Manuskriptauszug Zierau (11)
Nach seiner erfolgreichen Trias – Rigoletto, Trovatore, La Traviata ist Verdi gerade mal 40 Jahre alt: zwei Drittel seines gesamten Opernschaffens liegt hinter ihm, er bekommt astronomische Honorare, erstmals in der italienischen Opernszene übersteigt die Gage des Komponisten die der Sängerstars. Dabei bleibt Verdi recht bescheiden, er ist ein guter Geschäftsmann und investiert sein Geld in Immobilien, Grund und Boden. In Busseto kauft er einen Stadtpalast, bald darauf das drei Kilometer entfernte Landgut Sant‘ Agata, noch heute wird die Villa Verdi von den Erben Carrara-Verdi bewohnt.
Ein Teil des zweistöckigen Hauses kann man besichtigten, das Schlafzimmer von Giuseppina Strepponi, in dem sie 1897 gestorben ist, ihr Ankleidezimmer, das Schlafzimmer Verdis mit einem Schreibtisch, an dem er meist komponierte – trocken ohne Klavier, dann ein kleines Arbeitszimmer, wo Verdi die Verwaltung seiner Ländereien regelte. Und in einem anderen kleinen Zimmer befinden sich die Möbel aus dem Grand Hotel de Milan, wo Verdi gestorben ist, in einer Vitrine sieht man das Nachthemd, das er in seinen letzten Stunden am 27. Januar 1901 getragen hat.
Am schönsten ist jedoch der Park rund um die Villa Verdi mit exotischen Pflanzen und Bäumen, einem See, den Verdi „Pfütze“ nennt, und der Grabstätte seines Hundes Lulu, „In Erinnerung an einen guten Freund“ steht auf dem Stein. Man kann auch die Stallungen und Kutschen Verdis besichtigen und sich vorstellen wie er mit seinem Phaeton, einem Einspänner, den er selbst lenkte, durch die Platanenallee fuhr.
Alles in allem, Sant‘ Agata ist ein herrschaftliches Anwesen, ohne prunkvoll zu sein. Der Freund Giuseppe Giacosa beschreibt die Ausstattung als „reich, aber ohne Pomp und auch ohne Sparsamkeit, alles ist eingerichtet, ins Auge zu fallen, ohne den Blick zu bestürmen“ und Arrigo Boito, der Librettist der letzten beiden Opern Verdis, dankt nach einem Aufenthalt; „Im Geiste empfinde ich noch immer den großen und lieben Frieden von Sant’ Agata“.
Verdi genießt hier die Natur, geht spazieren, arbeitet im Garten, gibt seinen Bediensteten Anweisungen, verwaltet seine Ländereien – ob er Sant‘ Agata im Kopf hat, als er für seine französische Oper Les Vêpres Siciliennes – die sizilianische Vesper – die Ballettmusik schreibt – die vier Jahreszeiten.
Der Frühling aus den Jahreszeiten, der Ballettmusik aus der Oper „Les Vêpres Siciliennes“, Ricardo Muti leitete das New Philharmonia Orchestra.
Im Frühling, Sommer und Herbst lässt sich in Sant‘ Agata gut leben, aber die Winter sind zäh, der Nebel setzt sich bleiern fest. Giuseppina schreibt, „wenn der Schnee die ungeheuren Ebenen bedeckt und die Bäume mit ihren nackten Ästen wie Skelette aussehen, mag ich nicht einmal den Blick heben, um nach draußen zu schauen. Mich befällt eine grenzenlose Traurigkeit, ein Wunsch, vom Land zu flüchten und zu spüren, dass ich unter Lebendigen lebe und nicht mit Gespenstern und dem Schweigen eines ungeheuren Friedhofs.“
Oft verbringen die Verdis fortan die Wintermonate in Genua, wo Verdi eine Wohnung mit Blick aufs Meer gekauft hat.
Seit Verdi auf Sant‘ Agata wohnt, widmet er sich lieber den Ländereien als der Musik, seine von ihm selbst so genannten Galeerenjahre, die arbeitsreichen Jahre, gehen allmählich zu Ende, er schreibt noch eine Oper für Paris: „Die sizilianische Vesper“, eine letzte Oper für Venedig: "Simone Boccanegra" und einmal gibt es noch richtig Ärger mit der Zensur.
Verdi wählt das historische Ereignis des schwedischen Königsmords von 1792 als Opernstoff, für das Königreich Neapel. Ein Königsmord auf der Bühne und überhaupt ein König, der sich mit der Frau seines besten Freundes auf dem Friedhof zu einem glühenden Liebesduett trifft, das kann nicht gut gehen. Die Zensurbehörde schreitet ein. Die Streitereien landen vor dem Handelsgericht und Verdi zieht die Oper zurück.
Ausgerechnet Rom, mit der päpstlichen Zensur im Nacken, öffnet die Tore für "Un ballo in maschera", den "Maskenball". Der Impresario des Teatro Apollo hat einen guten Draht zum Polizeichef.
Auch hier besteht man darauf, dass der Ort der Handlung nicht Schweden ist und der König zu einem Gouverneur in Boston wird, aber die verbotene Liebe, die im Mittelpunkt der Oper steht, darf bestehen bleiben und die reizt Verdi einmal mehr aus. Riccardo lauert seiner Geliebten Amelia, der Frau seines Sekretärs und Freundes Renato in der Nähe des Friedhofs auf. Dort sucht die Unglückliche auf Anraten der Wahrsagerin Ulrica nach einem Kraut, das ihr die verbotene Liebe zu Riccardo austreiben soll. Nach anfänglicher Abwehr Amelias, gestehen sich die beiden in ekstatischem Taumel ihre Liebe, und wenn man die zarten Streichertremoli und schwelgenden Celli hört, möchte man nicht glauben, dass Riccardo ihre Unschuld nicht angetastet haben soll, wie er am Ende der Oper sterbend seinem Freund Renato versichert. Hier sagt die Musik mehr als tausend Worte, sicher eines der sinnlichsten, ja der erotischsten Liebesduette Verdis.
Hier eine Live-Aufnahme aus der Mailänder Scala 1977, mit Luciano Pavarotti und Shirley Verrett. Dirigent Claudio Abbado.
Am 17. Februar 1859 wird der "Maskenball" in Rom uraufgeführt und frenetisch gefeiert. Der Jubel gilt aber nicht nur der Oper, sondern auch dem neuen Italien. Krieg liegt in der Luft. Italien drängt es nach der großen Einheit und Verdi wird mit seiner Musik zum Hoffnungsträger: „Viva Verdi“ ruft das Volk im patriotischen Taumel, „viva Verdi“ und der Name Verdi steht für Vittorio Emmanuele Re d‘ Italia, für den neuen König eines vereinten Italiens.
Dem piemontesischen Militär gelingt es mit Unterstützung Napoelons, die österreichischen Truppen aus der Lombardei, aus dem Herzogtum Parma und der Toskana zu vertreiben. Victorio Emanuel II. wird zum Königs Italiens proklamiert.
Verdi verfolgt die politischen Ereignisse von seinem Landsitz Sant‘ Agata aus und engagiert sich erstmals politisch. Graf Cavour, der Architekt der italienischen Einheit fordert Verdi auf, als Abgeordneter ins erste italienische Parlament zu ziehen. Vier Jahre bekleidet Verdi dieses Amt, ein zweites Mal will er nicht kandidieren. Verdi ist kein Vollblutpolitiker, aber er wird zur Symbolfigur des Risorgimento, der italienischen Vereinigung. Aus einfachen Verhältnissen stammend hat er es ins Parlament geschafft.
An den Sitzungen des Parlaments nimmt Verdi nur selten teil, er ist viel unterwegs zu Aufführungen seiner Opern bis nach Sankt Petersburg. Von dort lockt ein lukratives Angebot, der berühmte Verdi-Tenor Enrico Tamberlick bittet den Maestro im Auftrag des Kaiserlichen Theaters um eine Oper für den Zaren. Es wird die letzte Zusammenarbeit mit Francesco Maria Piave sein, gemeinsam wählen sie ein Drama der spanischen Gegenwartsliteratur. „Don Alvaro o la fuerza del sino“ des Herzogs von Riva, eine düstre, abwegige Geschichte, in der am Ende alle Protagonisten sterben, kein echtes Verdi-Highlight.
Die Oper und Verdi werden gefeiert, bei leiser Kritik, drei Tote sind den Russen zu blutrünstig. Für Mailand überarbeitet Verdi das Finale, lässt Alvaro am Leben und komponiert eine Ouvertüre, die der Oper einen zündenden Startschuss gibt.
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Giuseppe Verdi: Ouvertüre zur Oper „Die Macht des Schicksals“ ,Berliner Philharmoniker, Dirigent: RICARDO MUTI
aus: „Europakonzert der Berliner Philharmoniker 2009“, aus dem Teatro di San Carlo, Neapel.
La forza del destino – Verdis Visitenkarte für Sankt Petersburg, immerhin ist das Kaiserliche Hoftheater neben Paris und London, die einzige Stätte in Europa, an der zu der Zeit noch in Originalsprache gesungen wird.
Seine nächste Oper schreibt Verdi für Paris, eine französische nach einem deutschen Drama – Schillers Don Carlos, der Anfang vom Spätwerk, ein Drama um ein absolutistisches System, die Macht der Kirche und die Liebe des Infanten zu seiner Stiefmutter. Don Carlos liebt Elisabeth, die jedoch aus politischen Gründen König Philipp heiraten muss. Zentrale Figur ist der Freiheitsgeist Marquis von Posa. Er gewinnt einerseits den jungen Infanten für sich und appelliert auch an das Herz des mächtigen, aber einsamen Königs.
Neu an Don Carlos sind die ausgeprägten Texturen, Verdi schreibt ganz im Sinne der französischen Grand Opera und übertrifft dabei an Intensität und musikalischer Dichte die großen Opern von Meyerbeer. Besonders gewagt, ja modern ist die Begegnung zwischen dem König und dem Marquis von Posa, ein komponierter Dialog, ein intensiver Austausch, der über zehn Minuten dauert. Verdi bleibt dicht an Schillers Vorlage. Posa berichtet dem König von den Verwüstungen in Flandern, steigert sich immer mehr hinein, erhebt Anklage. „Glaubt ihr, wenn ihr Tod sät, sät ihr für die Zukunft“, fragt Posa den König. Mit diesem Blutpreis habe er den Frieden der Welt bezahlt, entgegnet Philipp, "den Frieden eines Friedhofs", schmettert Posa heraus und das Orchester geht mit einem krachenden Donner nieder.
Die Franzosen können mit "Don Carlo" nicht allzu viel anfangen, kurz zuvor haben sie noch die französische Premiere des "Troubadours" gefeiert mit allem Vedischen Verve und den schmissigen Arien und dann diese neue Sprache. Verdi berichtet an die Freundin Clara Maffei, ein Erfolg sei die Premiere nicht gewesen. Zu Hause in Sant‘ Agata liest er die Pariser Kritiken, die sein Verleger und Freund Ricordi zusammen getragen hat. Theophil Gautier schreibt von Verdis Wendung zur Moderne. Georges Bizet, ein großer Anhänger des "Troubadours", ist gerade über diese Annäherung enttäuscht: „Verdi ist kein Italiener mehr, er imitiert Wagner“ .
Von all dem will Verdi nichts hören. An einen Freund schreibt er: „Wenn die Kritiker ein bisschen aufmerksamer gewesen wären, hätten sie gesehen, dass meine Absichten dieselben waren wie im Terzett des Ernani oder im Schlafwandel des Macbeth“. Nein unter dem Einfluss Wagners will Verdi nicht stehen.
Wagner, den weiß er zu charakterisieren: „Wagner ist keine wilde Bestie, wie das die Puristen wollen, aber auch kein Prophet, wie ihn seine Apostel gerne sehen würden. Er ist ein hochbegabter Mensch, der sich darin gefällt, die beschwerlichen Wege einzuschlagen, weil er die einfachen und viel direkteren nicht zu finden versteht“.
In Bologna besucht Verdi die italienische Erstaufführung des "Lohengrin". In die Partitur macht er über hundert Notizen. Sein Fazit: “Die Musik ist schön, wenn sie klar ist und einen Gedanken enthält. Die Handlung ist schleppend wie das Wort. Darum Langeweile. Übermaß an lagen Noten und schwer erträglich. Schöne instrumentale Effekte“.
Von Seiten Verdis findet eine Auseinandersetzung mit Wagner statt. Aus Paris lässt er sich alle Schriften Wagners schicken, darunter der Essay "Zukunftsmusik". Wie schmerzlich muss Verdi die überhebliche Abrechnung Wagners mit der italienischen Oper empfunden haben, sie sei auf Zerstreuung und Unterhaltung einer genusssüchtigen Bevölkerung bestimmt.
Verdi liest Wagner, Wagner hingegen hat Verdi bekanntlich mit keinem Wort erwähnt, er sprach wenn überhaupt, dann abfällig von „Donizetti und Co“.
Mehr möchte ich zum Verhältnis Verdi – Wagner nicht sagen, viel gibt es darüber zu lesen. Nur schade, dass die meisten Neuerscheinungen in diesem Jubiläumsjahr (2013) die beiden Herren im Doppelpack abhandeln und zwischen zwei Buchdeckel zwängen. Am besten hat das immer noch Franz Werfel in seinem imaginären und doch sehr realen Roman „Verdi - Roman der Oper“ gemacht, 1924 ist er erschienen. Darin kommt es im Teatro La Fenice in Venedig zu einer kurzen Begegnung zwischen Wagner und Verdi, zu einem Blickkontakt, sehr lesenswert und aufschlussreich, gleich im ersten Kapitel des Romans.
In freier Fantasie nun zum Abschluss der heutigen Musikstunde eine Begegnung von Verdis Maskenball und Wagners Tannhäuser – Wolfgang Molkow am Klavier.
(Diese Aufnahme steht uns hier leider nicht zur Verfügung. Ich erlaube mir stattdesen einen link zu einem Text, der vom Deutschlandfunk am 13.2.2012 gesendet wurde und die beiden Operngiganten einander als Antipoden gegenüberstellt:
https://www.deutschlandfunk. … .html?dram:article_id=232491)