurück, ohne Zwischenstopp bei Donizetti, nicht einmal eine schriftliche Nachricht ist er ihnen wert.
Der Alltag in Italien geht weiter. Donizetti unterstützt seine Familie zu Hause in Bergamo und muss sich und seine Frau ernähren. Er arbeitet wie besessen, eine Oper nach der anderen. Für Rom schreibt er "Torquato Tasso" und stellt hohe Ansprüche an sich und das Werk. Ihr Ruf soll bis nach Paris reichen.
"Torquato Tasso" ist eine typische "Oper der neuen Kürze", wie sie Donizetti geschaffen hat. Charakteristisch sind die kräftigen Orchesterrhythmen und die knapp gehaltenen Melodien, gebündelt in Cavatiana und Cabaletta. Hier die Ouvertüre:
Plötzlich kommt er dann doch, der lang ersehnte Auftrag aus Paris. Donizetti soll für den kommenden Winter eine Oper schreiben. Man munkelt, der mächtige Rossini habe in Paris ein gutes Wort für den Kollegen eingelegt. Endlich ist es geschafft, doch schon gibt es neue Probleme: Wie kommt er aus dem laufenden Vertrag der Scala heraus? Paris wartet schließlich nicht. Ricordi, der gute alte Freund und ewige Retter in der Not, soll diese Terminschwierigkeiten für Donizetti regeln. Man könnte doch ganz einfach dem Impresario der Scala, auf einen früheren Termin festlegen und Paris am besten ganz verschweigen.
Alles läuft nach Plan, fast alles. In alt gewohnter Manier versetzt ihn mal wieder der Librettist Felice Romani, ausgerechnet jetzt, wenn es um eine Oper für Paris geht. Der Ersatzmann Bidera springt ein. Donizetti arbeitet fieberhaft, ja fast besessen an dieser Oper und bemerkt nicht, dass der Inhalt für Paris wenig geeignet ist. Die Oper "Marino Faliero“ handelt von einem Volksaufstand gegen das Patriziat im alten Venedig. Das interessiert in Paris keinen.
Also der Text ist nichts und in der Musik beweist Donizetti kein glückliches Händchen. Diesmal grenzt er sich vehement von Bellini ab und gerade jetzt wären Konzessionen an den in Paris gefeierten Rivalen klug gewesen, ein bisschen mehr von den berauschenden weitausgreifenden Melodien. Am Théâtre Italien führt Bellini seine letzte Oper "Die Puritaner" auf. Und Donizetti ist mit dabei.
„I Puritani“, Bellinis letzte Oper in Paris, ist ein durchschlagender Erfolg. Die Sorge, Donizetti könne ihm den Rang streitig machen, ist an diesem Abend wie weggeblasen. Für Donizetti hingegen ist der Jubel um Bellinis Oper nicht gerade ein Motivationsschub für sein Paris-Debüt.
Doch die Pariser zeigen sich gnädig. Donizettis erste Uraufführung am Théâtre Italien wird wohlwollend aufgenommen. Immerhin die Hautevolée der Pariser Gesellschaft ist anwesend: Adolphe Adam, Giacomo Meyerbeer, Theophil Gautier.
An seinen Jugendfreund in Bergamo, Antinio Dolci, schreibt Donizetti: "Ich denke doch, dass ich Dir zwei Worte über den zweiten und dritten Abend senden soll, die außerordentlich glänzend verliefen. Rubini hat gesungen, wie ich ihn noch nie singen gehört habe, und deshalb musste er die Kavatine und die Arie an beiden Abenden wiederholen. Der Erfolg Bellinis mit seinen "Puritanern" hat mich ganz außerordentlich bangen lassen, da wir aber verschiedene Charaktere haben, so haben wir beide großen Erfolg errungen, ohne dem Publikum zu missfallen."
Donizetti schließt Frieden mit seinem Rivalen. Bellini hingegen spart nicht an Kritik. Er hält "Marino Faliero" für Donizettis schlechteste Oper und prophezeit ihren Werdegang in Paris als eine regelrechte Beerdigung. Fast ein bisschen schadenfroh schreibt er:
"Donizettis neue Oper "Marino Faliero“, die gestern Abend gespielt wurde, hatte ein halbes Fiasko; vielleicht werden die Zeitungen nicht ungünstig über ihn urteilen, aber das Publikum blieb unbefriedigt; der Beweis wird sein, dass "Puritaner" sogleich wieder erscheint."
Hier das Duett Israele – Faliero (1. Akt)
Bellini behält Recht, trotz des gelungenen Duetts Israele – Faliero aus dem 1. Akt
bleiben "Die Puritaner" "Marino Faliero" zahlenmäßig überlegen. Donizettis Oper wird nur fünfmal gespielt, die Puritaner 18 mal. Sie beenden am Théâtre Italien offiziell und erfolgreich die laufende Saison.
Erfolglos war Donizettis Aufenthalt in Paris dennoch nicht. Seine Anwesenheit wird sogar vom König gewürdigt. Der sogenannte Bürgerkönig, Louis Philippe, ernennt Donizetti zum Ritter der Ehrenlegion. Auf dem Weg nach Neapel schreibt er an einen Freund:
"Ich glaube, dass Sie vom Empfang des Marino, den Missklängen und Wohlklängen in den Musikjournalen gelesen haben, aber es war eine glückliche, sogar sehr glückliche Sache; Paris ist eine große Stadt, in der Künstler überall geehrt, gewürdigt und wohl empfangen werden.“