Die Grenze zwischen Tantra und Nicht-Tantra hängt im Wesentlichen von der inneren Haltung ab. Weil die innere Haltung aber weit weniger offensichtlich ist als die äußere Handlung, ist der Wert von Tantra so schwer zu vermitteln, gerät Tantra so leicht in Verruf und ist die Grenzziehung so schwierig.
Grob von außen betrachtet, lässt sich feststellen: Alle sind nackt, bei der Massage fasst man sich zwischen die Beine, bei bestimmten extremen Ritualen hat man Sex. Das lässt sich ja nicht abstreiten.
Wer ein gut angeleitetes tantrisches Ritual noch nie erlebt hat, kann diese äußeren Tatsachen nur mit seinem eigenen bisherigen Erfahrungshintergrund verbinden, also damit, wie es ist, mit anderen zusammen nackt zu sein oder sich zwischen die Beine fassen zu lassen. Das führt zwangsläufig zu Vorurteilen und falschen Vorstellungen. Was man in einem tantrischen Ritual erlebt, lässt sich zwar in Worten beschreiben, aber letztendlich nicht wirklich durch Worte vermitteln, weil es sich auf der Gefühlsebene abspielt. Das ist mit allen Gefühlen so. Wie kann man jemand, der noch nie verliebt war, vermitteln, wie sich das anfühlt?
Auch bezüglich der Frage, die hier diskutiert wird, stehen wir vor der Schwierigkeit, uns nicht von der so offensichtlichen äußeren Handlung beeinflussen zu lassen. Da hält man dann bei grober Betrachtung Gang Bang und Chakra Puja Ritual für ziemlich ähnlich.
Eine tantrische innere Haltung bedeutet zum Beispiel: Ich bin mit meinem Körper liebevoll verbunden. Wenn ich gebe, gebe ich. Ich nehme mein Gegenüber als einen liebenswerten Menschen war, achte seine Grenzen, oder verehre sie oder ihn sogar auf einer spirituellen Ebene als Stellvertreter des Weiblichen oder Männlichen. Aber das sind eben Versuche, etwas in Worte zu fassen, das nicht beschrieben werden kann, sondern erlebt werden muss.
Um eine tantrische innere Haltung und Veränderungen auf der Gefühlsebene zu erreichen, braucht man einen geeigneten äußeren Rahmen, Vorbereitungen und Zeit. Der äußere Rahmen ist dadurch gegeben, dass man die manchmal belächelten Vokabeln wie Lingam und Yoni benutzt, dass man Lunghis trägt, dass der Raum und das Rituallager geschmückt sind, usw. Wie der äußere Rahmen die innere Haltung beeinflusst, sieht man z.B. an Hochzeiten oder Beerdingungen. Zu den Vorbereitungen gehören Atemübungen, Meditationen oder Tanz. Und weil es Zeit kostet, bis sich die innere Haltung tiefgreifend verändert, können bestimmte tantrische Rituale nicht in eintägigen Seminaren stattfinden.
Diese äußeren Aspekte, die die innere Haltung beeinflussen, können herangezogen werden, um Tantra von Nicht-Tantra abzugrenzen. Und es ist meiner Auffassung nach auch notwendig, auf diese Dinge zu achten. Leider ist es aber so, dass damit eine tantrische Grundhaltung nicht garantiert ist. Denn es ist eben eine innere Haltung.