Guten Abend ihr beiden
Ich sehe, ihr habt schon gut angefangen und versucht, eine Definition von Esoterik dingfest zu machen. Gerne möchte ich meine zwei Cent Gedanken zur Eingangsfrage und zur Diskussion beitragen.
Ich musste mir auch erstmal Gedanken machen, wie ich Esoterik - speziell in Abgrenzung zur Spiritualität - verstehen will, um auf die von LF suggerierten vier Koordinaten zu kommen. Ich für mich arbeite jetzt erstmal mit:
"Spiritualität - auf eine höhere/tiefere Wahrheit/Weisheit und/oder Transzendentes ausgerichtete Lehrmeinung/Erklärung" (ggf. zu ergänzen mit "mit einem gewissen Wahrheitsanspruch"?) und
"Esoterik - Wissen/Inhalte, die 'extracurricular' bzw. 'nicht für jedermann' (zugänglich) sind".
Somit ist ersteres grundsätzlich erstmal etwas jedermann Zugängliches (jede große Religion, TCM ...), während zweiteres ganz normale Praxis fast aller (mir bekannter) Stile und Meister*innen ist (Stichwort "äußerer Schüler - innerer Schüler" oder auch "Masterclass", "Hacks" etc.). Mit einer Benennung von mittlerweile (!) zugänglichem Wissen als (historisch) esoterisches Wissen im Vergleich zu seit jeher (frei) zugänglichem Wissen kann ich also gut leben. Was haltet ihr von dem Vorschlag zum Weiterarbeiten?
Zur Eingangsfrage:
Ich komme aus der japanischen Richtung (Budo, Bugei) und wie fast alles Fernöstliche, ist auch die "Welt" aus der ich komme, ursprünglich mal dem Buddhismus, Konfuzianismus und Shinto (et. al.) über den Weg gelaufen bzw. in der modernen, deutschen Rezeption (ggf. unwissendlich) mit spirituellen Lehren bzw. Habitus ausgeschmückt worden. Für mich macht auch gerade die Frage nach Moral/Ethik, Haltung, Wert, Weltanschauung (etc.) einen zentralen Unterschied zwischen Kampfsport und Kampfkunst aus. (Disclaimer: ist meine Ansicht, will die Diskussion nicht in diese Richtung (Was ist KK/KS/SV...?) verschieben.)
'Extracurriculares' Wissen (im Sinne der Definition oben) ist mir auch schon oft begegnet (kommt in traditionellen (japanischen) Stilen häufiger vor (Stichwort: Lehrbücher/Maikimono, die "dem Feind" in die Hände fallen könnten und deswegen unvollständig oder absichtlich verfälscht sind), ist mir aber auch selbst in der Gestalt untergekommen, dass (Groß-) Meister*innen aus ihrem Leben, ihrer Erfahrung oder ihrem Beruf ergänzt haben (Osteopathie, Psychologie, Militär ...). Beides sehe ich soweit als normal an. Das Exkludierende, Esoterische daran ist dann die Tatsache, dass diese Infos nicht offiziell, 'hinter vorgehaltener Hand' (beim Seminar in großer Runde
), aber auch abends beim Bier oder wirklich in einer vier bis sechs Ohren Runde "nur" (!) den Anwesenden erzählt werden.
Spannender wird es in den Fällen, wo wir das Thema Energie(arbeit) berühren. Da wird für mich auch mitunter die Grenze zu Esoterik im umgangssprachlichen Sinne (als "nicht der aktuell dominanten, rational-wissenschaftlichen Lehrmeinung entsprechend oder mit dieser vereinbar") überschritten. Und das ist mir auch schon auf verschiedenen Kontineten bei verschiedenen Großmeister*innen verschiedener Stile passiert. Ging es um "Erfrischungsdrinks" durch Energieinfusion selber machen oder um beschleunigte Wundheilung durch Handauflegen oder auch Kappo/Kuatsu-Techniken als Erste-Hilfe-Maßnahmen. Von dem ganzen Bereich der Energiekampftechniken (Meridiane, Farben vorstellen, um Wirkung zu maximieren, verschiedene Kampfschreie) ganz zu schweigen.
Das für mich Interessante daran ist jedoch, dass ich bei einigen dieser Momente oder Erzählungen Effekte selbst gespürt habe, reproduzieren konnte oder mir "zusammenbasteln" konnte (inkl. nachträglicher Verifikation in anderen Kontexten, ohne dass ich gefragt oder es angesprochen hätte), die ich auch bei allem Abzug von (Auto-)Suggestion und anderen psycho-x Effekten nicht zufriedenstellend erkären kann.
Mittlerweile habe ich genug Versatzstücke und Erfahrungen gesammelt, um der Sache ontologisch agnostisch (im Sinne von: mir ist wurscht, ob es das gibt) und pragmatisch ("es hat (ausreichend oft) den prognstizierten Effekt, wenn ich es auf diese Art mache").
Tatsächlich biege ich gerade u.a. auf die Energie-Schiene ab, weil ich glaube, dass sie (selbst wenn es keine Energie im Sinne von Ki o.ä. gäbe) positive Effekte auf meine Techniken und mein Verständnis von Bewegung, Begegnung und Technik haben könnte.
Und wenn nicht, habe ich halt "nur" ein paar interessante (weniger Sci- als Fiction-) Bücher gelesen.