Berufsethos im "Gewerbe"?
Ich möchte unsere Forumsmoderation schon vorab um Generaldispens bitten - denn dieser Beitrag wird SEHR lang... aber die Komplexität des Themas erfordert eine gewisse Ausführlichkeit. Sexgewerbe und Berufsethos -
Das scheint in den Augen vieler Zeitgenossen ein Widerspruch in sich zu sein.
Sexworking wird gleichgesetzt mit "Abzocke" , "kriminellem Umfeld" , Abwertung der Person der Frau, entwürdigenden Arbeits- und Lebensumständen uvm.
Kann eine Frau noch ein Gefühl für persönliche Würde und Integrität haben, die freiwillig und bewusst DIESEN Job ausübt? Wenn ich im privaten Umfeld diese Frage mit JA beantwortet habe, bin ich zunächst auf pures Unverständnis gestoßen. So erst vor Kurzem im Gespräch mit einer guten Bekannten aus dem näheren Umfeld meiner Partei. Als die Diskussion sich festgefahren hatte, fiel mir ein Brief ein, den ich vor Jahren meinem besten Freund geschrieben hatte. Er hatte meinen Einstieg ins Metier mit erlebt und sagte mir eines Tages: "Wenn Du auch irgendwann diesen resignierten Zug um den Mund bekämst, den so viele Frauen dieser Profession haben, wäre ich sehr traurig." Dieser Satz hat mich damals tief berührt und ich habe intensiv über meinen Standort nachgedacht. Und ihm geschrieben. Diesen Brief hatte ich noch - und als ich ihn meiner Bekannten zeigte, sagte sie - nach einer langen und sehr nachdenklichen Pause: "Das ist schlüssig." Ich stelle diesen Brief hier zur Diskussion - mit dem Wunsch, ein Gespräch anzustoßen, das über die üblichen "Toleranzäußerungen" wie :"natürlich ist es DEINE Sache, was Du mit deinem Leben anfängst" oder "naja, von irgendwas muss man ja leben" hinausgeht. Ich wünsche mir ein ECHTES Gespräch - vor Jahren saß die Betreiberin eines Bordells im "Nachtstudio" des ZDF zusammen mit der Vertreterin einer christlichen Frauenorganisation und noch zwei Leuten, deren Funktion mir entfallen ist. DAMALS ist die Chance zu einem ernsthaften Gedankenaustausch verpasst worden - vielleicht bietet sie sich ja jetzt und hier. Denn ich glaube, dass es ein großes Bedürfnis nach Intimität gibt - aber sie sollte nicht allzu verbindlich sein....
Hier also der Brief:
"lieber ...
was gibt uns unsere Würde? Letzten Endes können wir das nur selbst.
Es kann die Ehre dieser Welt dir keine Ehre geben.
Was Dich in Wahrheit hebt und hält, muss in Dir selber leben.
schreibt Theodor Fontane. Als ich klein war, hat mir eine Klassenkameradin diesen Vers ins Poesiealbum geschrieben - und ich glaube, wenn sie heute wüsste, in welchem Zusammenhang ich daran denke, würde sie sich wundern.
Ich glaube, dass vielen Menschen die Selbstachtung abhanden kommt, wenn sie das Gefühl haben, überflüssig zu sein. Wenn sie den Eindruck haben, dass sie niemand will. Oder wenn sie merken, dass sie auf eine bestimmte Funktion reduziert werden.
Bei den Profi-Frauen mit dem traurigen resignierten Zug um den Mund ist es so. Ich habe darüber nachgedacht - und ich glaube, dass es daran liegt, dass sie zu früh angefangen haben - sei es aus der Not heraus, oder aus Phantasielosigkeit oder weil man sie dazu gezwungen hat. Und wenn eine Frau glaubt, nichts anderes bieten zu können als diese kleine Münze, den schnellen Sex - dann wird sie eben traurig und resigniert.
Deswegen träumen ja die vielen kleinen Mädchen im Gewerbe im Grunde ihres Herzens immer noch vom bürgerlichen Leben, von der Kleinfamilie und dem eigenen Häuschen und von dem Mann der sie aus ihrem Job erlöst. Und deswegen gehen so viele von ihnen irgendwelchen windigen Typen auf den Leim die sie
dann ausnutzen. Und die meisten von ihnen sind nicht Herrin ihrer selbst. Sie können nicht frei über sich verfügen. Wenn man sehr jung ist läuft man leicht in diese Falle hinein, glaube ich. Und wenn man dann keine Reserven in sich hat - kein Wissen, keine Bildung, keine Sehnsucht nach Transzendenz - dann wird man so.
In einem Metier, das den einzelnen Menschen zu einer Sache reduziert, wird man sehr schnell so.
Aber in wieweit unterscheidet sich denn da noch das
Rotlichtmilieu von anderen Wirtschaftszweigen? Überall wird der Mensch doch nur noch zum Kostenfaktor reduziert und im Grunde überflüssig gemacht. Und es braucht viel Kraft und Stehvermögen um hier gegenzusteuern.
Du wirst es vielleicht nicht glauben - aber als ich noch bei Radio xxxxx(Name aus rechtlichen Gründen getilgt . d.Verf.)
war und jeden Tag in mehr oder weniger unverhüllter Form zu hören bekam, dass ich eigentlich überflüssig sei und mich doch hinscheren solle wo der Pfeffer wächst, hatte ich weniger Selbstachtung als heute, wo ich für das was ich tue, immer wieder positive Rückmeldung bekomme - nicht von den Männern, die selber einen Teil von ihrer Vitalität eingebüßt haben, sondern von den anderen. Den Träumern, den Sehnsüchtigen, den Komplizierten... wenn
nicht diese verdammten Geldsorgen wären, würde ich sagen, dass ich heute zufriedener bin als vor fünf Jahren.Ich trete ihnen gegenüber als ihre Herrin - die Frau der sie dienen dürfen, die ihnen eine strenge aber liebevolle Gebieterin ist - aber auch eine Frau, die ihnen Zärtlichkeit und Geborgenheit schenken kann. Und die Tatsache, dass ich das kann und darf -
macht einen Teil meiner Würde und Integrität aus.
Lieber Freund und Herr... Du sagst mir, ich solle um meinetwillen meine Selbstachtung bewahren. Das will ich. Und ich glaube dass ich das kann - und dass ich es kann, verdanke ich auch Dir. Du hat mir einmal gesagt, ich verstünde es, mich zu schenken. Dieses Wort bewahre ich in meinem Herzen und
meiner Seele wie eine Kostbarkeit. Danke lieber Freund."