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Der letzte Wille, oder doch nicht?

********e_20 Mann
23 Beiträge
Schwieriges Thema, wenn man selbst davon betroffen war oder ist.

Ich kenne mich in der holländischen Rechtsprechung diesbezüglich nicht aus. Nur ist im Gegensatz zu Deutschland Sterbehilfe einfacher und wird bei mehrfach geäußertem Wunsch nicht als strafbar angesehen.

Im Fall hier würde ich aber von einem klarem Dilemma sprechen. Einerseits gibt es den schriftlich geäußerten Willen, der dann aber durch den geäußerten Willen und Wunsch und durch die Handlung überholt wird.
Nur ist dann die berechtigte Frage, wann gilt der Wille der Person nicht mehr? Wann kann man feststellen, dass ein Mensch keinen eigenen Willen bilden kann. Das sind alles ganz heikle Themen.
Aus vielen Fällen ist meine Erfahrung, die meisten Ärzte haben wenig bis keine Ahnung über die rechtliche Tragweite ihres Handels oder Nichthandels. Rechtliche Ausführungen sind für sie ein rotes Tuch, dass sie in ihren Entscheidungen einschränkt. Ein Arzt hat selber zu mir gesagt, bevor er den Job wechselte, als Arzt steht man entweder mit beiden Beinen im Gefängnis oder die Berufshaftplflicht kündigt einem.
Bei Weiterbildungen in der Palliativmedizin sind die Damen und Herren in Weiß gelangweilt und genervt, wenn die Juristen kommen. Und die umgekehrt ähnlich. Da trifft eine göttliche Berufsgruppe auf die andere. Der Leidtragende ist der Patient.
Daher ist es immer ein riesiges Problem, wenn der Moment einer Patientenverfügung eintritt.
****Tat Mann
1.370 Beiträge
Zitat von ****see:
@****Tat, bedeutet das
"Die Freiheit, den eigenen Willen festzulegen, schließt die Freiheit, sich zu irren, mit ein"
Dass man seinen Wunsch nicht revidieren darf? Dass z. B. Auch eine Berufswahl bedeutet, den Beruf nicht ändern zu dürfen oder dass sich eine Scheidung verbietet?

Meine persönliche Überzeugung ist, dass unser Leben aus einer Auseinanderreihung von Modifikationen besteht, ohne dass eine Einzelentscheidung als Fehler oder Irrtum bewertet werden muss, sondern einfach nur als nicht mehr aktuell.
Nein, so war das nicht gemeint. Es bedeutet, dass Freiheit der Entscheidung immer auch ein Wagnis ist und die Notwendigkeit beinhaltet, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen.
Wer sich früh für eine Situation in der Zukunft entscheidet und die Verantwortung auf einen Mitmenschen delegiert, muss dann auch dessen Entscheisung akzeptieren. Das Dilemma der Entscheidung der tatsächlichen Entscheidung löst man damit nicht auf. Aber der Angehörige kann sich zumindest trösten, dass der Demente sich darüber im Klaren war und mir als Betreuungsperson diese Abwägung zutraute. Das Dilemma wird nicht gelöst, aber der Entscheider wird moralisch gestärkt.
****ti Frau
928 Beiträge
Meiner Mutter ist genau das passiert.

Das Gesetz hat es zu dem Zeitpunkt nicht erlaubt ihren Wunsch zum Sterben zu erfüllen. Ein zwei Jahre später konnte sie sich an nichts davon erinnern und wollte es auch nicht mehr.

Diese 1771 Tage als pflegende Angehörige hat mich einiges gelehrt - nämlich, dass nichts vorhersehbar ist!
Generell stellen Krankheiten der Seele und des Gehirns einen besonders komplexen Sonderfall im Kontext der Sterbehilfe dar. Die Schweiz und die Niederlande praktizieren diese schon einige Jahrzehnte und veroeffentlichen dazu auch Statistiken. Letztlich machen solche Faelle auch nur einen sehr kleinen Anteil aus. Zudem unterliegen sie einer strengen Ueberwachung und noch mehr Formalien als z.B. bei Krebserkrankungen ueblich.
Bis alle Bedingungen erfuellt sind, vergehen z.B. in der Schweiz oft Monate bis Jahre. Die Patienten sind zwischendrin haeufig auf natuerlichem Wege verstorben. Generell wird unterschaetzt, was palliativ heutzutage alles moeglich ist. Gute Palliativmedizin nimmt dem letzten Weg viel von seinem Schrecken und macht Sterbehilfe im besten Fall obsolet.
****Dr Mann
1.513 Beiträge
Wow, @****mi, ein tolles Thema. Und eines, welches sehr (also schon: SEHR) delikat ist.
Ich würde mich dem über den Begriff der "Person" nähern. Dazu ein kleines Gedankenexperiment.
Man stelle sich vor, Aliens könnten in unsere Hirne einmarschieren, den bisherigen "Bewohner" irreversibel zerstören und hätten dann die volle Kontrolle über den Körper.
In solch einem Fall würde vermutlich jeder sagen, dass es OK ist, den Körper von Hans zu töten, denn die Person "Hans", der dieser Körper mal gehörte, ist nicht mehr. Und das Tötungsverbot gilt (denke ich) gegenüber der Person.
Wir drehen die Schraube etwas weiter: Ein neues synthetisches Rauschgift wird entwickelt und erfreut sich großer Beliebtheit. Die Hauptnebenwirkung wird erst nach vielen Räuschen offensichtlich: Totaler Persönlichkeitsverlust. Die armen Opfer vegetieren nur noch, können sich nicht mehr äußern, sind zu keiner intentionalen Handlung mehr fähig, nicht einmal essen oder trinken. Entsprechende Untersuchungen zeigen, dass das komplette Großhirn ausgeschaltet ist. Offenkundig irreversibel.
Wie würde man in einem solchen Fall mit der Sterbehilfeverfügung von Hans umgehen?
Ich würde sagen, dass die Person Hans, ähnlich wie im Alien-Fall, unwiederbringlich tot ist. Und Sterbehilfe somit zumindest nicht verboten ist.
Aber jetzt wird es schwierig: Wenn "Hans" tot ist, warum dann seinen Körper töten? Welchem berechtigtem Wunsch von "Hans" kommt man damit nach? Es ist ungefähr auf der Stufe wie "Ich wünsche mir eine Seebestattung".
Jetzt kommt der letzte Dreh.
Hans hat nicht die Drogen genommen, sondern ist dement geworden. Die Person "Hans", die einmal da war, ein musisch begabter Mensch, vielseitig interessiert, Hobbyschachspieler etc. ist nicht mehr da. Man könnte sagen ist "<tot>". Aber heißt das, dass da jetzt auch keine andere Person mehr ist? Mit einem Recht zu leben? Diese neue Person, nennen wir sie "Hans D.", ist vielleicht nicht so differenziert und sozial und lebendig wie "Hans", aber sie genießt ebenfalls das Recht, als Person anerkannt zu werden. Und damit das Recht zu leben.
Sehr hart gesprochen könnte man sagen, das "Hans" seinen Willen ja bekommen hat, er ist "<tot>". Und über "Hans D." hat "Hans" nicht zu entscheiden.
Meine Antwort wäre also: Kann man (besser: muss man) dem Bewohner des Körpers von "Hans" noch eine personale Identität zusprechen?
Wenn sicher nein (wie im Alienfall und im Drogenfall), sollte die Tötung erlaubt sein. Ob sie geboten ist, steht auf einem anderen Blatt (bei Fremdgefährdung, die anders nicht zu unterbinden ist, denke ich, dass ja).
Wenn sicher ja, dann stellt sich die Frage, ob es um die Person geht, die die Verfügung aufgesetzt hat ("Hans") oder eine andere (Hans D.). Im ersten Fall gilt die moralische (!) Verpflichtung zur Sterbehilfe (oder auch zur "Tötung auf Verlangen", nicht juristisch, sondern als ethisches Konzept), im anderen Falle das Gegenteil.

Aber natürlich gibt es viele Graustufen, die noch ausgeleuchtet werden können. Und viele Dinge, die man anders sehen kann.
Tja, wenn es denn so einfach waere... 1 und 0... Hans und nicht Hans... oder vielleicht doch noch ein bisschen Hans und der Rest Haenschen ? In diesen Kategorien denken Juristen auch eher nicht. Und die sind es letztlich, die den Angeklagten freisprechen oder ins Gefaengnis stecken. Da ist es doch am einfachsten, von Toetung auf Verlangen Abstand zu nehmen, wenn der Delinquent nicht sicher geschaefts- bzw. entscheidungsfaehig ist.
Frueher oder spaeter sorgt Mutter Natur eh fuer gnaedige Erloesung. Und bis dahin bekuemmern wir uns best moeglichst um den Patienten.
Falls es jetzt um das Verfassungsgerichtsurteil von 2020 geht, dann haben wir da eine andere Qualität. Es geht da um das grundsätzliche Recht einer freien Entscheidung (auch ohne Indikation).
Bei der Bewertung, wann noch lebenswertes Leben vorhanden ist, dann geht es um Euthanasie.

Die Eingangsfrage war, so wie ich es verstanden habe, ob der schriftlich verfügte Wille dem späteren, kognitiv beeinträchtigten Willen, übergeordnet ist. Es ging darum, ob eine dement Person einen abweichenden Willen rechtsverbindlich äussern kann und den damit zuvor schriftlich verfügten Willen aufhebt.
*******llie Frau
1.981 Beiträge
Zitat von ****see:
Bei der Bewertung, wann noch lebenswertes Leben vorhanden ist, dann geht es um Euthanasie.

Ich könnte doch jetzt , bei klarem Bewusstsein, explizit in einer entsprechenden Verfügung, benennen, was genau "nicht mehr lebenswertes Leben" für mich bedeutet. Beispiel: wenn ich gefüttert, gewaschen, gewickelt werden muss und wenn ich mich noch dazu nicht mehr artikulieren kann, wäre das für mich ganz klar ein Zustand, in dem ich nicht mehr weiterleben wollen würde - definitiv. Ob ich dann Demenz habe oder nicht, ist dabei ziemlich nebensächlich. (ist das jetzt knapp am Thema vorbei? *nachdenk* )
****Dr Mann
1.513 Beiträge
@****ksy & @****see: Wir müssen sehr sauber zwischen der ethischen und der juristischen Dimension unterscheiden. Ich habe die Fragen der TE als auf der ethischen Seite liegend interpretiert (und kann mich da getäuscht haben).
In diesen Kategorien denken Juristen auch eher nicht. Und die sind es letztlich, die den Angeklagten freisprechen oder ins Gefaengnis stecken.
Das ist mir klar. Weshalb es so wichtig ist, zu diskutieren (und das eben auf philosophischer oder religiöser Basis), um einen Konsens zu finden, der dann Rechtsform erlangen und das Denken der Juristen leiten kann.
Da ist es doch am einfachsten, von Toetung auf Verlangen Abstand zu nehmen, wenn der Delinquent nicht sicher geschaefts- bzw. entscheidungsfaehig ist.
Nur ist "einfach" keine ethische Kategorie.
*********2015 Mann
140 Beiträge
Nur zur Klarstellung: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 sagt, dass man Ärzten und Sterbehelfern die geschäftsmäßige (anders gesagt: berufliche/bezahlte/wiederholt auch anderen als nahestehenden Verwandten oder Freunden gewährte) Unterstützung bei der Selbsttötung ermöglichen muss (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/bvg20-012.html). Daher muss der §217 StGB geändert werden (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__217.html).

Die Tötung auf Verlangen (d.h. ohne eigene, aktuelle Handlung des lebensmüden Menschen, also die eingangs von @****mi geschilderte Situation) bleibt nach § 216 StGB auch künftig verboten (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__216.html).
****Dr Mann
1.513 Beiträge
Zitat von *******llie:
Ich könnte doch jetzt , bei klarem Bewusstsein, explizit in einer entsprechenden Verfügung, benennen, was genau "nicht mehr lebenswertes Leben" für mich bedeutet. Beispiel: wenn ich gefüttert, gewaschen, gewickelt werden muss und wenn ich mich noch dazu nicht mehr artikulieren kann, wäre das für mich ganz klar ein Zustand, in dem ich nicht mehr weiterleben wollen würde - definitiv. Ob ich dann Demenz habe oder nicht, ist dabei ziemlich nebensächlich.)
Ja, das stimmt, aber es gibt zwei Gegenargumente.
1. Auch wenn ich jetzt, bei klarem Bewusstsein, eine bestimmte Einstellung habe (zu Politik, zu Religion, zum Fleischessen oder sonst irgendetwas), dann kann ich in zehn Jahren dennoch, immer noch bei klarem Bewusstsein, eine andere Einstellung haben. Das kennen wir alle. Wenn das aber so ist, dann ist es nicht begründbar, warum wir jemandem, der bei klarem Bewusstsein geblieben ist, das Recht zusprechen, seine Einstellung, seine Wertepräferenz zu ändern, aber jemandem, der an Demenz erkrankt ist, wollen wir dieses Recht versagen?
2. Träger der Entscheidung ist ja immer eine, ethisch gesprochen, Person. Und da stellt sich die, in der Regel unbeantwortbare, Frage, in wieweit die Person, die heute vor einem sitzt, ggf. durch hirnorganische Prozesse in wesentlichen Zügen verändert, noch dieselbe Person ist, die damals die Entscheidung getroffen hat.

NB.: Ich glaube, dass ich eine sehr ähnliche Präferenz habe wie Du. Ich würde für mich ebenfalls das Recht reklamieren, mein Leben zu beenden oder wenn nötig beenden zu lassen, wenn ein Zustand eingetreten ist, dem ich das Sterben vorzöge. Aber es ist eben nicht so einfach, das so zu formulieren, dass es moralisch eindeutig ist. Von der juristischen Seite mal ganz abgesehen.
****mi Frau
2.388 Beiträge
Themenersteller JOY-Angels 
Die Eingangsfrage war, so wie ich es verstanden habe, ob der schriftlich verfügte Wille dem späteren, kognitiv beeinträchtigten Willen, übergeordnet ist. Es ging darum, ob eine dement Person einen abweichenden Willen rechtsverbindlich äussern kann und den damit zuvor schriftlich verfügten Willen aufhebt.

Stimmt… zwar ist es auch sehr interessant wie man wohl rein rechtlich verfahren würde, aber die eigentliche Frage die ich mir immer stelle ist ( und das betrifft in diesem Fall halt wirklich Demenz in ihren verschiedenen Erscheinungsformen ):

Ist der Mensch der man vorher war berechtigt über den Menschen der man durch die Krankheit geworden ist zu bestimmen, oder hat der Mensch der man geworden ist trotzdem Persönlichkeitsrechte, auch wenn er vielleicht eingeschränkter ist in seinem Denken…

Darf also mein ich von heute über mein Ich von morgen bestimmen, ohne das eine Neubewertung möglich ist?

Bei einer Patientenverfügung ist klar definiert, da steht vielleicht drin man möchte nicht künstlich ernährt werden oder an keine Maschine, man möchte also nicht aktiv am sterben gehindert werden… dort bekommt man eventuell ein Schmerzmittel das einen bei höherer Dosierung hinüber gleiten lässt, es ist eher passiv…

Jemanden aber aktiv zu töten obwohl der Mensch in der Situation eigentlich zufrieden und aktiv lebt, zwar in seiner eigenen Welt und im Denken eingeschränkt, der auch Angst hat bei der Ausführung und sich wehrt…. Das finde ich persönlich nicht richtig, auch wenn sie es vorher so wollte…
*********2015 Mann
140 Beiträge
Jemanden aber aktiv zu töten obwohl der Mensch in der Situation eigentlich zufrieden und aktiv lebt, zwar in seiner eigenen Welt und im Denken eingeschränkt, der auch Angst hat bei der Ausführung und sich wehrt…. Das finde ich persönlich nicht richtig, auch wenn sie es vorher so wollte…
Liebe @****mi , ich glaube, das ist der Kern und besser und menschlicher kann man es nicht formulieren!
Zitat von *********2015:
Nur zur Klarstellung: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 sagt, dass man Ärzten und Sterbehelfern die geschäftsmäßige (anders gesagt: berufliche/bezahlte/wiederholt auch anderen als nahestehenden Verwandten oder Freunden gewährte) Unterstützung bei der Selbsttötung ermöglichen muss (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/bvg20-012.html). Daher muss der §217 StGB geändert werden (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__217.html).

Die Tötung auf Verlangen (d.h. ohne eigene, aktuelle Handlung des lebensmüden Menschen, also die eingangs von @****mi geschilderte Situation) bleibt nach § 216 StGB auch künftig verboten (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__216.html).

Und da verschwimmt die Diskussion bei uns, da der Beitrag sich auf ein Beispiel aus den Niederlanden bezieht.
Trotzdem finde ich die Trennung von juristischer und ethischer Sichtweise sehr sinnvoll und spannend. Zudem die juristische Deutung und Auslegung und in der ethischen Betrachtung die Beeinträchtigung von familiärer Nähe und den eigenen Überzeugungen. Gerade bei den eigenen Überzeugungen frage ich mich, um wen es jetzt gerade geht.
*********2015 Mann
140 Beiträge
Darf ich nachfragen, liebe @****see wie Du diesen letzten Satz meinst:
Gerade bei den eigenen Überzeugungen frage ich mich, um wen es jetzt gerade geht.

@*********2015
Einerseits die Betrachtung - juristisch vs. Ethisch.
Viel mehr aber die eigene Sicht auf.... Hmmm, was eigentlich... Würde, Sinn, Perspektive, Lebensqualität...was auch immer.
Ich habe im Moment Schwierigkeiten deine Frage zu beantworten, denn gestorben wird ohnehin. Das ist unausweichlich. Abhängig von der Diagnose früher oder später, mit mehr Leid oder Bewusstsein oder weniger.
Die Frage also eher wo und wie und die wird schwierig, wenn die Krankheitseinsicht fehlt oder die Patientenverfügung schwammig ist.
Wenn ich also entscheiden muss, und darauf wird eher früher als später gedrängt, dann muss ich dem Impuls, meine eigene Sicht zugrunde zu legen, entgegen steuern.
Ich entscheide nicht aus eigener Überzeugung, sondern nur stellvertretend.

Und nochmal konkret - Wenn ich in der Situation bin entscheiden zu müssen, dann werde ICH gefragt, wie ER/SIE entscheiden würde und das ist vielen nicht klar. ICH bin nur Bote, aber nicht Entscheider.
Letztlich muss derjenige, der letztlich stellvertretend entscheidet, das mit seinem Gewissen vereinbaren koennen, so oder so. Von einsamen Entscheidungen ist grundsaetzlich abzuraten. Es gibt genuegend Experten, die man in einer solchen Situation mit ins Boot holen kann, damit eine Entscheidung auf vielen Schultern ruht. Im Falle progressiver Alzheimerscher Demenz ist zum Beispiel nicht zwangslaeufig davon auszugehen, dass es dem Patienten schlecht geht.
Er verliert zwar successive alle erlernten Faehigkeiten und kann nicht mehr dazulernen. Das mag von aussen betrachtet schlimm sein, ist aber nicht zwangslaeufig mit Beeintraechtigung der Lebensqualitaet verbunden. Ich wuerde mich weder als Arzt noch als Privatperson in so einem Fall wie in der geschilderten Story verhalten und den Patienten auf Basis eines zu gesunden Zeiten geaeusserten Willens euthanasieren. Koennte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.

Unsere Mutter wollte im Endstadium einer sehr schmerzhaften Krebserkrankung auch unbedingt beschleunigt aus dem Leben treten, verweigerte jegliche Palliation. Ich fand es eine Zumutung, die Veranwortung fuer das eigene Sterben in die Haende anderer legen zu wollen. Sie waere durchaus in der Lage gewesen, das selbst zu machen. Dazu fehlte dann aber doch der letzte Wille. Und deshalb plaediere ich grundsaetzlich fuer Palliation und einen natuerlichen Tod ohne Fremdbeteiligung. Da wird niemand in eine Sache hineingezogen, die hoechstwahrscheinlich zu gross fuer ihn ist.
Nur mal so als Info:

Nur weil man ein Angehöriger in direkter Linie ist (also zumeist Sohn oder Tochter), ist man NICHT automatisch der Entscheider!

Viele erwachsene Kinder sind, wenn die Eltern noch gesund und munter sind, damit einverstanden, in einer zukünftigen "Leben oder Tod"-Situation stellvertretend den Willen des/der Erkrankten durchzusetzen, wenn er/sie dies nicht mehr kann. Warum auch immer dies der Fall sein sollte. Die Kinder unterschreiben in guten Zeiten die Vollmacht(en) mal eben so...ohne groß darüber nachzudenken, was das eigentlich bedeutet.

Ich finde es aus eigenen Erfahrungen heraus immer wieder erschreckend, wenn besagte Kinder dann genau in dem Moment, in dem sie dann tatsächlich die Verantwortung übernehmen müssen/sollten, sich selbst fast mehr leid tun als das Leid des/der Erkrankten zu sehen.

Wenn ich mich als Tochter oder Sohn selbstreflektiert betrachte und z.B. WEISS, dass ich ein Mensch bin, der sich allgemein schwertut mit Verantwortung und Entscheidungen mit großer Tragweite oder jemand bin, der nicht loslassen kann, dann sollte ich solche Vollmachten niemals unterschreiben. Niemals!

Mein Vater ist damals im Hospiz gestorben. Der Körper am Ende, aber das Herz war fit. Leider. Er wurde blind und taub. Ein kompletter Pflegefall. Wir waren Tag und Nacht bei ihm, haben die Grundpflege übernommen. Trotzdem er keinen Tropfen Flüssigkeit erhalten hat und erst recht keine Nahrung (es war sein Wille, den wir umsetzten), dauerte sein Sterben ZEHN Tage...

Und nein, wir saßen nicht stets weinend am Bett. Wir unterhielten uns über alles Mögliche, es wurde auch gelacht und gesungen über das Bett hinweg. So wie früher zu dritt am Küchentisch. Wir wollten nicht, dass mein Vater in den letzten Momenten seines Lebens nur Trauer und Tränen wahrnimmt. Er sollte mein Lachen hören, Leichtigkeit spüren...um dadurch vielleicht leichter gehen zu können.

Meine Mutter möchte, wenn sie dement werden sollte, in die Schweiz, um dort selbstbestimmt sterben zu können. Ich werde sie da hinfahren. Aber sie kennt auch MEINE Grenze.

Das wäre dieser Fall in den Niederlanden. DAS würde ich nicht tun und habe dies auch so kommuniziert.
Ein dementer Mensch, der LEBEN will, DARF auch leben.
****Tat Mann
1.370 Beiträge
@****Dr
Tolle Herleitung.

Bei Kinder verfahren wir umgekehrt: Wir stehen Ihnen von Anfang an das volle Recht zu leben zu - unabhängig davon, wie hilflos bzw. kompetent sie sind und wie komplex und konkret sie ihren Willen äußern können. Mit zunehmend geistiger Vervollkommnung nehmen wir ihre Willensbildung ernster und weisen ihnen stufenweise Rechte bzw. Pflichten zu: Strafmündigkeit, (kommunales) Wahlrecht, sexuelle Selbstbestimmung, Alkoholkonsum, Volljährigkeit ...
In frühen Stufen ignorieren wir Entscheidungen von ihnen, von denen wir annehmen, dass sie ihnen schaden. Suizidwünsche von Jugendlichen zb akzeptieren wir nicht.

So sehr ich (auch in früheren Posts) das Sterberecht des Dementen befürworte, leuchtet mir der Wert des von seiner ursprünglich komplexen Persönlichkeit verlassenen Körpers ein.

Ich habe meinen 16 Jahre alten Hund bis zum letzten Tag gepflegt. Die letzten Jahre wurde er zunehmend dement, die letzten Monate war er nur noch ein Schatten seiner ursprünglichen Persönlichkeit. Bei seinem letzten Spaziergang, nachdem er erschöpft für immer einschlief, hat er noch sein Revier markiert. Er hatte bis zur letzten Minute, wenn auch instinktgesteuert, ein Konzept vom Leben. Hätte ich das vorher beenden sollen?

Die Bewertung des Lebenswert im dementen Zustand hängt ganz sicher mit der heute üblichen und oft notwendigen Aufbewahrung in geschlossenen Stationen zusammen.
Stellt man sich die gleiche Person auf einer Bank in einem idyllischen Dorf in der wärmenden Frühjahrssonne vor sich hin dämmernd vor, kommt man vielleicht zu einer anderen Einschätzung.
********e_20 Mann
23 Beiträge
Ich verstehe die Trennung zwischen der juristischen und der ethischen Sichtweise. Nur lässt sich das aus ethische Sicht vielleicht noch trennen. Eine Trennung aus juristischer Sicht ist kaum möglich. Es sollte doch die juristische Entscheidung immer auch aus ethischen und den Grundrechten entsprechen entschieden werden. Nach meinem Empfinden ist genau die Diskrepanz. Die juristische Sicht kann nie die mannigfaltigen Ausprägungen menschlicher Entscheidungen und Empfindungen abbilden. So dass wir immer in dem Dilemma sind juristische Entscheidungen nie die ganze Anzahl der Einzelfälle abzudecken.

Auch der Verweis auf die Palliativmedizin ist gut. Nur was ist, wenn diese zur Verdeckung medizinischer Fehler oder Pflegefehler absichtlich angewandt wird?
Ich frage mich in all diesen Fällen, egal ob mit Demenz oder ohne, hätte der Mensch vorher so entschieden, wenn er es vorher gewusst hätte.
Und gerade bei Demenz wissen wir doch zu wenig was registriert der Mensch. Vielleicht bekommt er viel mehr mit, kann sich aber eben nicht mehr artikulieren. Oder bekommt er weniger mit, als wir glauben und wissen.

Sind wir aber vielleicht bei vielen Entscheidungen auch zu skeptisch. Ich denke immer an die Aussage eines ehemaligen Chefs einer Pflegeeinrichtung, er meinte lustig auf die Beschreibung eines Alten- und Pflegeheime, das ist wie Kindergarten für alte Menschen. Erst fand ich es witzig, aber dann wurde mir klar, dass es viel mehr ist. Die Menschen treffen auch mit Demenz teilweise Entscheidungen die wir nur bei Bewusstseins ihres Erlebens und Lebens in der Vergangenheit verstehen können.
Daher bin ich sehr gespalten was Patientenverfügungen betrifft, vorallem wenn innerhalb der Familie selten oder nicht darüber gesprochen wird.
****Dr Mann
1.513 Beiträge
Zitat von ****Tat:
Ich habe meinen 16 Jahre alten Hund bis zum letzten Tag gepflegt. Die letzten Jahre wurde er zunehmend dement, die letzten Monate war er nur noch ein Schatten seiner ursprünglichen Persönlichkeit. Bei seinem letzten Spaziergang, nachdem er erschöpft für immer einschlief, hat er noch sein Revier markiert. Er hatte bis zur letzten Minute, wenn auch instinktgesteuert, ein Konzept vom Leben. Hätte ich das vorher beenden sollen?
Der Vergleich mit Tieren ist aufschlussreich, kann aber auch schnell in die Irre führen. Als Betreiber von Pferdepension & Zucht & Reitstall ist man sehr oft in der Situation, die Entscheidung treffen zu müssen, ob es nur unnütze Quälerei für das Tier ist, oder ob es noch etwas vom Dasein als Rentner haben kann. Und die Entscheidung, das Tier einschläfern zu lassen, wird auch durch Wiederholung nicht einfacher. Unter Umständen hat man das Pferd selbst gezogen, ausgebildet, in jedem Fall viel Zeit mit ihm verbracht, kennt seinen Charakter. Aber mit etwas Abstand wird einem auch klar, dass vieles davon Projektion ist: ICH möchte mich noch nicht trennen. Bei einem echten Haustier (bei Dir Hund, bei mir Katze) ist das ja noch viel deutlicher.
Und diese Erkenntnis hilft vielleicht auch bei der Übertragung auf die Situation mit Menschen: Allzu oft projizieren wir unsere Wünsche und Werte auf den anderen.
Aber natürlich ist die Gesamtsituation grundverschieden zwischen Tier und Mensch.


Zitat von ****Tat:
Die Bewertung des Lebenswert im dementen Zustand hängt ganz sicher mit der heute üblichen und oft notwendigen Aufbewahrung in geschlossenen Stationen zusammen.
Stellt man sich die gleiche Person auf einer Bank in einem idyllischen Dorf in der wärmenden Frühjahrssonne vor sich hin dämmernd vor, kommt man vielleicht zu einer anderen Einschätzung.
Ich finde den Begriff "Lebenswert", nicht nur aufgrund seiner Nähe zum durch die Nazis "verbrannten" gegenteiligen Begriff, problematisch. Er kann in die Irre führen zu glauben, dass es es einen fixen, überindividuellen Wert darin gebe, ein Lebens zu führen. Man kommt der Wahrheit wohl näher, wenn man berücksichtigt, dass Werte von Menschen erteilt, zugewiesen werden. Was mir (heute) wichtig ist, kann für Dich legitimerweise unwichtig sein. Der Wert, den ich meinem Leben gebe, ist immer nur ein Wert VON mir.
Das heißt, man kommt nur über die personale Dimension weiter. Ich habe oben geschrieben
ein Zustand eingetreten, dem ich das Sterben vorzöge.
Diese Formulierung macht klar, dass es um meine Präferenzen geht. Und vermeidet den Begriff "lebenswert".
Und sie verdeutlicht auch, was Dein Beispiel sagt: Würde die Person dem Sitzen in der Sonne das Sterben vorziehen? Wohl kaum.
****Tat Mann
1.370 Beiträge
Totalitäre Systeme fragen nie nach dem individuell angestrebten Lebensglück des Einzelnen, sondern bewerten das Individuum vor allem nach seiner dienenden Funktion für die postulierte Ideologie. Individuelles Glück ist für sie tendenziell reaktionär und Gift für das geforderte Streben nach Konformität.

Mit zunehmender Verrohung ist die Ablehnung eines ganz eigenen Lebenswertes zugunsten eines diktierten Maßes, was noch "lebenswert" sei, traurige Konsequenz.
****i2 Mann
11.405 Beiträge
JOY-Angels 
Ich habe mal aufgeräumt. Bitte keine Religion in den Themen und auch kein Kapern von Themen. Weitere Beiträge, die nicht zum Thema sind, werden kommentarlos entfernt.

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