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Giuseppe Verdi

*******sima Frau
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Giuseppe Verdi
Nach Rücksprache mit den Moderatorinnen werde ich in diesem Thread Giuseppe Verdi, vorstellen, der als einer der drei Künstler des Monats Oktober 2021 ausgewählt wurde.

Wie bereits im ehemaligen Thread "Komponist des Monats" praktiziert, werde ich mich dabei weitgehend auf ein Sendemanuskript der "SWR2 Musikstunde" stützen, das in diesem Fall anlässlich des zweihundertsten Geburtstags Verdis vom 7. bis 11. Oktober 2013 in fünf einstündigen Sendungen ausgestrahlt wurde und von der Musikredakteurin Ulla Zierau stammt. Es trägt den Titel: "Viva Verdi. Operngigant, Bauer, Nationalheld."

Ulla Zierau wurde 1966 in Baden-Baden geboren. Traumberuf: Opernsängerin - mehr als ein chorisches Singen ist nicht daraus geworden. Aber die Leidenschaft fürs Musiktheater ist geblieben. Nächte vor der Mailänder Scala, um einen Stehplatz zu ergattern, haben das Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Betriebswirtschaftslehre in Freiburg versüßt.

Nach ihrem Promotionsabschluss kam Ulla Zierau 1993 zum SWR, wo sie als Redakteurin, Moderatorin und Autorin unter anderem für die Musikstunde, Treffpunkt Klassik und SWR2 am Morgen arbeitet. Vorlieben liegen auf dem Gebiet der Vokalmusik, dem Leben und Werk von Komponistinnen und jedweden neuen lohnenswerten Entdeckungen im Kulturbereich. Außerhalb des Hörfunks arbeitet Ulla Zierau auch als Konzertmoderatorin. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter.


Manuskript Zierau (1)


Mein erster Besuch in Busseto, der Geburtsstadt Giuseppe Verdis in der Provinz Parma, inmitten der Po-Ebene, ist verbunden mit dem betörenden Duft einer üppig blühenden Linde, unmittelbar vor dem Hotel der Familie Bergonzi, „I due Foscari“ heißt es, benannt nach einer frühen Verdi-Oper.

Es war an einem heißen Junitag – die lähmende Stille einer hoch-sommerlichen Siesta lag über dem kleinen Städtchen, nur die Bienen summten emsig um die Linde und ja Giuseppe Verdi war allgegenwärtig, nicht nur in Stein gemeißelt, in Bronze gegossen, im Theater oder Museen, nein in der Luft, in der Wärme, der Stille, in jeder Ritze war sein Geist zu spüren, war seine Musik imaginär zu hören.



Ouvertüre zu „Attila“, eine frühe Verdi Oper, die zweite, die er für Venedig geschrieben hat. Giuseppe Sinopoli leitete das Orchestra dell'Accademia di Santa Cecilia, Rom.

In dem kleinen Dorf Le Roncole, das heute zu Busseto gehört, ist Verdi laut französisch-sprachiger Geburtsurkunde, am 10. Oktober 1813, abends um 8 Uhr zur Welt gekommen. Französisch deswegen, weil Busseto damals zum Departement Taro gehörte und damit direkt Frankreich angeschlossen war. Vielleicht ist Verdi auch schon einen Tag zuvor geboren, am 9. Oktober, man weiß es nicht genau.

Auf jeden Fall sollen in der väterlichen Schenke Straßenmusikanten zur Feier des Heiligen Donnino gespielt haben. Mit dem ersten Atemzug ist Verdi von Musik umgeben.



„Ich war, bin und werde immer ein Dörfler aus Roncole sein“ – behauptet Giuseppe Verdi später von sich. Auch wenn er mit den Bewohnern von Busseto oftmals hadert, wenn er seiner Heimat verärgert und enttäuscht den Rücken kehrt, findet er doch immer wieder hierher zurück und verbringt auf seinem Landgut Sant' Agata, vier Kilometer von Busseto entfernt viele Lebensjahre, fast ein halbes Jahrhundert.

In den SWR 2 Musikstunden dieser Woche sind wir Giuseppe Verdi auf der Spur, seinen emotionsgeladenen Opernfiguren, die zu Tränen rühren, seiner lodernden Musik, die mitten ins Herz trifft und dem Menschen Verdi, der sich stets bescheiden gab, der verschlossen wirkte, bisweilen ein bisschen kauzig. Verdi ist mein Leib- und Magenkomponist und es ist mir ein großes Vergnügen, Sie durch diese Geburtstagswoche begleiten zu dürfen.
*******sima Frau
2.440 Beiträge
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Manuskript Zierau (2)
Verdi war kein Mensch, der sich selbst gern in den Mittelpunkt stellte, er hatte keinen Hang zum Narzissmus. ... „Nie, nie werde ich meine Lebenserinnerungen schreiben. Es ist genug, wenn die Welt so lange meine Noten ertragen hat … niemals möchte ich sie dazu verdammen, meine Prosa zu lesen, ich kann dieses Schreiben über das eigene Leben nicht leiden“, wetterte er entschieden, und bietet uns stattdessen ein Füllhorn an Musik. Eins ist sicher, Opernfreunde kommen diese Woche voll und ganz auf ihre Kosten und die, die es noch nicht sind, haben gute Chancen, es jetzt zu werden. Benvenuto!



Luciano Pavarotti mit der berühmten Stretta des Manrico aus dem Troubadour in einer Aufführung an der New Yorker Metropolitan Opera 1988. Kurz, schmetternd, kraftvoll, ein Rhythmus, der ins Blut geht zu einem der absurdesten, grausamsten, ja schlechtesten Libretti Verdis.

Das erdfarbene Geburtshause in Le Roncole Verdi, wie der Ort heute zu Ehren seines berühmten Sohnes heißt, ist ein schlichtes Haus, das vor ein paar Jahren aufwendig restauriert wurde. Der Vater Carlo Verdi betreibt darin eine Schankstube und einen kleinen Krämerladen, hier wird diskutiert, ein bisschen getratscht, Neuigkeiten aus der Stadt ausgetauscht, wo Carlo Verdi seine Ware einkauft. In einem andern Zimmer arbeitet die Mutter als Spinnerin. Verdi kommt aus einer einfachen, aber gebildeten und angesehenen Familie.

Die Legende vom mittellosen Bauernsohn ist nicht mehr als eine Legende, an der Verdi selbst eifrig mit gestaltet hat, als er einer Freundin schreibt, er sei „arm geboren in einem armseligen Dorf“ und ihm hätten die „Mittel für jedwede Ausbildung gefehlt“.

Nein, der Vater will eine gute Ausbildung für den einzigen Sohn, er schickt ihn zum Pfarrer, damit er die Hochsprache und Latein lerne. Doch mehr als für Latein interessiert sich Verdi für Musik, mit sieben bekommt er sein erstes Spinett und darf beim ansässigen Organisten an der Chiesa di San Michele ersten Unterricht nehmen.

Unter den Jugendlichen in Busseto gilt der junge Verdi als Außenseiter. Er ist schüchtern, wortkarg, in sich gekehrt und lebt nur auf, wenn er Musik hört. Während der Messe ist er einmal so sehr ins Orgelspiel vertieft, dass er seine Aufgaben als Ministrant vergisst, er reicht das Weihwasser nicht weiter, wird dafür heftig angezischt und kassiert sogar eine Ohrfeige.

Das Spiel der Orgel fasziniert den jungen Verdi. Später wird er selbst ein guter Organist sein. Wenn er sonntags in der Klosterkirche Santa Maria degli Angeli spielt, bleibt die Dorfkirche leer und die Leute pilgern zu Verdi, um ihn zu hören.

Mit zehn Jahren besucht Verdi das Gymnasium in Busseto. Gerne würde er auch zur Musikschule gehen, die der kunstliebende Weingroßhändler Antonio Barezzi gegründet hat, aber Vater Carlo will von einer musikalischen Ausbildung nichts wissen, brotlose Kunst.

Erst nach heftiger Überzeugungsarbeit des Latein-Lehrers gibt der Vater nach und lässt Verdi auf die scuola da musica.

Bald tritt Verdi im Musiksalon Barezzis auf, komponiert Stücke für das Laienorchester. Als er dann nach dem Abitur in den Krämerladen des Vaters zurückkehren soll, sagt Antonio Barezzi: „Du bist zu etwas Höherem geboren, und nicht dazu gemacht, Salz zu verkaufen und den Boden zu bearbeiten“.

In Barezzi findet Verdi einen Vater des Herzens, der ihn versteht, der ihn ein Leben lang begleitet und der ihn anfangs tatkräftig unterstützt. Barezzi habe er alles zu verdanke, betont Verdi immer wieder.

Verdi bleibt also in Busseto, wird Stammgast in der Privatbibliothek des Monte di pieta, verschlingt italienische Literatur, griechische Tragödien und Shakespare, den maestro del cuore umano – den Meister des menschlichen Herzens, wie ihn Verdi nennt, Shakespeare, dem er mehr als einmal verfällt: Macbeth, Falstaff, König Lear und Otello.



Maestro Sir Andrew Davis und der Chor der Lyric Opera Chicago sowie der Pianist Noah Lindquist mit dem Chor "Fuoco di gioia / Freudenfeuer" aus dem ersten Akt der Oper "Otello" in einer Corona konformen Aufnahme. Nach einer Seeschlacht feiert das zypriotische Volk die sichere Heimkehr ihres des neuen Befehlshabers Otello und seiner Truppen.

Antonio Barezzi, der große Musikmäzen in Busseto, schließt seinen Ziehsohn Verdi innig ins Herz und ermöglicht ihm eine musikalische Ausbildung in Mailand. Verdi soll ans Konservatorium. Doch der Start misslingt.

Nach erster Präsentation befindet der Direktor, Verdi brauche ein „sorgfältiges und geduldiges Studium der Regeln des Kontrapunkts, um die Fantasie, die er zu besitzen scheint, so weit zu zügeln, dass er ein annehmbarer Komponist werden könnte.“

Schließlich lehnt ihn das Konservatorium doch ab, Verdi sei zu alt und es fehle ihm an technischem Wissen. Da bezahlt Barezzi eben Privatstunden. Verdi bleibt in Mailand und schnuppert erstmals Großstadtluft.

Durch seinen Kompositionslehrer Lavigna lernt er große Musikliteratur kennen, Werke von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn und immer wieder den Don Giovanni. Bei Abendbesuchen bricht Lavigna nach einer Weile das Gespräch ab und fordert Giuseppe auf, doch gemeinsam ein wenig in den Don Giovanni zu schauen.



Der Don Giovanni, das Lehrstück Giuseppe Verdis, am Ende kann er ihn in- und auswendig und kann ihn vor lauter Überdruss nicht mehr hören, aber in Sachen kurze und knackige Hits hat er von Mozart doch einiges gelernt. Nikola Diskić sang hier die sogenannte Champagnerarie des Don Giovanni, die eigentlich eine Weinarie ist, aber perlen tut sie trotzdem.
*******sima Frau
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Themenersteller 
Manuskriptauszug Zierau (3)
Der junge Verdi in Mailand – in den 1830er Jahren noch nicht die elegante Modestadt, sondern eine Stadt ohne Kanalisation, mit übelriechenden Rinnsalen, mit dürftiger Straßenbeleuchtung, so dass Spaziergänge bei Dunkelheit abenteuerlich sind.

Politisch steht Mailand unter der Herrschaft des österreichischen Kaisers, was in den Köpfen vieler Intellektueller den rebellischen Kampfgeist weckt. Der Jurist Giuseppe Mazzini gründet die revolutionäre Untergrundorganisation „Giovane Italia“ – auch Verdi bekommt erste politische Impulse zu spüren.

Treffpunkt der feinen Mailänder Gesellschaft ist die Scala. Ein buntgemischtes Publikum kommt hier zusammen, der Adel in den Logen, die einfachen Leute stehen im Parkett, Sitzreihen gibt es noch keine. Aber die Musik vereint sie alle, Bellinis „La Sonnambula“, Donizettis „Lucrezia Borgia“. Auch Verdi hat während seines Studiums ein Dauerabonnement.

Musikalisch steht ihm Bellini sicher näher als Donizetti. Jahre später resümiert Verdi. „Bellini ist im Harmonischen und Orchestralen arm, das ist wahr … Aber reich an Gefühl und einer eigenen, individuellen Melancholie. Auch in seinen weniger bekannten Opern, der Straniera, dem Pirata gibt es lange, lange, lange Melodien, die niemand vor ihm geschrieben hat.“



Die langen Melodien des Herrn Bellini, sie beeindruckten den jungen Verdi. Das war ein Ausschnitt aus dem Duett Arturo - Alaida aus dem 1. Akt der "Straniera". Joan Sutherland und Richard Conrad sowie das London Symphony Orchestra unter der Leitung von Richard Bonynge.

Verdis erster öffentlicher Auftritt als Musiker in Mailand hat gar nichts mit einer Oper zu tun, sondern mit Haydns Schöpfung, die die Mailänder Laienmusikvereinigung einstudiert. Verdis Lehrer Lavigna lädt seinen Eleven zu den Proben ein. Einmal ist der Cembalist krank und Verdi springt ein. Anfangs wird der junge, hagere Mann ein wenig belächelt, als er aber dann vom Cembalo aus den ganzen Chor dirigiert, ist die Begeisterung groß und die erste Aufführung wird ein Erfolg.

Kurze Zeit später kehrt Verdi nach Busseto zurück, ins Haus seines Mäzens und baldigen Schwiegervaters Barezzi. Am 4. Mai 1836 heiratet er Margherita Barezzi. Verdi wird Lehrer an der Musikschule in Busseto, nachmittags unterrichtet er Privatschüler, abends probt er mit der Societa oder der Städtischen Blaskapelle für Konzerte im alten Hoftheater oder auf der Piazza.

Alles läuft nach Plan, aber Verdi fühlt sich in der Enge Bussetos nicht wohl. An einen Mailänder Kollegen schreibt er: „Mach dir also klar, dass ich es leid bin, in Busseto zu leben, weil in einem kleinen Dorf keine Ressourcen für einen Berufsmusiker existieren, weil es fern von der Stadt keine Karrierehoffnungen gibt, also siehst du, dass ich meine schönste Jugend im Nichts verbringe“.

Und in diesem Nichts komponiert Verdi:
Für Sänger aus Busseto eine Baritonkantate, eine Ode und verschiedene Chöre. Nichts davon ist erhalten, ein Jahr vor seinem Tod hat Verdi diese Jugendsünden allesamt vernichtet. Aber seine erste Oper ist erhalten: Oberto.



Ouvertüre zur Oper “Oberto” mit der Academy of St. Martin in the Fields unter der Leitung von Neville Marriner.

Über die Entstehung des "Oberto" wissen wir nicht viel, ist es tatsächlich Verdis erste Oper, gab es zuvor schon ein anderes Libretto, sind einzelne Nummern, Arien oder Duette zuvor schon entstanden.

Auf jeden Fall ist "Oberto" die erste Oper Verdis, die aufgeführt wird, allerdings mit Hindernissen. Ursprünglich soll die Premiere im Teatro Filodrammatici in Mailand stattfinden, dann in Parma, doch der Intendant des dortigen Teatro Ducale lehnt die Partitur des Anfängers ab: Enttäuscht schreibt Verdi an den Impresario Massini: „Ich bin sehr wütend nach Hause zurückgekehrt, aufs Äußerste gekränkt, ohne die geringste Hoffnung. Arme junge Leute haben gut studieren! Sag mir, wäre es dir nicht möglich, mit Merelli zu überlegen, ob man die Oper in irgendeinem Mailänder Theater aufführen könnte? Du würdest mir einen sehr großen Dienst erweisen“.

„In irgend einem Mailänder Theater“ - Verdi hat ein ganz bestimmtes im Visier, Merelli ist der Intendant der Mailänder Scala, der Napoleon der Impresarios. Und tatsächlich Merelli bekundet Interesse. Der Hauslibrettist der Scala überarbeitet den Text, Verdi legt nochmals Hand an und schließlich wird der "Oberto" an Mailands berühmtestem Opernhaus uraufgeführt, keine schlechte Adresse für ein Debüt.

Verdi, gerade mal Mitte 20, ein junger unerfahrener Komponist, er muss sich den Gepflogenheiten des italienischen Opernbetriebs unterwerfen. Die Intendanten entscheiden über Inhalte, die Sänger bestimmen die Bravourstücke, der Komponist hat zu gehorchen. Die große Giuseppina Strepponi, Verdis spätere Ehefrau, soll die Leonora singen, alles ist auf sie abgestimmt, dann verzögert sich die Uraufführung, die Strepponi hat andere Verpflichtungen, muss nach Wien und die neue Leonora hat andere Wünsche. Verdi gestaltet die Rolle um und schreibt zwei neue Arien.

Auch wenn äußere Umstände Verdis Arbeit beeinflussen und er noch sehr von der italienischen Operntradition eines Gaetano Donizetti und Vincenzo Bellini geprägt ist, entwickelt er doch schon in seiner ersten Oper ein feines Gespür für Dramaturgie und Bühnenwirksamkeit. Die Vater-Tochter Beziehung zwischen Oberto und Leonora ist wegweisend für spätere Opern; immer wieder taucht dieses fein gesponnene, intime Motiv bei Verdi auf.

Ebenso der melodisch-rhythmische Schwung und die musikalische Inszenierung der tragischen Handlung. Verdi ist, von der ersten Stunde an, ein Mann des Theaters. Und so finden wir in seinem Gesellenstück schon erste aufblitzende Momente, die Zukünftiges erahnen lassen.

Hier eine Gesamtaufnahme, entstanden 2002 an der Mailänder Scala (Dauer ca. 2 Stunden):

*******sima Frau
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Themenersteller 
Manuskriptauszug Zierau (4)
Verdis Debüt-Oper Oberto erzielt bei der Uraufführung einen so beachtlichen Erfolg, dass der Impressario der Mailänder Scala Bartolomeo Merelli dem jungen Komponisten einen Vertrag über drei weitere Opern anbietet.

Eigentlich ein guter Start in eine große Karriere, wenn nicht ein familiärer Schicksalsschlag Verdi vehement aus der Bahn werfen würde. Erst stirbt die nicht mal zweieinhalb jährige Tochter Virginia, ein Jahr später der Sohn Icilio.

Den Winter über arbeitet Verdi für die Scala an einer neuen Oper, ausgerechnet einer Opera buffa, „un giorno di regno“/ „König für einen Tag“. Während er mit diesem ungeliebten Werk ringt, geht es seiner Frau Margherita immer schlechter, sie leidet an einer Hirnhautentzündung, kämpft vergeblich und stirbt. Innerhalb von zwei Jahren verliert Verdi seine ganze Familie, seine zwei Kinder und seine Frau – und wie bitter:
auf seinem Schreibtisch liegt die Partitur seiner Opera buffa „un giorno di regno“.

Verdi will weg aus Mailand, weg von den Erinnerungen, doch Merelli, der Intendant der Mailänder Scala lässt ihn nicht aus dem Vertrag.

Mit Widerwillen vollendet Verdi die Oper und es kommt, wie es kommen muss: die Uraufführung, drei Monate nach Margheritas Tod, wird zu einem Desaster, aber das ist Verdi egal.

Er kündigt den Vertrag mit der Scala, löst die Wohnung, in der er mit Frau und Sohn gewohnt hat, auf und nimmt sich in einer dunklen Gasse hinterm Mailänder Dom ein möbliertes Zimmer. Dort verschanzt er sich und geht nur selten in die Öffentlichkeit.

„Das Herz zerrissen vom häuslichen Unglück, verbittert durch den Misserfolg meiner Oper, war ich überzeugt, dass ich in der Kunst niemals Trost finden würde, und ich beschloss nie mehr eine Note zu schreiben.“, so empfindet Verdi.

Dass es doch anders kommt, wissen wir – Verdi wird ein Operngigant, er beherrscht über Jahrzehnte die italienischen Bühnen und die italienische Oper heißt Verdi. Er wird ein Nationalheld, ein Mann des Volkes, va pensiero... – flieg Gedanke, auf goldenen Schwingen, getragen von Sehnsucht – an dieser Sehnsucht kommen selbst heutige italienische Popbarden nicht vorbei:

Die folgende Aufnahme des berühmten Gefangenenchors aus "Nabucco" wird gesungen von Zucchero, anlässlich einer Gedenkveranstaltung für Luciano Pavarotti im antiken Theater der jordanischen Felsenstadt Petra. Pavarotti hatte zu seinen Lebzeiten zahlreiche gemeinsame Benefiz-Auftritte gemeinsam mit Zucchero mit diesem Stück absolviert, deren Erlös jeweils für wohltätige Projekte, überwiegend für Kinder in Ländern der armen Welt, zur Verfügung gestellt wurde. Es gibt im Netz auch eine Aufnahme, wo die beiden Künstler dabei von einem Italienisch-Tibetanisch-Kambodschanischen Kinderchor begleitet werden - Viva Verdi!



One Amazing Weekend in Petra , Kingdom of Jordan- Tribute to Luciano Pavarotti
Zucchero - Va, Pensiero (Verdi, "Nabucco")
Prague Filarmonic Orchestra
Conductor- Eugene Kochn


Text
Va' pensiero sull'ali dorate
Cross the mountains and fly over the oceans
Reach the land, find the place where all children go
Every night after listening to this lullaby
There you'll find their heroes alive, protecting their innocence
Bless them all
'Cause their simple soul is so pure and wonderful
Va' pensiero sull'ali dorate
Let this beautiful dream carry on for all night long
Lend them your golden wings, every fear will fly away
Take them by the hand, help them find an easy way
Lead them back to the light, back to the light
Where they once used to belong
Where they can remain children as long as they want
Va' pensiero sull'ali dorate
Cross the mountains and fly over the oceans
Reach the land, find the place where all children go
Every night after listening to this lullaby
Every night after listening to this lullaby, yeah yeah
*******sima Frau
2.440 Beiträge
Themenersteller 
Manuskriptauzug Zierau (5)
Giuseppe Verdi, gerade mal 27 Jahre alt und schon am Ende seines künstlerischen Lebens?

Innerhalb von zwei Jahren hat er seine kleine Familie verloren, wurde sein Privatleben quasi vollkommen ausgelöscht. Zuerst starb die zweieinhalb-jährige Tochter Virginia, dann der einjährige Sohn Icilio und schließlich noch seine Frau Margherita, die Tochter seines Förderers und väterlichen Freundes Antonio Barezzi.

Verdi ist todunglücklich, komponieren will er nicht mehr, am gesellschaftlichen Leben teilnehmen auch nicht. Gefangen in einer tiefen Depression, zieht er sich in ein möbliertes Zimmer hinter dem Mailänder Dom zurück. Dort verschanzt, liest er Schundromane und will von Musik nichts mehr wissen. Das letzte, was er geschrieben hat, ist eine komische Oper, „Un giorno di regno“ – König für einen Tag. Die Premiere ist missglückt, die Oper wurde ausgepfiffen, Verdi am Ende?

Merelli, der Intendant der Mailänder Scala ist es, der Verdi aus der Lethargie reißt. Er drückt ihm - an einem trüben Januartag mitten in Mailand - ein Libretto in die Hand – Verdi schildert es später so:

„Es war ein starkes Heft, ich machte eine Rolle daraus, steckte sie in die Tasche und begab mich nach Hause… zu Hause angelangt, warf ich das Manuskript mit einer fast gewaltsamen Bewegung auf den Tisch. Im Fallen war es aufgegangen und meine Augen blieben auf der geöffneten Seite und speziell auf den Zeilen haften „Va pensiero, sull‘ ali dorate“- „Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen“.



Flieg, Gedanke, getragen von Sehnsucht“ – die heimliche Nationalhymne Italiens, der Chor der hebräischen Sklaven aus dem 3. Akt des "Nabucco". Arturo Toscanini leitete das NBC Symphony Orchestra und den Westminster Choir.

Mit Nabucco beginnt Giuseppe Verdis Opernkarriere und zugleich auch seine Beziehung zu Giuseppina Strepponi – die Partie der Abigaille, der illegitimen Tochter Nabuccos, die zur rachsüchtigen Außenseiterin wird, schreibt Verdi für die Primadonna assoluta.

Die Uraufführung wird zu einem ersten Triumph, obwohl Verdi zuvor mit einem mulmigen Gefühl ins Theater ging. Nach alter Tradition setzt er sich im Orchestergraben zwischen Kontrabässe und Celli, um die Reaktionen des Publikums hautnah mitzubekommen. Und was geschieht? Das Publikum ist bald aus dem Häuschen, die Begeisterung nach dem ersten Akt ist stupend, wie man es angeblich zuvor noch nie erlebt hat.

Ein Zeitgenosse berichtet: „Diese Nacht schlief Mailand nicht, und am nächsten Tag war das neue Meisterwerk Gegenstand aller Gespräche. Verdi war in aller Munde. Sogar die Mode und die Köche entliehen seinen Namen, in dem sie einen Hut, einen Schal und Saucen à la Verdi kreierten.“

56mal läuft "Nabucco" in Mailand in Folge. In der nächsten Saison geht es weiter und zahlreiche andere italienische Bühnen ziehen nach. Ein Jahr später ist "Nabucco" Verdis erste Oper, die im Ausland gespielt wird, am Kärntnertor Theater in Wien.

Hier das Gebet des Nabucco an den Gott der Feinde, an Jehova aus dem 4. Akt der Oper. Nabucco gesteht seine Niederlage ein, er sei ein Schatten des einstigen Königs. Eine Studioaufnahme mit dem Kammersänger Rolf Kühne in deutscher Sprache.



Mit "Nabucco" ist Verdi der neue Star am italienischen Opernhimmel, aber ganz so glorreich geht es nicht weiter. Viel besagt und von Verdi selbst so genannt, beginnen nun seine "Galeerenjahre", zunächst einmal neun Jahre, in denen er 12 Opern schreibt. Die Premieren sind mal mehr, mal weniger erfolgreich. In Norditalien wird Verdi gefeiert, an der Mailänder Scala, am La Fenice in Venedig, am Teatro Argentina in Rom. Nur Neapel erweist sich als kühl und abweisend. Verdi fühlt sich hier nicht wohl. "Alzira", seine erste Oper für Neapel, fällt prompt durch und er schreibt nach Hause an den Freund, Andrea Maffei: „Die Neapolitaner sind merkwürdig. Ein Teil von ihnen ist so roh, so unzivilisiert, dass man ihn prügeln müsste, um sich Respekt zu verschaffen, und der andere umringt einen mit einem Sturm von Freundlichkeit, so dass man beinahe darin erstickt.“



Montserrat Caballé, Szene der Alzira und Chor aus dem 1. Akt. Dirigent ist Antonio Guadagno.

Von den 12 Opern, die Verdi in seinen ersten Galeerenjahren schreibt, sind heute nur noch wenige präsent, vielleicht "Ernani", die erste Shakespeare Oper "Macbeth" oder die beiden Schiller Dramen "I Masnadieri", die Räuber, und "Luisa Miller" nach Kabale und Liebe.

Verdi arbeitet hart in diesen Jahren, die Regeln des italienischen Opernbetriebs sind streng, die Termine liegen eng. Verdi muss funktionieren, wenn er im Geschäft bleiben will. Jährlich bringt er mindestens eine, manchmal sogar zwei Opern heraus. Er ist viel unterwegs in Italien, London, Paris, zwischendurch erholt er sich immer wieder in Busseto.

Er setzt sich zum Ziel, mit Ende dreißig der Opernwelt addio zu sagen, ganz wie Gioacchino Rossini, der mit 37 seine letzte Oper geschrieben hat.

Wichtige persönliche Erfahrung in diesen Galeerenjahren ist für Verdi die Beziehung zu Giuseppina Strepponi, die viele Jahre später seine zweite Ehefrau werden wird, ihr widmen wir uns in der morgigen SWR 2 Musikstunde.
**********er669 Mann
329 Beiträge
Eine meiner Lieblingsopern - allein schon der Chöre wegen - bin mit 18 das erste mal in Stuttgart in ihr auf der Bühne gestanden, und habe sie vor 4 Jahren das letzte mal in der Oper gesungen. Toll die Arie des Zaccharia am Ende des dritten Aktes an den Gestaden von Babylon "Oh chi pianti" und die große Szene des Nabucco im vierten Aktes "Dio di Guida" und das anschließende "Oh prodi miei seguitemi....".... diese Musik ist für mich schon fast Erotik...
*********vibus Mann
944 Beiträge
Sehr gut gefällt mir die Aufnahme des Gefangenenchors mit Toscanini am Pult. Der despotische Maestro hat das extrem abgenudelte Stück so spannend gestaltet, dass es eine Freude war zuzuhören.

Die beiden Arien haben den typischen "Verdisound", aber für mich nicht den Esprit, der die besten seiner Arien auszeichnet. Trotzdem sehr interessant.
*******sima Frau
2.440 Beiträge
Themenersteller 
Manuskriptauszug Zierau (6)
Giuseppina Strepponi: gefeierte Primadonna, Mutter von drei Kindern und Ehefrau Giuseppe Verdis. Drei Attribute, die das Leben der ungewöhnlichen Frau skizzieren und charakterisieren. Ihr wollen wir die heutige Musikstunde widmen.

Geboren wird Giuseppina am 8. September 1815 in Lodi, einer kleinen Stadt in der Lombardei. Sie ist zwei Jahre jünger als Verdi und wird seine Kameliendame, seine La Traviata, die er gegen alle gesellschaftlichen Widerstände erobert, mit der er sein Leben verbringen will.



La Traviata, Ouverture. Eine Aufnahme vom Neujahrskonzert 2013 aus dem Opernhaus La Fenice, Venedig, unter der Leitung von Sir John Eliot Gardiner.

Im Schicksal der Violetta Valery spiegelt sich einiges aus dem Leben Giuseppina Strepponis wieder.

Sie ist das älteste von vier Kindern des Komponisten Feliciano Strepponi, der wohl begabt ist, aber ein wenig verrückt. Er läuft im blauen Frack als Werther verkleidet durch die Cafés in Lodi, ist Organist in Monza, später zweiter Kapellmeister am Grande Teatro in Triest. Als seine Oper "Ullà di Bassora" an der Scala angenommen wird, schmeißt er völlig euphorisch seinen Job in Triest und versucht sich – glücklos – als Theatermanager.
Mit nur 34 Jahren stirbt er an einem Fieber und hinterlässt eine Frau mit vier Kindern und kein Geld.

Giuseppina ist gerade 16 Jahre alt. Sie studiert Gesang und Klavier am Mailänder Konservatorium. Dank eines Stipendiums kann sie das Studium beenden. Mit einem ersten Preis im Fach "Bel canto" startet sie in eine vielversprechende Karriere. Von nun an verdient sie den Lebensunterhalt für ihre Mutter und die Geschwister. Sie tritt an fast allen italienischen Bühnen auf, am Wiener Kärntnertor Theater debütiert sie mit Donizettis "Anna Bolena". Kurze Zeit später singt sie dort die "Sonnambula" und die Adalgisa in Bellinis "Norma".

Die Kritiker sind begeistert: "Der Vortrag der Signora Strepponi war so beseelt von inniger, tiefer Empfindung, dass die talentreiche Künstlerin heute den Ehrenplatz unmittelbar neben der Signora Schütz-Oldesi, die die Norma sang, einnahm. Besonders trefflich und hohen Genuss gewährend erschien das meisterhafte Zusammenwirken der beiden Künstlerinnen im Duett des 2. Aktes, welches der Glanzpunkt der Aufführung war und einen so stürmischen Beifall erregte, dass es wiederholt wurde, und das Sängerpaar viermal erscheinen musste."



Duett Norma-Adalgisa aus dem 2. Akt der Oper "Norma" von Vincenzo Bellini mit Maria Callas und Ebe Stignani in einer Live-Aufnahme von 1952. Vittorio Gui dirigierte das Orchester der Covent Garden Oper in London.

Die ersten Jahre der Karriere Giuseppina Strepponis verlaufen glanzvoll. Sie wird gefeiert, reist von Bühne zu Bühne und gönnt sich kaum Ruhe. Der Einsatz ist hoch und fordert bald seinen Preis. Ihre Stimme verliert schnell an Glanz und Kraft. Privat verstrickt sie sich in Skandale.

Innerhalb von vier Jahren bekommt Strepponi drei uneheliche Kinder. Darüber wird getratscht und spekuliert, wer der Vater sei. Der Impresario Bartolomeo Merelli oder wahrscheinlicher der umschwärmte, ebenfalls verheiratete Tenor Napoleone Moriani. Die Verantwortung für den ersten Sohn übernimmt ein anderer, der 40 Jahre ältere Theateragent Cirelli. Er zahlt für den kleinen Camillino und sorgt für eine Unterkunft, denn kümmern kann sich Giuseppina um ihre Kinder nicht. Sie ist permanent unterwegs. Das zweite Kind, eine Tochter setzt sie auf den Stufen eines Findelhauses aus, für das dritte, auch ein Mädchen, sucht sie eine Amme. Beide Mädchen sterben im Kindesalter. Der Sohn geht später bei einem Bildhauer in Florenz in die Lehre.

Egal, wer nun als Vater in Frage kommt, keiner der Herren will für die beiden Mädchen bezahlen. Fortan muss Giuseppina nicht nur ihre Mutter und Geschwister ernähren, sondern auch noch die eigenen Kinder. Laut ärztlichen Berichten ist sie sehr schwach und nahe daran an Schwindsucht zu erkranken. Verzweifelt schreibt sie an Merelli:
"Viel bin ich nicht wert, aber ich habe den Wunsch besser zu werden".

Besser wird ihr Leben durch die Beziehung zu Verdi. E strano – Es ist seltsam – sollte eine ernste Liebe Unglück für mich sein – singt Violetta nach der Begegnung mit Alfredo in La Traviata.



Anna Netrebko live von den Salzburger Festspielen 2005 als Violetta Valery – die Kameliendame aus Alexandre Dumas Bühnendrama, das Verdi und Giuseppina Strepponi in Paris gesehen haben und das sie sehr berührt hat. Kurz darauf schreibt Verdi seine Oper La Traviata, die Geschichte einer Kurtisane, die an gesellschaftlichen Konventionen zerbricht.
*******sima Frau
2.440 Beiträge
Themenersteller 
Kleiner Exkurs
Bei mir hat sich die Möglichkeit zu einer spontanen Reise ergeben, d.h. ich bin unterwegs und werde weitere Beiträge zu Verdi erst in ca. 10 Tagen einstellen, wenn ich wieder zurück bin. Anders als früher beim Thread "Komponist des Monats" üblich, sollen, wenn ich es richtig verstanden habe, ja jetzt beim "Künstler des Monats" die Threads jeweils neu eingerichtet und dann auch über das Monatsende hinaus aktiv und offen bleiben und weiter ergänzt werden können, das kommt mir persönlich in diesem aktuellen Fall dann auch sehr gelegen.

Auf keinen Fall soll diese Unterbrechung von meiner Seite aber bitte jemanden anderen, der ebenfalls etwas zu Verdi schreiben möchte, abhalten, dies zu tun, im Gegenteil, ich würde mich wesentlich wohler fühlen, wenn sich andere Gruppenmitglieder gleichermaßen wieder häufiger dazu aufraffen würden, ab und an was beizusteuern!

In diesem Sinn allen eine gute neue Woche !
*******sima Frau
2.440 Beiträge
Themenersteller 
Manuskriptauszug Zierau (7)
Zum ersten Mal begegnet sind sich Verdi und die Strepponi bei den Proben zu Verdis erster Oper "Oberto" an der Mailänder Scala; offenbar ein starker, emotionaler Eindruck, denn als Verdi einige Zeit später an Nabucco arbeitet, denkt er bei der Rolle der Abigaille an die Stimme der Strepponi, vielleicht sogar auch an die Frau Giuseppina.

Sie singt die Abigaille in der Uraufführung des Nabucco an der Mailänder Scala an der Seite von Bass-Bariton Giorgio Ranconi. Hier eine Aufführung mit Andrij Shkurhan (Nabucco), Claudia Grundmann (Abigaille), Musikalische Leitung: Rhodri Britton.



"Nabucco" wird für den jungen Verdi zu einem ungeahnten Triumph. Jedoch nicht wegen, sondern trotz Giuseppina Strepponi. Sie präsentiert sich nämlich schlecht bei Stimme. Die Zeit ihrer großen Erfolge ist vorbei.

Ein paar Jahre schleppt sie sich noch durch die Opernhäuser, dann ist Schluss. Mit der Abigialle verabschiedet sie sich in Modena von ihrem Publikum, nach einer kurzen Karriere. Sie ist gerade mal 30 Jahre alt.

Strepponi geht nach Paris und eröffnet dort eine Gesangsschule. Verdi ist über ihren Weggang aus Italien sehr betrübt. Immer wieder reist er nach Paris, sicher auch um seine Opern dort aufzuführen, aber auch um fern ab vom streng katholischen Italien, seine Beziehung zu Giuseppina Strepponi zu vertiefen. Er liebt diese Frau und will mit ihr zusammenleben. Un di felice – an einem Tag, der glücklich und himmlisch, erstrahlet ihr mir.

Hier eine Aufnahme mit Luciano Pavarotti, Dame Joan Sutherland , The National Philharmonic Orchestra unter Richard Bonynge:



In den unbeschwerten Monaten in Paris legen Giuseppe und seine Peppina den Grundstein einer Verbindung der besonderen Art, die ein halbes Jahrhundert lang, bis zu Giuseppinas Tod, bestehen bleibt. Er braucht sie und sie ist ihm dankbar, dass er sie gerettet hat. In der Stadt der Liebe festigt sich ihre Beziehung.

Verdi fühlt sich wohl in Paris, aber es ist nicht der Mittelpunkt seines Arbeitslebens. Die italienischen Theaterintendanten warten auf weitere Opern, hier wird er gebraucht, hier muss er agieren, hier liegt das Zentrum seiner Schaffenswelt. Also kehren Verdi und Giuseppina Strepponi nach Italien zurück. Zunächst leben sie im Palazzo Cavalli mitten in Busseto, ein Haus, das Verdi vor ein paar Jahren gekauft hat.

Die Bewohner von Busseto heißen das unverheiratete Paar nicht gerade willkommen. Schnell wird der Pallazzo zu einem Gefängnis. Ist Verdi nicht gerade auf Operntour, findet er wenig Abwechslung. An Piave schreibt er: „Wir essen hier, wir schlafen, wir arbeiten. Ich habe zwei junge Pferde, mit denen wir Ausflüge im Wagen unternehmen – das ist alles. Das Leben, das ich führe, ist höchst einsiedlerisch. Ich besuche niemanden und ich empfange niemanden, außer meinem Schwiegervater und meinen Schwager.“
Zwei Jahren bleiben Giuseppe und Peppina im Palazzo Cavalli wohnen. Verdi komponiert hier Luisa Miller, Stiffelio und seine Erfolgsoper Rigoletto, die bald auch Franz Liszt in die Finger fährt.


Franz Liszt: Konzertparaphrase über das Quartett aus der Oper "Rigoletto". Yundi Li, aufgenommen live im Festspielhaus Baden-Baden am 31. Mai 2004.
Es ist das großartigste Quartett der Operngeschichte - morgen mehr darüber!
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Zierau (8)
Die Anfangszeit in Busseto stellt die Beziehung zwischen Giuseppe und Giuseppina auf eine harte Probe, doch sie halten trotz aller Widrigkeiten zusammen, es gibt vieles, was sie verbindet. Beide haben in jungen Jahren schwere Schicksalsschläge verkraften müssen, beide kennen Höhen und Tiefen des Theaterlebens. Verdi gibt sich gelegentlich etwas grob und überkritisch, es mangelt ihm mitunter an Humor und Feingefühl, Giuseppina ist im Gegenzug dazu charmant, diplomatisch und humorvoll. Eine ideale Verbindung und gegenseitige Ergänzung.

Ein Zeitgenosse beschreibt die Frau an Verdis Seite wie folgt.
"Sie war der gute Engel für alle Zaghaften, die sich zum ersten Mal Verdi gegenüber sahen und die – von diesen forschenden Augen verwirrt – mit dem Ausdruck ihrer Bewunderung kein Ende fanden. Dann stockten sie, wandten sich hilfesuchend dem Blick der Signora Peppina zu. Deren gütiges Lächeln dankte in Verdis Namen und schien sagen zu wollen: "Nur Mut der Löwe ist so furchtbar nicht, wie es aussieht. Dies ließ dann aufatmen."

Giuseppina ist aber nicht nur der gute Geist an Verdis Seite. Sie interessiert sich für seine Arbeit, nimmt Anteil, spricht französisch, englisch und deutsch, hilft ihm beim Übersetzen neuer Libretti. Mit sehr viel mehr Geschick als Verdi verhandelt sie mit Verlegern, steht in Kontakt mit Theaterintendanten. Ohne ihre Unterstützung wäre der "Trovatore" oder "Simone Boccanegra" wahrscheinlich nie entstanden.

Giuseppe Verdi: Simone Boccanegra, Arie des Gabriele:


(Simon Boccanegra, Act 2: Aria of Gabriele · Hungarian State Opera Orchestra · János Ferencsik · Hungarian Radio and Television Symphony Orchestra)

Giuseppina Strepponi gilt als feinsinnige Gesprächspartnerin und sie schreibt ganz außergewöhnliche Briefe.

Der Schriftsteller Edmondo De Amicis behauptet, „niemand hat sie wirklich kennengelernt, der nicht ihre Briefe gelesen hat. In denen zeigt sie noch besser als im Gespräch alle Vorzüge von Kopf und Herz".

Ebenso in ihrem Tagebuch. Darin notiert sie auch die manchmal tyrannischen Launen Verdis, die sie geduldig erträgt:

"Er ist so voreingenommen gegen das Hauspersonal und gegen mich, dass ich gar nicht weiß, mit welchen Worten und in welchem Ton ich mit ihm sprechen muss, damit er sich nicht angegriffen fühlt. Ach wie das noch enden soll, ich weiß es nicht, er wird immer ruheloser und gereizter. So wunderbare Eigenschaften zu haben und dabei einen so harschen und schwierigen Charakter..."

Sehr viel erträglicher scheint Verdi zu sein, wenn er in der Küche steht und Risotto kocht. Als Giuseppina in einen Brief wieder einmal von den Begeisterungsstürmen für ihren Mann berichtet, fügt sie hinzu: „Wenn die nur wüssten, wie gut er einen Risotto alla milanese komponiert, Gott weiß, welche Ovationen dann erst auf seinen Schultern niedergingen.“

Als das Paar auf das Landgut Sant‘ Agata zieht, wird dieses Refugium für ein halbes Jahrhundert wichtigster Rückzugsort für Verdi.

Giuseppina tut sich weiterhin schwer. Die Dorfbewohner Bussetos tuscheln immer noch über die Frau mit der dunklen Vergangenheit, die als Geliebte bei Verdi lebt. Sie gehen ihr aus dem Weg und setzen sich in der Kirche nicht neben sie. Auch Schwiegervater Barezzi, der zunächst große Sympathien für Peppina hegt, zeigt allmählich kein Verständnis mehr, warum die beiden nicht heiraten.

Seine Anschuldigungen kränken Verdi zutiefst: Aus Paris, wohin das Paar immer wieder flieht, erwidert er Barezzi:

"Ich fordere für mich Handlungsfreiheit, weil alle Menschen ein Recht darauf haben, und weil meine Natur sich dagegen auflehnt, so zu handeln wie die anderen. Ich habe nichts zu verbergen. In meinem Haus lebt eine Frau, die wie ich ein Leben in der Einsamkeit liebt, die ein Vermögen besitzt, das sie vor jeder Bedürftigkeit sichert. Weder ich noch sie sind irgendjemand Rechenschaft über unser Tun schuldig. Wer weiß denn, ob sie meine Frau ist oder nicht? Und wenn sie es ist, wer weiß welche besonderen Gründe vorliegen mögen, es nicht öffentlich bekanntzugeben. In meinem Haus gebührt ihr ebenso viel Achtung wie mir, vielleicht sogar mehr."

Wie ähnlich ist diese Situation zu der in "La Traviata", wo der Vater den Sohn von Violetta Valéry mit allen Mitteln wegziehen möchte.


"Pura siccome un angelo...": Giuseppe Verdi La Traviata, Orchestra del Teatro alla Scala di Milano, Carlo Maria Giulini, Milano 1955.
Maria Callas, Giuseppe di Stefano, Ettore Bastianini.

Diese Handlungsfreiheit, die Verdi im Brief an Barezzi fordert, nimmt er selbst lange Zeit nicht in Anspruch. Er reist allein zu den Aufführungen seiner Opern und lässt Giuseppina zu Hause. Damit geht er Konfrontationen aus dem Weg und vermeidet weiteres Gerede.

Es dauert 12 Jahre bis Giuseppe und Peppina offiziell und vor Gott den Bund des Lebens beschließen. Am 29. August 1859 heiratet der damals knapp 46-jährige Verdi, die um 2 Jahre jüngere Giuseppina. Ein befreundeter Priester, der Genfer Abbé und spätere Kardinal Gaspard Mermillod traut die beiden in dem abgelegenen savoyischen Dorf Collanges sous Salève.
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Zierau (9)
Als die junge böhmische Sängerin Teresa Stolz in Verdis Leben tritt, wird seine Ehe auf eine Probe gestellt. Zur "Macht des Schicksals" in Mailand, in der die Stolz die Leonora singt, will Verdi Giuseppina nicht einladen.

Enttäuscht schreibt sie an Verdi: "als wir zusammen nach Mailand reisten, Manzoni besuchten, die Fahrt auf dem See machten... ahnte ich nichts von dem seltsamen, schmerzlichen Resultat, dem ich mich nun gegenübersehe, nämlich verleugnet zu werden...Möge Gott dir die brennende, demütigende Wunde verzeihen, die du mir zugefügt hast".

Pace, pace, mio Dio – Frieden, mein Gott singt Leonora in der "Macht des Schicksals".



Leontyne Price mit der Arie der Leonora aus dem 4. Akt der Macht des Schicksals.

Exkurs: Hier möchte ich einen link einfügen, der diese Arie genauer betrachtet und
differenziert auf unterschiedliche Intererpretationen eingeht:
https://opera-inside.com/pac … a-forza-del-destino/?lang=de


Verdi in den Fängen einer jungen Sängerin. Für die italienische Erstaufführung der "Aida" an der Scala engagiert er Teresa Stolz für die Titelrolle. Um die Partie zu studieren, kommt sie für drei Wochen nach Sant‘ Agata. Giuseppina schreibt auf das Kalenderblatt des 23. Septembers 1871: "Vielleicht der traurigste Tag meines Lebens. Signora Stolz kam heute an. Immer noch sehr schön. Dunkel, dunkel, dunkel vor mir."

Über diese Dreierbeziehung wurde viel spekuliert. Was wirklich zwischen Verdi und Teresa Stolz vorgefallen ist, bleibt ein Geheimnis.

Nach diesem Aufenthalt in Sant' Agata löst Teresa Stolz jedenfalls ihre Verlobung mit dem italienischen Dirigenten und Komponisten Angelo Mariani, einem Freund Verdis.
Giuseppina verhält sich in dieser schwierigen Situation der ménage à trois äußerst diplomatisch. Sie macht keine Szene, sondern bemüht sich um die Freundschaft der vermeintlichen Rivalin und schreibt ihr:

"Nächst dem ist mein größter Wunsch, Sie wieder zu umarmen und womöglich ein bisschen länger mit Ihnen zusammen zu sein. Ich mag Sie, achte Sie und fühle mich zu Ihnen hingezogen, zu Ihrem freimütig offenen, vornehmen Charakter".

Zu dritt verbringen sie den Winter 1872/73 in Neapel, wo Neuinszenierungen der "Aida" und des "Don Carlos" einstudiert werden. Ein Jahr später singt Teresa Stolz die Sopran-Solopartie bei der Uraufführung des Requiems.

Giuseppina gibt sich nach außen hin gefasst, aber innerlich leidet sie. In einem Briefentwurf an Verdi schreibt sie:

" Wenn du diese Person so verführerisch findest, sei offen und sag es, ohne mich der Demütigung dieser Kundgebungen Deiner übertriebenen Ergebenheit auszusetzen. Wenn nichts daran ist, halte dich etwas zurück in deinen Aufmerksamkeiten. Denke manchmal daran, dass ich, deine Frau, zwar den Klatsch von ehedem verachte, aber auch gegenwärtig ein Leben zu dritt führe und ein Anrecht habe, wenn schon nicht auf deine Zärtlichkeit, so doch wenigstens auf deine Achtung. Ist das zu viel verlangt?"

Wie Verdi darauf reagiert und wie er sich gegenüber Teresa Stolz weiterhin verhält, bleibt wie vieles in Verdis Privatleben im Verborgenen. Den Kontakt zu ihr hält er über Giuseppinas Tod hinaus.
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Zierau (10)
Haben Sie sich schon einmal überlegt, welche Verdi Oper Sie mit auf eine einsame Insel nehmen würden? Ich würde den Rigoletto einpacken wegen der dicht gedrängten Dramatik, der explosiven Sprengkraft, der atemlosen Abfolge großartiger Arien, Duette, Ensemble und Chorszenen und der erschütternden Wahrheit, die in der Geschichte steckt. Der markante Fluch des alten Monterone, der für Rigoletto zur Schicksalsmacht wird, durchzieht die ganze Oper wie ein mahnendes Erinnerungsmotiv. Quel vecchio maledivami – Jener Alte hat mich verflucht und dieser Fluch stürzt die tragischste und brüchigste Baritonfigur Verdis in den Abgrund. Der hinkende Hofnarr, der über alle seinen Spott ausschüttet ist zugleich ein liebender Vater, der mit verbundenen Augen an der Entführung der eigenen Tochter teilnimmt und am Ende sein Kind verliert.

Giuseppe Verdi: Rigoletto, Finale 1. Akt


Endlich einmal ist Verdi zufrieden mit sich. Den Rigoletto nennt er sein erstes voll und ganz gelungenes Meisterwerk. Die Uraufführung in Venedig wird zu einem Triumph, nach jeder Nummer wird Verdi hervorgerufen, Jubel, Beifall und da capo, nochmal von vorn. Verdi wusste nur zu gut, warum er das Bravourstück der Oper bis kurz vor der Uraufführung unter Verschluss hielt. Am nächsten Tag gurren es die Tauben auf dem Markusplatz, singen es die Gondolieri bei der Arbeit.



Luciano Pavarotti, Kanzone des Herzogs von Mantua aus dem dritten Akt von Giuseppe Verdis Oper Rigoletto aus dem Jahr 1851.

Die Entstehungsgeschichte des Rigoletto ist ein wenig holprig. Die Vorlage zur Oper, das Theaterstück von Victor Hugo „le roi s’amuse“ löste in Paris einen Skandal aus. Ein Tag nach der Uraufführung wurde es verboten, zu anzüglich, zu heftig die Verunglimpfung des französischen Königs.

Doch Verdi ist begeistert von dem Drama. Es gäbe darin eine Rolle, teilt er seinem Librettisten Piave mit, die eine der bedeutendsten Schöpfungen des Theaters aller Zeiten und Länder sei, gemeint ist der Hofnarr Triboulet, der in der Oper dann Rigoletto heißen wird. Von Anbeginn hat Verdi die tinta musicale, die musikalische Grundidee, im Kopf und er will um nichts in der Welt davon abweichen. Doch die österreichische Zensur in Venedig ist streng: die Handlung muss verlegt werden, weg vom französischen Königshof hin ins Herzogtum Mantua, ein paar Namen müssen geändert und frivole Szene gestrichen werden.

Aber Verdi geht es gar nicht so sehr um das leichtfertige Handeln des Herzogs, sondern um die tragische Liebe des armen Narren zu seiner Tochter, um das Bewahren einer Privatsphäre in einer gesellschaftlichen Ordnung. Das gelingt Rigoletto nicht, vor den Höflingen verliert er sein Gesicht, demaskiert sich, verlässt er die Rolle des Narren und gibt sich als liebender Vater zu erkennen. Voller Wut klagt er die Höflinge an – Cortigiani, er bedrängt sie, schimpft sie Mörder und dann bricht die Stimmung, aus seiner Wut wird ein verzweifeltes Flehen. Er weint und bittet um seine Tochter, tutto al mondo e tal figlia per me – diese Tochter ist alles für mich auf Erden.

Ich kenne keine ergreifendere Szene: der hinkende Rigoletto, rhythmisch charakterisiert betritt die Bühne und offenbart vor der voyeuristischen höfischen Gesellschaft sein ganzes Seelenleben.



Es ist tatsächlich so, dass im Rigoletto die Dramatik so dicht gedrängt ist, dass es keinen Moment des Luftholens gibt. Absoluter Höhepunkt ist das Quartett im dritten Akt, eine Glanzleistung der Ensemblekunst. Vier differenzierte musikalische Charaktere treffen zusammen und verstricken sich immer mehr ineinander. Das Quartett baut sich dramaturgisch auf.

Der Herzog beginnt in der Schenke von Sparafucile mit seinem aufdringlichen Werben um Maddalena, sie belächelt ihn, Gilda und Rigoletto beobachten die Szene von außen und werfen einzelne Ausrufe dazwischen, dann setzt der Herzog zu seiner Kantilene Bella figlia dell’amore an – Maddalena wehrt ihn weiter ab, nach und nach kommen Gilda und Rigoletto als gleichberechtigte Partner in das Quartett hinzu. Der Herzog flirtet, Maddalena kokettiert, Gilda zergeht an Schmerz, an gebrochenem Herzen und Rigoletto sinnt auf Rache.


*******sima Frau
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Manuskriptauszug Zierau (11)
Nach seiner erfolgreichen Trias – Rigoletto, Trovatore, La Traviata ist Verdi gerade mal 40 Jahre alt: zwei Drittel seines gesamten Opernschaffens liegt hinter ihm, er bekommt astronomische Honorare, erstmals in der italienischen Opernszene übersteigt die Gage des Komponisten die der Sängerstars. Dabei bleibt Verdi recht bescheiden, er ist ein guter Geschäftsmann und investiert sein Geld in Immobilien, Grund und Boden. In Busseto kauft er einen Stadtpalast, bald darauf das drei Kilometer entfernte Landgut Sant‘ Agata, noch heute wird die Villa Verdi von den Erben Carrara-Verdi bewohnt.

Ein Teil des zweistöckigen Hauses kann man besichtigten, das Schlafzimmer von Giuseppina Strepponi, in dem sie 1897 gestorben ist, ihr Ankleidezimmer, das Schlafzimmer Verdis mit einem Schreibtisch, an dem er meist komponierte – trocken ohne Klavier, dann ein kleines Arbeitszimmer, wo Verdi die Verwaltung seiner Ländereien regelte. Und in einem anderen kleinen Zimmer befinden sich die Möbel aus dem Grand Hotel de Milan, wo Verdi gestorben ist, in einer Vitrine sieht man das Nachthemd, das er in seinen letzten Stunden am 27. Januar 1901 getragen hat.

Am schönsten ist jedoch der Park rund um die Villa Verdi mit exotischen Pflanzen und Bäumen, einem See, den Verdi „Pfütze“ nennt, und der Grabstätte seines Hundes Lulu, „In Erinnerung an einen guten Freund“ steht auf dem Stein. Man kann auch die Stallungen und Kutschen Verdis besichtigen und sich vorstellen wie er mit seinem Phaeton, einem Einspänner, den er selbst lenkte, durch die Platanenallee fuhr.

Alles in allem, Sant‘ Agata ist ein herrschaftliches Anwesen, ohne prunkvoll zu sein. Der Freund Giuseppe Giacosa beschreibt die Ausstattung als „reich, aber ohne Pomp und auch ohne Sparsamkeit, alles ist eingerichtet, ins Auge zu fallen, ohne den Blick zu bestürmen“ und Arrigo Boito, der Librettist der letzten beiden Opern Verdis, dankt nach einem Aufenthalt; „Im Geiste empfinde ich noch immer den großen und lieben Frieden von Sant’ Agata“.

Verdi genießt hier die Natur, geht spazieren, arbeitet im Garten, gibt seinen Bediensteten Anweisungen, verwaltet seine Ländereien – ob er Sant‘ Agata im Kopf hat, als er für seine französische Oper Les Vêpres Siciliennes – die sizilianische Vesper – die Ballettmusik schreibt – die vier Jahreszeiten.



Der Frühling aus den Jahreszeiten, der Ballettmusik aus der Oper „Les Vêpres Siciliennes“, Ricardo Muti leitete das New Philharmonia Orchestra.

Im Frühling, Sommer und Herbst lässt sich in Sant‘ Agata gut leben, aber die Winter sind zäh, der Nebel setzt sich bleiern fest. Giuseppina schreibt, „wenn der Schnee die ungeheuren Ebenen bedeckt und die Bäume mit ihren nackten Ästen wie Skelette aussehen, mag ich nicht einmal den Blick heben, um nach draußen zu schauen. Mich befällt eine grenzenlose Traurigkeit, ein Wunsch, vom Land zu flüchten und zu spüren, dass ich unter Lebendigen lebe und nicht mit Gespenstern und dem Schweigen eines ungeheuren Friedhofs.“

Oft verbringen die Verdis fortan die Wintermonate in Genua, wo Verdi eine Wohnung mit Blick aufs Meer gekauft hat.

Seit Verdi auf Sant‘ Agata wohnt, widmet er sich lieber den Ländereien als der Musik, seine von ihm selbst so genannten Galeerenjahre, die arbeitsreichen Jahre, gehen allmählich zu Ende, er schreibt noch eine Oper für Paris: „Die sizilianische Vesper“, eine letzte Oper für Venedig: "Simone Boccanegra" und einmal gibt es noch richtig Ärger mit der Zensur.

Verdi wählt das historische Ereignis des schwedischen Königsmords von 1792 als Opernstoff, für das Königreich Neapel. Ein Königsmord auf der Bühne und überhaupt ein König, der sich mit der Frau seines besten Freundes auf dem Friedhof zu einem glühenden Liebesduett trifft, das kann nicht gut gehen. Die Zensurbehörde schreitet ein. Die Streitereien landen vor dem Handelsgericht und Verdi zieht die Oper zurück.

Ausgerechnet Rom, mit der päpstlichen Zensur im Nacken, öffnet die Tore für "Un ballo in maschera", den "Maskenball". Der Impresario des Teatro Apollo hat einen guten Draht zum Polizeichef.

Auch hier besteht man darauf, dass der Ort der Handlung nicht Schweden ist und der König zu einem Gouverneur in Boston wird, aber die verbotene Liebe, die im Mittelpunkt der Oper steht, darf bestehen bleiben und die reizt Verdi einmal mehr aus. Riccardo lauert seiner Geliebten Amelia, der Frau seines Sekretärs und Freundes Renato in der Nähe des Friedhofs auf. Dort sucht die Unglückliche auf Anraten der Wahrsagerin Ulrica nach einem Kraut, das ihr die verbotene Liebe zu Riccardo austreiben soll. Nach anfänglicher Abwehr Amelias, gestehen sich die beiden in ekstatischem Taumel ihre Liebe, und wenn man die zarten Streichertremoli und schwelgenden Celli hört, möchte man nicht glauben, dass Riccardo ihre Unschuld nicht angetastet haben soll, wie er am Ende der Oper sterbend seinem Freund Renato versichert. Hier sagt die Musik mehr als tausend Worte, sicher eines der sinnlichsten, ja der erotischsten Liebesduette Verdis.

Hier eine Live-Aufnahme aus der Mailänder Scala 1977, mit Luciano Pavarotti und Shirley Verrett. Dirigent Claudio Abbado.



Am 17. Februar 1859 wird der "Maskenball" in Rom uraufgeführt und frenetisch gefeiert. Der Jubel gilt aber nicht nur der Oper, sondern auch dem neuen Italien. Krieg liegt in der Luft. Italien drängt es nach der großen Einheit und Verdi wird mit seiner Musik zum Hoffnungsträger: „Viva Verdi“ ruft das Volk im patriotischen Taumel, „viva Verdi“ und der Name Verdi steht für Vittorio Emmanuele Re d‘ Italia, für den neuen König eines vereinten Italiens.

Dem piemontesischen Militär gelingt es mit Unterstützung Napoelons, die österreichischen Truppen aus der Lombardei, aus dem Herzogtum Parma und der Toskana zu vertreiben. Victorio Emanuel II. wird zum Königs Italiens proklamiert.

Verdi verfolgt die politischen Ereignisse von seinem Landsitz Sant‘ Agata aus und engagiert sich erstmals politisch. Graf Cavour, der Architekt der italienischen Einheit fordert Verdi auf, als Abgeordneter ins erste italienische Parlament zu ziehen. Vier Jahre bekleidet Verdi dieses Amt, ein zweites Mal will er nicht kandidieren. Verdi ist kein Vollblutpolitiker, aber er wird zur Symbolfigur des Risorgimento, der italienischen Vereinigung. Aus einfachen Verhältnissen stammend hat er es ins Parlament geschafft.

An den Sitzungen des Parlaments nimmt Verdi nur selten teil, er ist viel unterwegs zu Aufführungen seiner Opern bis nach Sankt Petersburg. Von dort lockt ein lukratives Angebot, der berühmte Verdi-Tenor Enrico Tamberlick bittet den Maestro im Auftrag des Kaiserlichen Theaters um eine Oper für den Zaren. Es wird die letzte Zusammenarbeit mit Francesco Maria Piave sein, gemeinsam wählen sie ein Drama der spanischen Gegenwartsliteratur. „Don Alvaro o la fuerza del sino“ des Herzogs von Riva, eine düstre, abwegige Geschichte, in der am Ende alle Protagonisten sterben, kein echtes Verdi-Highlight.

Die Oper und Verdi werden gefeiert, bei leiser Kritik, drei Tote sind den Russen zu blutrünstig. Für Mailand überarbeitet Verdi das Finale, lässt Alvaro am Leben und komponiert eine Ouvertüre, die der Oper einen zündenden Startschuss gibt.

https://www.dailymotion.com/video/x1d0d6i

Giuseppe Verdi: Ouvertüre zur Oper „Die Macht des Schicksals“ ,Berliner Philharmoniker, Dirigent: RICARDO MUTI
aus: „Europakonzert der Berliner Philharmoniker 2009“, aus dem Teatro di San Carlo, Neapel.

La forza del destino – Verdis Visitenkarte für Sankt Petersburg, immerhin ist das Kaiserliche Hoftheater neben Paris und London, die einzige Stätte in Europa, an der zu der Zeit noch in Originalsprache gesungen wird.

Seine nächste Oper schreibt Verdi für Paris, eine französische nach einem deutschen Drama – Schillers Don Carlos, der Anfang vom Spätwerk, ein Drama um ein absolutistisches System, die Macht der Kirche und die Liebe des Infanten zu seiner Stiefmutter. Don Carlos liebt Elisabeth, die jedoch aus politischen Gründen König Philipp heiraten muss. Zentrale Figur ist der Freiheitsgeist Marquis von Posa. Er gewinnt einerseits den jungen Infanten für sich und appelliert auch an das Herz des mächtigen, aber einsamen Königs.

Neu an Don Carlos sind die ausgeprägten Texturen, Verdi schreibt ganz im Sinne der französischen Grand Opera und übertrifft dabei an Intensität und musikalischer Dichte die großen Opern von Meyerbeer. Besonders gewagt, ja modern ist die Begegnung zwischen dem König und dem Marquis von Posa, ein komponierter Dialog, ein intensiver Austausch, der über zehn Minuten dauert. Verdi bleibt dicht an Schillers Vorlage. Posa berichtet dem König von den Verwüstungen in Flandern, steigert sich immer mehr hinein, erhebt Anklage. „Glaubt ihr, wenn ihr Tod sät, sät ihr für die Zukunft“, fragt Posa den König. Mit diesem Blutpreis habe er den Frieden der Welt bezahlt, entgegnet Philipp, "den Frieden eines Friedhofs", schmettert Posa heraus und das Orchester geht mit einem krachenden Donner nieder.



Die Franzosen können mit "Don Carlo" nicht allzu viel anfangen, kurz zuvor haben sie noch die französische Premiere des "Troubadours" gefeiert mit allem Vedischen Verve und den schmissigen Arien und dann diese neue Sprache. Verdi berichtet an die Freundin Clara Maffei, ein Erfolg sei die Premiere nicht gewesen. Zu Hause in Sant‘ Agata liest er die Pariser Kritiken, die sein Verleger und Freund Ricordi zusammen getragen hat. Theophil Gautier schreibt von Verdis Wendung zur Moderne. Georges Bizet, ein großer Anhänger des "Troubadours", ist gerade über diese Annäherung enttäuscht: „Verdi ist kein Italiener mehr, er imitiert Wagner“ .

Von all dem will Verdi nichts hören. An einen Freund schreibt er: „Wenn die Kritiker ein bisschen aufmerksamer gewesen wären, hätten sie gesehen, dass meine Absichten dieselben waren wie im Terzett des Ernani oder im Schlafwandel des Macbeth“. Nein unter dem Einfluss Wagners will Verdi nicht stehen.

Wagner, den weiß er zu charakterisieren: „Wagner ist keine wilde Bestie, wie das die Puristen wollen, aber auch kein Prophet, wie ihn seine Apostel gerne sehen würden. Er ist ein hochbegabter Mensch, der sich darin gefällt, die beschwerlichen Wege einzuschlagen, weil er die einfachen und viel direkteren nicht zu finden versteht“.

In Bologna besucht Verdi die italienische Erstaufführung des "Lohengrin". In die Partitur macht er über hundert Notizen. Sein Fazit: “Die Musik ist schön, wenn sie klar ist und einen Gedanken enthält. Die Handlung ist schleppend wie das Wort. Darum Langeweile. Übermaß an lagen Noten und schwer erträglich. Schöne instrumentale Effekte“.

Von Seiten Verdis findet eine Auseinandersetzung mit Wagner statt. Aus Paris lässt er sich alle Schriften Wagners schicken, darunter der Essay "Zukunftsmusik". Wie schmerzlich muss Verdi die überhebliche Abrechnung Wagners mit der italienischen Oper empfunden haben, sie sei auf Zerstreuung und Unterhaltung einer genusssüchtigen Bevölkerung bestimmt.

Verdi liest Wagner, Wagner hingegen hat Verdi bekanntlich mit keinem Wort erwähnt, er sprach wenn überhaupt, dann abfällig von „Donizetti und Co“.

Mehr möchte ich zum Verhältnis Verdi – Wagner nicht sagen, viel gibt es darüber zu lesen. Nur schade, dass die meisten Neuerscheinungen in diesem Jubiläumsjahr (2013) die beiden Herren im Doppelpack abhandeln und zwischen zwei Buchdeckel zwängen. Am besten hat das immer noch Franz Werfel in seinem imaginären und doch sehr realen Roman „Verdi - Roman der Oper“ gemacht, 1924 ist er erschienen. Darin kommt es im Teatro La Fenice in Venedig zu einer kurzen Begegnung zwischen Wagner und Verdi, zu einem Blickkontakt, sehr lesenswert und aufschlussreich, gleich im ersten Kapitel des Romans.

In freier Fantasie nun zum Abschluss der heutigen Musikstunde eine Begegnung von Verdis Maskenball und Wagners Tannhäuser – Wolfgang Molkow am Klavier.
(Diese Aufnahme steht uns hier leider nicht zur Verfügung. Ich erlaube mir stattdesen einen link zu einem Text, der vom Deutschlandfunk am 13.2.2012 gesendet wurde und die beiden Operngiganten einander als Antipoden gegenüberstellt:
https://www.deutschlandfunk. … .html?dram:article_id=232491)

**********er669 Mann
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Ich kann nur DANKE sagen, für die Beiträge zu meinem Lieblingskomponisten.
Erst am vergangenen Samstag habe ich eine fantastische Nabucco-Aufführung in der Wiener Staatsoper miterleben dürfen. *danke*
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Zierau (12)
"Ich sitze hier und atme so viel Luft, wie ich will, habe aber nichts anders zu bewundern als meine Kühe, Ochsen und Pferde und bin Bauer, Maurer, Schreiner, Packesel, wenn’s nötig ist. Darum addio den Büchern, addio der Musik, es kommt mir vor, als hätte ich die Noten vergessen und verlernt“, schreibt Verdi mit 67 an seinen Freund Arrivabene.

Die letzte Oper, die er zu Papier gebracht hat, war "Aida" – 1871, für das Opernhaus von Kairo, ein buntes, großartiges Spektakel mit Massenszenen unter freiem Himmel.

Für den Tenor ist sie eine echte Herausforderung, kaum ist er auf der Bühne muss er nach zwei Sätzen seine einzige große Arie präsentieren: "celeste Aida" – er träumt von kriegerischen Ehren und von der Liebe zu der äthiopischen Sklavin Aida. Es ist ein sehr leiser, introvertierter Gesang, ein Traum, der auf einem hohen b endet, aber nicht im Forte, wie meist zu hören, sondern morendo, absterbend. Jonas Kaufmann macht das auf seinem neuen Verdi-Album ganz bezaubernd schön.



Celeste Aida, die Auftrittsarie des Radames aus Verdis "Aida" mit Jonas Kaufmann und dem Orchester der Oper Parma unter der Leitung von Pier Giorgio Morandi.

Mit der Uraufführung der "Aida" in Kairo, bei der Verdi selbst nicht anwesend ist, manifestiert er nochmals deutlich die Weltgeltung der italienischen Oper und setzt zugleich einen markanten Schlussstrich unter sein Werk. Nein. jetzt will er keine Opern mehr schreiben. Jeden weiteren Auftrag lehnt Verdi entschieden ab.
„Je älter ich werde“, sagt er, "desto mehr habe ich Lust, nichts zu tun. Genau das Dolcefarniente der Italiener“.

Aus einer solchen Muße heraus ist Verdis kammermusikalischer Solitär entstanden, sein einziges Streichquartett. In Neapel wirft er es aus einer Laune heraus zu Papier. Für die Aufführung seiner "Aida" ist er zusammen mit seiner Frau Giuseppina und Freunden angereist, und als dann die beiden Hauptdarstellerinnen erkranken, verzögern sich die Proben. Verdi hat viel Zeit und komponiert Kammermusik. Nach der Premiere der "Aida" lädt er dann Freunde in den Salon des Hotels ein und präsentiert in aller Bescheidenheit seine neue Errungenschaft. „Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, aber ein Quartett ist es!“ so Verdi.

Einmal mehr erweist er sich als lyrischer Komponist, aber im Finalsatz zeigt er mit einer markanten Fuge, dass er sein Handwerk beherrscht, was hat man dem 19-jährigen damals am Mailänder Konservatorium vorgeworfen, er kenne die Regeln des Kontrapunkts nicht. Inzwischen hat er sie gelernt!



Fuge aus dem Streichquartett von Giuseppe Verdi, gespielt vom Hagen Quartett. Sämtliche Kammermusiker sind dankbar, dass Verdi ihnen zumindest eine Originalkomposition hinterlassen hat und sie sich nicht nur mit Bearbeitungen begnügen müssen.
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Zierau (13)
Das Streichquartett ist ein erster Schritt heraus aus dem Dunstkreis der Oper, ein zweiter mächtiger soll folgen, die Messa da Requiem. Verdi schreibt sie für den hochverehrten Schriftsteller und geschätzten Menschen Alessandro Manzoni. Den „Heiligen“, nennt er ihn, Manzoni habe den bedeutendsten Roman der Epoche geschrieben, „I Promessi Sposi“, „die Brautleute“, das sei nicht einfach ein Buch, sondern ein Menschheitstrost.

Also tiefe Verehrung von Seiten Verdis für den großen Manzoni. Den 80jährigen Schriftsteller besucht Verdi den in Mailand. Am liebsten wäre er vor ihm niedergekniet, gesteht er der Freundin Clara Maffei – ein Jahr nach Manzonis Tod tut er es, er kniet nieder, indem er ihm zum ersten Todestag ein grandioses Requiem schreibt, das zu einer der gewaltigsten Messvertonung des 19. Jahrhunderts wird, und das heute ohne Zweifel in einem Atemzug mit den Requien von Mozart und Brahms genannt wird. Daran ändert auch die abfällige Meinung des glühenden Wagner-Verehrers Hans von Bülow nichts, der behauptet, es handle sich um „eine Oper im Kirchengewande“.

Und wer im Tenorsolo, dem Ingemisco, dem Schuldbekenntis und der Bitte um Gnade, wer sich da an der italienischen Schönheit und der Emotionalität stört, dem sei mit dem Wiener Kritiker Eduard Hanslick geantwortet: „Der Italiener hat doch ein gutes Recht zu fragen, ob er denn mit dem lieben Gott nicht Italienisch sprechen könnte“.



Der originale Untertitel der Totemesse lautet „Per l'anniversario della morte di Alessandro Manzoni“ 22. Mai 1874, also zum ersten Todestag des großen Dichters. In der Kirche San Marco in Mailand findet die Uraufführung statt mit einem Priester, der die Messe still zelebriert. Drei weitere Aufführungen feiert man dann in der Scala. Das Requiem braucht keine Liturgie, es steht losgelöst, vollkommen frei.

Giulio Riccordi schickt Verdi mit dem Requiem auf Tournee, nach London, Paris, Wien und zum Rheinischen Musikfest in Köln, wo sich Verdi mit dem deutschen Komponisten Ferdinand Hiller anfreundet. Verdi ist mit dem Erfolg seiner Totenmesse, mehr noch mit seiner künstlerischen Entwicklung sichtlich zufrieden. Dem Librettisten des Don Carlos, Camille Du Locle gesteht er, er sei froh nicht mehr „der Hampelmann des Publikums“ zu sein, „der eine große Trommel schlägt und ruft „hereinspaziert, hereinspaziert“.
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Zierau (14)
In den Opernzirkus möchte Verdi nicht zurückkehren. Aber es ist nun nicht so, dass er sich ganz auf sein Landgut zurückzieht, nein er reist viel und präsentiert an zahlreichen Bühnen seine Werke. Man bedenke Opernregisseure gibt es noch keine, der Komponist selbst kümmert sich um die Aufführung. Verdi tut dies mit Leidenschaft, er ist durch und durch ein Theatermensch. Er überarbeitet die Oper "Simone Boccanegra" und schreibt eine italienische vieraktige Fassung des "Don Carlos" für Mailand.



Jonas Kaufmann mit der Arie des Don Carlos – Ich habe sie verloren – aus der italienischen vieraktigen Fassung der Oper.

Mit Aufführungen seiner Opern, ein paar Korrekturen hier, ein paar Veränderungen dort, so könnte Verdi im 71. Lebensjahr seinen Arbeitsalltag verbringen, wenn nicht, ja wenn nicht sein Verleger Giulio Ricordi einen jungen Mann zu Verdi schicken würde, der den Inspirationsquell des Maestros nochmals anzapfen und den Schaffensgeist Verdis ordentlich durcheinander wirbeln soll. Es ist der um 30 Jahre jüngere Arrigo Boito.

Zunächst ist Verdi skeptisch, gehört Boito doch zur Scapigliatura, einer norditalienischen Künstlergruppe, die sich gegen gesellschaftlichen Konformismus auflehnt und die künstlerische Freiheit, überhaupt eine Erneuerung der Künste, fordert. Außerdem steht sie dem aufkeimenden Verismo, dem italienischen Naturalismus nahe. Dagegen verwehrt sich Verdi ganz entschieden. Berühmt ist sein viel zitierter Ausspruch:

„Das Wahre zu kopieren kann gut sein, aber das Wahre zu erfinden ist besser, viel besser... Das Wahre zu kopieren ist Fotografie, keine Malerei.“

Hinzu kommt, dass Boito ein Anhänger Richard Wagners ist, das kann Verdi nun gerade nicht gebrauchen, und dennoch entwickelt sich zwischen den beiden eine außerordentliche Zusammenarbeit, ja Freundschaft.

Boito hat als Komponist mit seinen Opern "Mefistofele" und "Nerone" keine großen Erfolge erzielt, aber er ist ein brillanter Dichter und Literat und er brennt darauf, für Verdi den "Otello" zu schreiben. Bald schickt er einen ersten Entwurf nach Sant‘ Agata. Doch Verdi hat gerade anderes zu tun – er wird Großvater, Maria Filomena, die Tochter eines Vetters, die er als sieben-jähriges Mädchen adoptiert hat, bekommt ein Kind, ein Mädchen, Giuseppina heißt es. Da passt der "Otello" so gar nicht dazwischen.

Schließlich setzt sich Verdi doch an den Schreibtisch und antwortet Boito, das ist der Beginn eines umfangreichen Briefwechsels, einer außergewöhnlichen künstlerischen Korrespondenz. Verdi erkennt schnell die literarische Professionalität, Genialität seines neuen Partners und Boito weiß als Komponist die Musik zu schätzen, wenn er schreibt: „unsere Kunst – die Musik - lebt von Elementen, die der gesprochenen Tragödie unbekannt sind. Eine zerstörte Stimmung kann man wieder von neuem schaffen, acht Takte genügen, um ein Gefühl wieder aufleben zu lassen, ein Rhythmus kann eine Figur wieder herstellen. Die Musik ist die allermächtigste der Künste“.



VERDI, "Otello" 1. Akt, Duett Otello - Desdemona

Lange Zeit arbeiten Boito und Verdi nur an dem Text des "Otello", ohne dass Verdi auch nur eine einzige Note zu Papier bringt. Sollte das ganze Vorhaben doch noch scheitern?

Die musikalische Initialzündung löst eine Arie aus, die Boito für Jago schreibt. Darin offenbart sich Jago in einem Credo des Bösen – "ich glaube an einen grausamen Gott, der mich erschaffen hat“ – eine blasphemische Parodie auf das liturgische Credo. Boito entschuldigt sich gleich bei Verdi für diesen Text, doch braucht er gar nicht, er hat damit genau ins Schwarze getroffen. Der Skeptiker Verdi beginnt zu komponieren und wählt starke musikalische Ausdrucksmittel, Triller, schrille Klangeffekte, starke dynamische Kontraste – Jago wird zum Inbegriff des nihilistischen Bösewichts.



Lajos Miller mit dem Ungarischen Staatsopernorchester unter Geza Oberfrank mit dem ruchlosen Credo des Jago aus den 2. Akt des "Otello".

Allmählich findet Verdi Gefallen an seinem „Schokoladen-Projekt“, wie er den "Otello" nennt. Zwölf Jahre nach der europäischen Erstaufführung der "Aida" und über 40 Jahre nach seiner frühen Oper "Giovanna d’Arco" erlebt Mailand wieder eine Uraufführung einer Verdi Oper. Schon Tage zuvor werden die Straßen rund um die Scala gesperrt, Mailand im Ausnahmezustand – zweitausend Premierengäste strömen in die Scala, aber eigentlich nimmt die ganze Stadt Anteil. "Otello" wird bejubelt, Verdi gefeiert, die Menschen spannen die Pferde aus und ziehen seine Kutsche zum Hotel. Verdi auf dem Olymp der Popularität. Doch der Trubel wird ihm zu viel, nach der dritten Aufführung flieht er nach Genua.
*******sima Frau
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Manuskriptauszug Zierau (15)
Was fehlt jetzt noch in Verdis Leben – als krönender Abschluss – eine Komödie. Boito schreibt: „Es ist unmöglich besser zu enden… Die Tragödie macht den, der sie schreibt, wirklich leiden, der Geist erduldet eine schmerzliche Suggestion, der die Nerven krankhaft überspannt. Aber der Scherz und das Lachen der Komödie erheitern Körper und Geist – ein Lächeln fügt dem Gewebe des Lebens einen Faden hinzu". Auch Giuseppina ermuntert ihren Mann, als Tragiker habe er alles geleistet, jetzt schulde er der Welt noch eine Buffa.

Wiederum ist Shakespeare der Ideengeber, „die lustigen Weiber von Windsor“ und Boito zaubert einen höchst anspruchsvollen Text mit literarischen Anspielungen von Dante, Petrarca bis hin zur Gegenwartsliteratur – spielerisch werden gesellschaftliche Schranken überschritten, menschlichen Schwächen bloßgestellt, ins Absurde oder Groteske gedreht.

Verdi löst sich von den klassischen Formen, arbeitet mit Versatzstücken und Fragmenten, folgt dem Sprachgestus, gibt dem Orchester eine eigenmächtige Stimme. Und im Laufe der Arbeit schließt er den alten Schwerenöter, den Dickwanst Falstaff ins Herz.



Falstaff über den Verlust des Ehrbegriffs aus dem ersten Akt der Oper. Tito Gobbi hatte hörbar Freude an dieser Rolle. Herbert von Karajan leitete das Philharmonia Orchestra.

Mit "Falstaff" vollendet Verdi endgültig sein Opernschaffen, er ist 79 Jahre alt. Zur französischen Erstaufführung des "Otello" fahren die Verdis ein letztes Mal nach Paris. Verdi wird vom Staatspräsidenten empfangen und erhält die höchste Stufe der Ehrenlegion, das Großkreuz.

In den letzten Lebensjahren verwirklichen die Verdis ihren Plan von der "Casa di Riposo per Musicisti", einem Altersheim für bedürftige Musiker. Häufig fahren sie nach Mailand, um den Bau zu beobachten und voranzubringen. Es wird ihm ein Herzensanliegen, seine schönste Oper, wie er sagt.

Im August 1897 verbringt das Ehepaar Verdi einen letzten Kuraufenthalt in Montecatini. Ein Kurgast berichtet: "Verdi klagt über unerträgliche Zahnschmerzen, hebt häufig die Hand zum Gesicht. Rechts neben ihm seine Frau, Giuseppina Strepponi, 82, immer sorgfältig in schwarz. Viel mehr als dem Gatten ist ihr die Last der Jahre anzusehen. Sie geht mühsam, stützt sich auf seinen Arm."

Im selben Jahr beendet Verdi seine letzten Kompositionen, noch einmal geistliche Musik, die "quattro pezzi sacri". Der Skeptiker, der Kirchenkritiker, der Atheist, wie ihn Giuseppina bezeichnet, vor den Toren des Paradieses.

Er schickt die geistlichen Stücke an seinen Verleger Giulio Ricordi und schreibt: "Der Peppina geht es nicht besser! Ach das ist furchtbar traurig". Einige Tage später, am 14. November 1897 stirbt Giuseppina Strepponi in Sant Agata.

Das "Stabat mater" komponiert Verdi in den Tagen vor ihrem Tod und es wird zu einem Abschiedsgeschenk für seine Peppina. In ihrem Testament schreibt sie "Und nun lebe wohl, mein Verdi. Wie wir im Leben eins gewesen sind, möge Gott unsere Seelen im Himmel wieder zusammenführen."



Der Beginn des Stabat mater mit dem Coro e Orchestra del Teatro alla Scala di Milano unter der Leitung von Riccardo Muti.

Den 85. und den 86. Geburtstag verbringt Verdi noch in Sant‘ Agata, danach wohnt er häufig im Grand Hotel et de Milan, wo er die Nähe Ricordis und Boitos schätzt. Die Wohnung der guten Freundin, der Sängerin Teresa Stolz liegt nur ein paar Straßen weiter. Mit ihr fährt Verdi noch einmal zur Kur nach Montecatini, er geht zur Ernte nach Sant Agata und nochmals nach Genua. Weihnachten 1900 verbringt er in Mailand. Am Morgen des 21. Januar erleidet Verdi einen Schlaganfall und verliert gleich das Bewusstsein.

Ganz Mailand nimmt Anteil an Verdis Sterben. Der Verkehr um das Hotel wird umgeleitet, die Straßenbahnen dürfen nicht mehr läuten, täglich erscheint ein ärztliches Bulletin mit genauen Pulsangaben und Atemfrequenzen. In den Morgenstunden des 27. Januars, 10 Minuten vor drei Uhr, stirbt Giuseppe Verdi. Allein ist er nicht, Teresa Stolz wacht an seinem Bett. Mailand, ganz Italien versinkt in nationaler Trauer, die Geschäfte bleiben geschlossen, alle Fahnen tragen einen schwarzen Flor. Italien hat seinen bekanntesten Repräsentanten verloren.

In seinem Testament hat Verdi sich eine äußerst schlichte Beerdigung gewünscht, ohne Musik und Gesang, dennoch drängen sich rund 200.000 Menschen auf den Straßen, als er auf dem Zentralfriedhof beigesetzt wird. Einen Monat später kann man ihm - nach der Fertigstellung der Casa di Riposo - seinen letzten Wunsch erfüllen und ihn und seine Frau in der Krypta der Casa di Riposo zur letzten Ruhe betten. Arturo Toscanini dirigiert den Gefangenenchor aus Nabucco mit 800 Sängern, Va pensiero...

Für seinen letzten Weg erbat sich Verdi, die Partitur des Te deum aus seinen vier letzten geistlichen Stücken als Kopfkissen in seinem Sarg zu legen, um sie Gott zu überreichen.



Viva Verdi – das war die SWR 2 Musikstunde mit Ulla Zierau zum 200. Geburtstag des Operngiganten Nationalhelden und Bauern.
*******ata Frau
27.814 Beiträge
Gruppen-Mod 
da Guiseppe Verdi Geburtstag hätte,

starte ich das Thema neu -
es zeitlos - so wie Verdis Opern *liebguck*
*********si_59 Mann
1.212 Beiträge
Eine von Enrico Carusos ganz großen Aufnahmen ist die Tenorarie des MacDuff aus Verdis Shakespearevertonung Macbeth. Eingesungen 1916 ist das eine Nebenrolle, die hier allein schon durch die rhythmische Verve aufgewertet wird.
Die Oper gibt es in einer Neuinszenierung im Aalto Essen, deren Premiere großartig war.


****na Frau
23.779 Beiträge
Gruppen-Mod 
Wunderbar, danke @*******ata und vor allem auch an @*******sima für diesen wunderbaren Thread, den ich bislang gar nicht entdeckt hatte.
**********er669 Mann
329 Beiträge
Auch von mir ein aus tiefsten Herzen kommendes Dankeschön, besonders an @*******ata und @*******sima.
Ich hoffe, ich bekomme nochmals in meinem Leben die Chance das Verdi-Reguiem zu singen,, das ich schon so oft singen durfte. Oper wird es wohl nicht mehr sein....
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