Und was soll das im Alltag?
Dazu mal eine wahre Geschichte (von einem Freund), die deutlich macht, wie wichtig das sein kann:Damals war er mit zwei Freunden per Anhalter auf dem Weg nach Südfrankreich unterwegs. Nachts schliefen sie draußen, und Autobahnraststätten und Campingplätze nutzten sie, um sich zu waschen und mal etwas Warmes zu essen. Und nun erzählt er selbst:
Eines Abends beschlossen wir, uns nach einem regnerischen Tag mit wenig Mitfahrgelegenheiten zum Trost ein richtig gutes Essen in einem Restaurant zu gönnen. Als wir in ein schönes, noch relativ leeres Restaurant eintraten - abgetragene Jeans und lange, wilde Haare - und noch etwas unschlüssig herumstanden, um einen geeigneten Tisch auszusuchen, kam uns ein älterer Herr entgegen, der sich bald als Besitzer des Restaurants erwies.
Die Art, wie er auf uns zuschritt, ließ schon erahnen, dass es ihm nicht darum ging, eine Bestellung aufzunehmen. „Tut mir leid“, sprach er uns freundlich an, „ich sehe, ihr seid hungrig und würdet gerne in meinem Restaurant zu Abend essen. Ich möchte euch aber bitten, euch ein anderes Restaurant zu suchen, und zwar nicht, weil ich etwas gegen euch habe. Ich bin selbst in meiner Jugend ähnlich durch die Welt gezogen wie ihr. Aber wisst ihr, meine Gäste, von denen viele zu meinen Stammkunden zählen, legen Wert auf ein gewisses Ambiente, und es gibt sicherlich einige, die an Eurem Äußeren Anstoß nehmen würden. Ihr kommt sicherlich nur dieses eine Mal hierher, ich aber bin angewiesen auf meine Stammkunden und möchte sie deshalb nicht verlieren. Deshalb wäre ich Euch dankbar, wenn Ihr wo anders essen geht.“
So ungefähr sprach er uns an, und ich muss sagen: In jener Zeit konnte ich recht schnell ziemlcih allergisch und wütend auf alles reagieren, was in meinen Augen Ausdruck engstirnigen Spießertums war (das kennen wir auch aus unserer Gruppe, nicht wahr?). Und was wir jetzt erlebten, hätte mit Leichtigkeit eine allergische bzw. sehr zornige Reaktion bei mir auslösen können, denn da war es doch wieder: dieses engstirnige Reduzieren des Menschen auf seine Kleidung und sein Äußeres. Und nur deshalb sollten wir hier nicht essen dürfen??? Ja, wo sind wir denn???
Aber die Art, wie er mit uns sprach, signalisierte uns Wertschätzung und Verständnis und hatte nichts Herabsetzendes! Er verletzte und kränkte uns nicht! Er sah nicht auf uns herab! Er wa rauch mal einer wie wir gewesen. Und gleichzeitig klärte er uns auch noch über seine Bedürfnisse und Beweggründe auf. Das wirkte.
Die Tatsache, dass ich mich heute noch an diese Begebenheit erinnere, zeugt davon, wie sehr mich sein Umgang mit „singenden Drachen“ beeindruckt hat. Obwohl wir zunächst in dem Moment, in dem er auf uns zugekommen war, in Habachtstellung gegangen waren, hatten wir aufgrund seiner Art, mit uns gewaltfrei zu kommunizieren, ein Einsehen und verließen zwar enttäuscht, aber auch verständnisvoll das Lokal.
Im Grunde hat mir dieser Lokalbesitzer viel mehr gegeben, als wenn er uns ein wohlschmeckendes Abendessen serviert hätte - dieses hätte ich schon längst vergessen. So hab ich sehr viel für mein Leben gelernt - und etwas Entscheidendes begriffen.
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Möge Euch diese Begebenheit, von einem Freund erzählt, auf unterhaltsame und verständliche Weise genau das verdeutlichen, was ich Euch gerne vermitteln möchte.
Natürlich hätte nicht jeder so reagiert wie mein Freund und seine Kumpels. Hier in der Gruppe kommt es in ähnlichen Situationen immer wieder mal zu Reaktionen, die anders sind.
Manche wären womöglich höchst empört gewesen, hätten sich trotz der freundlichen und wertschätzenden Ansprache sofort angegriffen gefühlt (weil sie sich fast immer gleich persönlich angegriffen fühlen) - doch das ist eine ganz andere Geschichte. Darauf kommen wir zurück beim folgenden Thema: "Empfindlichkeit".
Denn nicht jeder angesprochene "Drache" dieser Welt kann mit gewaltfreier Kommunikation auch angemessen umgehen, nicht jeder hat es gelernt (aber es macht trotzdem vieles leichter und stressfreier)! Und viele fühlen sich, wenn etwas an ihnen kritisiert wird, gleich als Mensch in ihrer Gesamtheit fürchterlich herabgesetzt und angegriffen ... was rein sachlich betrachtet nur lächerlich und unsinnig ist, aber eben auch seine Hintergründe hat. Und die wollen wir dann später gemeinsam betrachten und diskutieren.
Jetzt seid Ihr alle erstmal dran - ich freue mich auf rege Beteiligung ...
(Der Antaghar)