Differenzierung
Hallo Dominik,
eine Differenzierung ist natürlich richtig und wichtig, hätte den ohnehin schon zu langen Beitrag von mir gesprengt und ist mir auch vor Augen. Aber die Gesellschaft und das Publikum im Sinne meines Beitrages sind wir. Da gibt es nichts zu differenzieren. Denn diese Gesellschaft haben wir mitzuverantworten. Die einen mehr, die anderen weniger. Allerdings war Reich-Ranickis Ablehnung eine Ablehnung, die den gesamten Apparat des Fernsehens mit seinem in der Sendung quergeschnittenen Niveau betraf. Auch er hat wenig differenziert, sondern Partei gegen den Werteverfall in den Unterhaltungsmedien und dem TV im Speziellen ergriffen. Das Problem und das unterstelle ich Herrn Reich-Ranicki, dass er das impliziert hat in seine Kritik, liegt viel tiefer.
Zu welcher Klientel der Konsumenten man sich letztendlich zählt muss jeder selbst wissen. Das Fernsehen als solches betrachte ich aus der gleichen Sicht wie Pornos, Comics, Fachpresse, Tagespresse, Schmierenjournalismus und investigativen Journalismus. Ich muss wissen, was ich damit anfangen kann, wo der Wahrheitsgehalt liegt, welche Zielgruppe befriedigt werden soll, wer welche Interessen damit verfolgt und wer diese Information bezahlt und in Auftrag gegeben hat. Letzteres ist besonders wichtig. Es gibt keinen Sinn gegen das Fernsehen alleine zu schimpfen. Das war die Quintessenz meines Postings. Es ist der Umgang mit der Information, mit Unterhaltung, mit Wissensvermittlung. Unsere Informationgesellschaft erzeugt im Moment mehr Informationen als es Ereignisse gibt. Inflationäres Handeln mit Informationen ist das, was uns entmündigt, wenn wir nicht aufpassen und uns in den passiven Konsum drängt. Das ist vom Fernsehen vollkommen losgelöst. Wer macht sich schon Gedanken darüber, dass Presse- und Informationsfreiheit laut Artikel 5 des Grundgesetzes nur auf dem Papier steht? Nur die, die sich damit beschäftigen, wissen, dass Burda, Gruner & Jahr und Springer fast unsere gesamte Medienwelt im Griff haben? Hier wird Politik gemacht. Nicht im Fernsehen, das ist nur eine Facette, nur ein Werkzeug. Nur einem unabhängigen Grossosystem als ein Beispiel für den Zeitschriftenvertrieb ist es zu danken, dass nicht nur Landlust, Bild der Frau, Spiegel der Frau, Praline, Fokus, Stern und Spiegel in den Regalen stehen. Und das funktioniert auch nur, weil für diesen Vertriebsweg die Marktwirtschaft ausgeschaltet wurde. Aber selbst dieses gut erdachte System krankt, wenn der Input bereits gleichgeschaltet ist. Wer weiß, dass 20 neue Zeitschriftentitel pro Woche erscheinen und genauso klanglos wieder verschwinden? Hier entscheidet der Käufer, das ist abrechenbar. Es ist seltsam, wie der Käufer sich entscheidet. Keiner liest die Bild und sie verkauft sich wie geschnitten Brot, wenn auch mit stark sinkenden Absatzzahlen.
Im Fernsehen gibt es das alles nicht. Erst recht nicht bei den öffentlich-rechtlichen. Schleichwerbung, tendenziöse Berichterstattung und Zensur sind an der Tagesordnung. Und wenn es nur durch das Weglassen von Zusammenhängen ist. Die Entmündigungsversuche des Zuschauers gehen von der Schaffung von Plattformen für jede verbale Inkontinenz jedes beliebig unwichtigen Politikers in der Tagesschau über das Befragen von selbsternannten Experten zu jedem x-beliebigen Thema bis zu verantwortlungsloser Stimmungsmache. Ich rede jetzt nur vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen, was jeder von uns finanziert und trotzdem im Vorabendprogramm mit Werbung belästigt wird. Wer von Werbung lebt, wenn auch nur in Teilen, der ist nicht unparteiisch und es ist ein Staatsfernsehen, welches den Doktrin unseres Staates unterliegt. Es ist damit auf keinen Fall unabhängig. Darin gibt es an sich nichts auszusetzen. Man muss es nur wissen und beachten.
Das Fernsehen verdient Kritik, so wie die Presse, der Rundfunk, das Internet. Als Pauschalkritik, auch aus dem Munde eines Reich-Ranickis, ist sie wirklungslos, aber medienwirksam. Es ist ja auch nichts passiert. Oder habe ich etwas übersehen? Es gibt auch hier nur einen Regelmechanismus:Geld. Wo Geld, sehr viel Geld, im Spiel ist, sind Ethik, Moral und Werte außen vor. Das liegt in der Natur der Dinge. Es bleibt uns nur der Selbstschutz der eigenen Medien- und Informationskompetenz. Und die fängt bereits damit an den Kinder zu zeigen, wie man mit Informationen aus dem Internet umgeht und sie nicht nur verbietet.
Es gibt auch positive Entwicklungen. Wie das Projekt Zeitschriften in die Schulen, um die Lesekompetenz wieder zu fördern. Im Gegenzug predigen selbsternannte Gurus den Niedergang des geschriebenen Wortes, statt sich dafür stark zu machen. Der wenig tiefgründigere Konsument wird sehr schnell vor den Fernseher gedrängt. Das ist bequem, hat den Anstrich von Kompetenz und ersetzt für viele das Gespräch mit anderen Menschen. Das Fernsehen ist vor dem politischen Problem ein soziales, welches mit der Bildung beginnt. Die Grundidee als solche hat die Welt verändert, leider auch das menschliche Urteilsvermögen.
Trotzdem fand ich den Auftritt von Herrn Reich-Ranicki in Ordnung. Er hat wenigstens die Stirn geboten, schon alleine um mit sich selbst im Reinen zu sein. Das rechne ich ihm hoch an. Nicht mehr und auch nicht weniger. Ich scheue mich nur davor das überzubewerten, weil mir der Glaube an eine Veränderung dieses millardenschweren Geschäftes fehlt. Der Staat nimmt uns durch die GEZ als Beispiel das Recht uns für oder gegen einen Rundfunk/Fernsehen dieser Ausprägung zu entscheiden in dem wir ihn sponsern müssen. Die Privatsender arbeiten quotenorientiert und fälschen diese nach Belieben um die Werbeeinnahmen zu maximieren. Das gleiche Konzept, wie das Anzeigengeschäft in der Presse. Dazu kommt die Hörigkeit der privaten Unterhaltungsmacher bezüglich der US-Medienlandschaft. Wir sind doch oft nur der Second-Hand-Laden.
Zum Schluss gebe ich dir auf jeden Fall recht, dass ein Rückzug ins Private nicht das Ziel sein kann. Man muss nur wissen, wo man sein Pulver verschießt. Wir werden das Fernsehen als solches nicht ändern, weil keiner der selbstgefälligen Macher irgendeinen dahergelaufenen Menschen mit gesundem Menschenverstand zuhören wird. Aber wir können unsere Konsumgewohnheiten ändern und die fangen mit Medienkompetenz an.
Herzliche Grüße
Hendrik