Technische Entwicklungen – Autofokus
Da wir uns zurzeit viel zu Hause aufhalten (müssen), können wir uns vielleicht über interessante technische Entwicklungen in der Fotografie unterhalten. Beginnen wir mit den Autofokus.In den letzten Jahren hat sich die Autofokus-Funktion unserer Kameras sehr stark verändert.
Phasen AF
In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts kamen die ersten Objektive und SLR-Kameras mit AF-Funktion. Aus den anfänglichen Versuchen hatte sich ein Standard herausgebildet, passives AF mit Phasenerkennung. Das funktioniert ähnlich wie der Schnittbildindikator bei einer Analogkamera. Dort ist in der Suchermitte ein Kreis zu sehen, der diagonal geteilt wird. Wenn beide Teilbilder ein Gesamtbild ergeben, ist scharf gestellt. Sind beide Teilbilder gegeneinander verschoben, ist nicht korrekt scharfgestellt. Die Stärke der Verschiebung ist Ausdruck dafür, wieviel die aktuelle Objektiveinstellung vom Schärfepunkt entfernt ist, die Richtung der Verschiebung zeigt an, in welcher Richtung der Schärfepunkt liegt.
Diese Technik hat einige Vorteile. Es genügt (theoretisch), einmal zu messen, damit die Kamera weiß, in welche Richtung und um wieviel korrigiert werden muss. Damit ist der Phasen-AF sehr schnell. Zudem ist er präemptiv, d.h. die Kamera kann bei Continuous AF Bewegungen erkennen (z.B. das Motiv bewegt sich auf die Kamera zu) und den AF entsprechend steuern.
Phasen AF ist (bei höherwertigen Kameras) sehr vielseitig für die unterschiedlichsten Bewegungsformen und Motivarten konfigurierbar.
Die Technik hat aber auch Nachteile. Sie vergleicht Teilbilder, die auf unterschiedlichen Wegen durch das Objektiv gelaufen sind. Je weiter diese Wege auseinander liegen, desto präziser ist das Ergebnis aber desto größer muss die Blendenöffnung sein. Die Messungen verlangen daher eine Mindestöffnung von f5.6 (oder f6.3). Lichtschwächere Objektive lassen sich nicht mehr automatisch fokussieren. Dies begrenzt den Einsatz von Telekonvertern. Hochwertige Messsysteme haben einen oder mehrere Sensoren in der Bildmitte, die bis f8 arbeiten, und es gibt bei einigen Kameras hochpräzise Sensoren, die eine Lichtstärke von f2.8 oder besser voraussetzen.
Das Messfeld ist begrenzt, da die Sensoren in der Bildmitte liegen müssen. Bei Vollformat bedecken die Sensoren ca. 20% des Bildfeldes ab, bei APS-C 30% bis 32%. Die Anzahl der Sensoren innerhalb des Messfeldes wurde immer weiter erhöht, aber das Messfeld ist immer gleich groß geblieben. Die hochsensiblen (f8) oder hochpräzisen (f2.8) Sensoren liegen alle in der Bildmitte. Sie erlauben nur eine Spot-AF-Messung. Schwenke ich aber die Kamera, verändere ich den Abstand zur Schärfenebene. Das hat Auswirkungen auf die Schärfentiefe.
Beispiel: Abstand Kamera – Motiv 2 m und ein 85 mm Objektiv bei Vollformat. Das hat einen vertikalen Bildwinkel von 23,9°. Verschenke ich die Kamera so, dass der Sensormittelpunkt auf den oberen Bildrand des Originalbildes zeigt, verlängert sich der Abstand auf 2,04 m. 4 cm mehr, aber das hat Auswirkungen. Die Kamera stellt also 2,04 m scharf. Dann schwenke ich zurück, der Anstand ist wieder 2 m, und löse aus. Bei 2,04 m beträgt die Schärfenbereich bei Blende 1.4 von 2,02 m – 2,06 m und bei Blende 2 von 2,01 m – 2,07 m. Erst ab Blende 2.8 liegt die wahre Schärfenebene – 2 m – innerhalb der Aufnahme.
Den meisten Fotografen ist die AF-Geschwindigkeit wichtiger als die Präzision. Ein „schneller“ AF ist ein Verkaufsargument. Pentax dagegen hat(te) die Angewohnheit, noch einmal nachzumessen. Das erhöht die Präzision, aber Pentax wurde in vielen Tests für seinen langsamen AF gerügt. Die Ein-Schuss-und-Schluss Technik kann dazu führen, dass das erste Bild einer Serie nicht vollständig scharf ist, besonders wenn der Einstellweg sehr groß ist, z.B. von Nahgrenze auf 10 m.
Einen weiteren Nachteil haben einige Besitzer von lichtstarken Objektiven bereits festgestellt: Front- und Backfokus. Die Messung erfolgt nicht direkt auf der Sensorebene, die AF-Sensoren liegen unterhalb des Sensors auf dem Boden, das Licht wird durch Spiegel abgelenkt. Wenn Toleranzen im Objektiv ins Spiel kommen oder das Messsystem durch Schläge oder Stürze erschüttert wurde, schielt der AF.
Kontrast AF
Kompaktkameras und spiegellose Kameras arbeiten mit Kontrast AF. Am Punkt mit der höchsten Schärfe hat das Bild auch den höchsten Kontrast, da scharfe Konturen stärkere Hell-Dunkel-Übergänge besitzen. Jedes Bild hat aber andere Hell-Dunkel-Übergänge, daher gibt es keinen konstanten „höchsten Kontrast-Wert“. Somit weiß das Messsystem weder, wie weit es vom Schärfepunkt entfernt ist, noch in welcher Richtung (näher, weiter weg) dieser liegt. Die Kamera misst, verstellt den Fokus etwas, misst wieder und arbeitet sich schrittweise an den Schärfepunkt herantasten. Dieses Trial-and-Error ist aufwändig und verlangt Rechenleistung.
Moderne Kameras schaffen bis zu 240 Messungen/Sekunde, sofern die Objektive mitspielen. Zudem ist die Leistung der Kameraprozessoren inzwischen so hoch, dass KI-Routinen eingesetzt werden können. Dadurch liegt die Fokus-Geschwindigkeit inzwischen kaum noch hinter dem Phasen-AF zurück.
Auch DSLRs haben die Vorteile des Kontrast AF entdeckt und setzen ihm beim Liveview ein.
Kontrast-AF hat auch Vorteile gegenüber dem Phasen-AF: er kann praktisch auf dem gesamten Bildbereich angewandt werden. Zudem ist er nicht in der Blende beschränkt, auch Objektive mit Blende f8 oder f11 können automatisch fokussiert werden. Damit sind auch Kombinationen wie ein 5.6/400 Tele mit einem 2-fach Telekonverter möglich. Zudem gibt es keine Front- und Backfokus-Probleme mehr.
Kontrast-AF eignet sich sehr gut für Videoaufnahmen, auch alle DSLRs arbeiten in diesem Modus.
Hybrid AF
In den letzten Jahren werden DSLMs mit Hybrid-AF ausgestattet. Sensorfelder für den Phasen AF werden in den Sensor (Sony-Sensoren) eingebettet, so dass direkt auf der Sensorebene gemessen werden kann. Dadurch entstehen „Lücken“ im Bild, die von der Kamerasoftware interpoliert werden. Canon verwendet stattdessen DPAF, Dual Pixel AF. Jeder Bildpunkt besteht aus zwei Halbpixeln, die für einen Phasen AF verwandt werden können. Lücken, die überbrückt werden müssen, gibt es dabei nicht.
Die Platzierung der AF-Sensoren auf dem Sensor erweitert die Grenzen des Phasen AF. Er ist nicht mehr nur auf die Mitte des Bildes beschränkt, sondern kann ca. 90% abdecken. Auch können kleinere Blendenwerte fokussiert werden. Sony gibt an, dass der AF für die aktuellen a7 und a9-Systeme bis Blende f16 arbeiten würde. Das ist wichtig bei Continuous AF. Bei 20 B/s wird nicht zwanzigmal pro Sekunde die Blende auf und zu gemacht, die bleibt zu. Im elektronischen Sucher merkt man das nicht, der bleibt hell; nur der Phasen AF muss bei Arbeitsblende messen.
Sensor-Phasen AF ist auch empfindlicher. Für die Messung stehen 100% des einfallenden Lichts zur Verfügung. Bei DSLRs wird das Licht in einem teildurchlässigen Spiegel geteilt, damit stehen dort nur 40% des Lichts für die Messung bereit (der Rest geht in den optischen Sucher). Canon gibt für die EOS R einen AF-Arbeitsbereich bis LW -6 an (EOS 5D Mark IV -3, EOS 1Dx Mark III -4).
„Eigentlich“ sollte Hybrid-AF keine Front- und Backfokus-Probleme haben. Bei Canon ist das so. Nikon bietet bei seinen Modellen Z 6 und Z 7 die Möglichkeit einer AF-Feinabstimmung – wozu auch immer.
Sobald die Lichtsituation die neuen Grenzen des Sensor-Phasen AFs überschreitet, oder für Videos, schaltet die Kamera auf Kontrast AF um.
Panasonic hat mit DFD eine eigene Hybridtechnik, die in Konkurrenz zu Canons DPAF steht, aber genaue Kenntnisse des Objektivs verlangt. Sie funktioniert daher nur mit Panasonic Lumix-Objektiven.