@cute_poly
(ER schreibt.)
Danke für deine sehr offene Erwiderung, die einiges sehr klar und verständlich werden lässt. Wir weichen jetzt glaube ich langsam schwer von der Eingangsfragestellung des Threads ab - oder nähern uns der Kernfrage, unter welchen Voraussetzungen ein polyamores Beziehungskonstrukt als Familie mit Kindern überhaupt denkbar sein könnte.
Haha, da hast du wirklich meine immer noch vorhandene hintergründige Mono-Denke erwischt. Dankeschön.
Das passiert uns wohl allen durch die prägende Sozialisation. Da Hjalana und ich schon so lange in der "Polydenke" leben (und dies auch schon vor unserem Kennenlernen unsere Art war), können wir uns solche "Denkfallen" leichter bewusst machen. Uns ist übrigens aufgefallen, dass viele Polyamore schnell in die "Monodenke" verfallen, sobald es in diesem Bezug um Kinder und Familienbande geht.
In meiner Polyerfahrung ist es aber alles andere als absurd, sondern im Gegenteil jedes Mal bisher vorgekommen, dass meine Partner mit Menschen zusammen sind, die mit mir nicht klarkommen und mit denen ich nicht klar komme. Auf Abstand, auf akzeptierender Ebene dass es liebe Menschen sind die den gemeinsamen Partner gut tun: ja. Aber freundschaftlich würde ich das nicht nennen. Ich habe versucht derartige Freundschaften aufzubauen, und es wurde klar, dass andere daran nun mal leider kein Interesse haben. Muss ich mit leben.
Ist die Frage, ob du das musst. Auf jeden Fall: Das klingt schon bitter und nicht so wirklich schön (aus meinem persönlichen Empfinden heraus). Ich habe bei der Betrachtung polyamorer Möglichkeiten natürlich meinen Erfahrungsfilter vorgeschaltet, der für jemanden mit deiner Vorerfahrung ein wenig nach rosaroter Brille aussehen muss. Hjalana und ich sind einander bei der Auswahl von Freunden eben sehr ähnlich und springen auf ähnliche Typen an (wobei ich festgestellt habe, dass wir bei Männern recht ähnliche Sympathien entwickeln, während ich mit vielen ihrer Freundinnen - im nichtsexuellen Sinne - herzlich wenig anfangen kann, weder von der Sympathie noch aus einem Bedürfnis heraus, mit ihnen ins Gespräch zu kommen; keine Ahnung, woran das liegt).
Wenn es, wie du schreibst, tatsächlich
immer so war, dass die Partnerspartner in deinem Fall so gar keinen Bezug zu dir aufbauen konnten (oder du zu ihnen oder gegenseitig), dann klingt das für mich schon nach einem drängenden Hebelpunkt, um die Nuss zu knacken. Die Frage ist doch: Was läuft da falsch? Woran liegt's? Welches Muster wiederholt sich? Und warum suchen deine Partner
immer Kontakt zu anderen Partnern, die offenbar so stark von dir verschieden sind, dass ihr nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt? Hast du da schon mal in dich hineingehorcht und vielleicht ein Kernproblem aufgedeckt oder erahnt?
Zu der Sache mit dem Klarkommen oder der Sympathie möchte ich an dieser Stelle eine nette Anekdote anmerken (ich hoffe, ich kriege das nach so vielen Jahren noch korrekt auf die Reihe, anderenfalls werde ich sicherlich sofort von meiner stets sehr aufmerksamen Gemahlin dahingehend korrigiert und bekomme verbal die nicht mehr vorhandenen Haare geföhnt): Hjalana und ich haben uns vor rund 15 Jahren übers Internet (ICQ) kennengelernt, zunächst, weil damals die Möglichkeit, irgendwelche Heavy-Metal- und Mittelalterbegeisterte real zu finden, die auch in der Nähe wohnen, nicht so einfach war. Haben ein paar mal gechattet, dann ist das Ganze eingeschlafen, weil wir nicht so wahnsinnig voneinander begeistert waren irgendwie. Ein paar Monate später haben wir uns wieder im ICQ überkreuzt, wieder nett geplauscht und dann mal ein Treffen zu einem Mittelaltermarkt beschlossen. Da war der erste gegenseitige Eindruck auch nicht gerade überragend, eher freundschaftlich neutral im Rahmen der gemeinsamen Interessen. Tja, und irgendwie haben wir uns dann immer öfter mal getroffen und gequatscht und was unternommen und so festgestellt, dass wir viel mehr gemeinsam haben als erahnt. Irgendwann baute sich ein Gefühl von Nähe und Vertrautheit auf und wir haben auch mal gekuschelt und irgendwann sind wir dann im Bett gelandet (wobei das beim ersten Mal ganz harmlos als Übernachtung geplant war, dann aber ziemlich schnell mehr wurde). Was genau für eine Beziehungsform wir da eigentlich angefangen hatten, war uns beiden noch nicht so ganz klar, und ein paar Wochen später haben wir das auf einem Konzert bequatscht und quasi einvernehmlich "ausgehandelt". Und so war sie nach grob geschätzt einem Jahr (also einer durchaus langen Anlaufphase) Hin und Her ganz unerwartet da, die auf Freundschaft und vielen gemeinsamen Interessen und Ansichten aufbauende tiefe Zuneigung und Geborgenheit, die sich zur Liebe entwickelte. Die "Schmetterlinge im Bauch"-Phase haben wir so ziemlich übersprungen, glaube ich.
Und dennoch haben wir in Belastungszeiten - vor allem ausgelöst durch die Kinder und die erheblichen damit verbunden Probleme plus diverse andere unerfreuliche Ereignisse - nach ein paar guten Jahren einander auch oft angeschrien und zum Teufel gewünscht. Und dann immer wieder geredet und unser Herz ausgeschüttet und wieder zueinander gefunden. Will sagen: Das alles ist ein ewiger Prozess, erfordert Arbeit, Geduld und
Wollen, und kann durchaus mit einem Gefühl von gar nicht nennenswert erkennbarer Sympathie beginnen. Dass ein Start mit Schmetterlingen im Bauch zwar oftmals der verheißungsvollste, aber nicht unbedingt dauerhafteste Ausgangspunkt ist, mussten wir erst kürzlich wieder feststellen, sehr zu unserem großen Bedauern und verbunden mit einigem emotionalen Kummer. Manchmal sind die Beziehungen, die klein starten und sich dann erst aufbauen, doch die gewinnbringendsten.
... Aber meine persönlichen Erfahrungen sprechen einfach so dermaßen dagegen und was für dich "absurd" ist, ist für mich Alltag. Ich brauche dir vermutlich nicht genauer erklären, dass das natürlich ein ziemlicher Stressfaktor in Beziehungen sein kann und ich beneide meine Partner nicht darum, dass ihre eigenen Partner zueinander so inkompatibel sind. Das haben wir uns auch sehr anders vorgestellt, aber was will man machen...?
Mag jetzt stumpf klingen, aber: Etwas
machen. Beziehung bedeutet Arbeit (siehe oben). Man muss sich nur die Frage stellen:
Will ich denn etwas machen, habe ich ein Ziel, ist es mir wichtig genug? Sind die anfänglichen Hürden so unüberwindbar, dass man nur noch achselzuckend und seufzend resignieren kann?
Aber du hast natürlich Recht: Die Ausgangslage ist nach deiner Beschreibung wahrlich nicht optimal und wünschenswert, für keinen der Beteiligten. Hier wäre Ursachenforschung nach innen und außen angesagt. So etwas möchte ich auch nicht ständig erleben wollen. Wie gesagt, ist es arg unwahrscheinlich, dass Hjalana und ich uns Partner suchen, mit denen der andere grundsätzlich gar nicht klarkommt, aber natürlich könnte so etwas durchaus mal vorkommen. Ich könnte mir solch einen Fall aber ehrlich gesagt nur bei einer Liebschaft im Sinne einer primär sexuell ausgerichteten "Affäre" vorstellen, die sich vornehmlich außerhalb der Familienumgebung als "mal was ganz anderes" abspielt. Sofern da nicht sofort die große Liebe auf den ersten Blick vom Himmel fällt, klopfen wir mögliche Partner eigentlich immer schon unbewusst vorher auf Gemeinschaftstauglichkeit ab (und haben uns da bislang nur einmal mächtig vertan - manchen Menschen kann man halt nicht sofort hinter die Stirn schauen).
Und ich denke ihr (also du und Hjalana) habt Recht - viele Probleme kommen in monogamen Partnerschaften genauso vor. Was aber dort eher NICHT vorkommt ist, dass ich mit Menschen in einem Haushalt lebe, mit denen zwar mein Partner, aber ich selbst *nicht*, eine Beziehung habe - sondern eben gar nicht klar komme. Das wäre sicherlich keine tolle Umgebung für Kinder, wenn da dauernd der Konflikt schwelt. Ach, das wäre nicht mal eine Umgebung in der ich leben wollen würde. Mein Zuhause muss sich auch so anfühlen.
Was dir aber passieren könnte, und davon gibt es vor allem bei der "älteren" Generation mehr als genug: Dass du eine monogame Beziehung/Ehe mit jemanden führst, mit dem du gar nicht klarkommst. Ich kenne unglückliche Ehen zuhauf, die wie auch immer zustande kamen und aus mir persönlich schwer zugänglichen Gründen lange oder gar lebenslang anhielten. DAS wäre ein Zustand, den ich als wirklich tödlich empfände. Womit du Recht hast: Beim Zusammenleben, monoamor wie polyamor, ist natürlich der große Drehpunkt, dass man sich miteinander wohl und zu Hause fühlt. Aber wie gesagt, muss sich dieses Gefühl ja nun nicht sofort wie vom Himmel gefallen ergeben, sondern muss - vermutlich sogar meistens - erst einmal aufgebaut und, ja, erarbeitet werden, in kleinen Schritten. Nicht gleich zusammenziehen, sich die Köppe einhauen und dann versuchen, was draus zu machen, sondern langsam Nähe aufbauen, sich kennenlernen, Gemeinsamkeiten finden, Gemeinsames unternehmen, sich mal, wie Hjalana vorhin dazu anmerkte, eine Woche in der Pampa gemeinsam in einem Zelt einsperren und aufeinander für eine befristete kurze Zeitspanne angewiesen sein.
Der Gedanke, der mich zuletzt beschäftigt hat, ist wahrlich traurig: damit das mit der Familie überhaupt für uns eine ansatzweise Option wird, müsste sich meine Partnerin nicht nur für ein nahes Zusammenleben mit mir entscheiden, sondern auch noch gegen ein zu nahes Zusammensein zu anderen Partnern; denn zusammenleben geht nicht, ihre Partner sind zueinander inkompatibel. Sie müsste also eine Priorisierung durchführen, weil ihre Partner inkompatibel zueinander sind und niemals in einem Haushalt zusammenleben werden. Sie muss genau das tun, was beim Polysein eigentlich nicht passieren sollte: sich für einen entscheiden. Das klingt total kaputt und das will ich so nicht, aber irgendwie fällt mir aus der aktuellen Situation kein Ausweg ein. Außer warten, dass sich das Problem insofern von selbst löst, als dass irgendwelche der Beziehungen (vielleicht auch die zu mir?) zerbrechen. Was nicht minder traurig ist.
Das klingt in jeder erdenklichen Variante für mich nicht nach etwas, das funktionieren wird und dauerhaft sein kann. Und du hast Recht: Wenn die Ausgangslage dergestalt negativ vorbelastet ist, muss ein Polyamorer in Traurigkeit versacken, denn daran ist nichts wirklich polyamor. Zwangsläufigkeitsarrangements sind eher die Domäne monogamer Ehen nach traditionell christlichem Vorbild. So kommst du nicht weiter.
Nun: Ich bin noch jung und insofern besteht da nun keine Eile, das Thema ist nicht akut. Was weiß ich, wie mein Beziehungskonstrukt in ein paar Jahren ausschaut? Aber irgendwie fühlt sich gerade alles so an, als wenn wir Poly irgendwie "falsch" aufgezogen hätten. Zu "frei", möglicherweise mit zu wenig Blick auf Kompatibilität der eigenen Partner. Jung und naiv eben? Ich weiß es nicht.
Irgendwas oder irgendwer läuft da in jedem Falle falsch, da stimme ich dir zu. Aber eine wichtige Erkenntnis dazu hat dich - unabhängig von der Aussicht auf eine Lösung deiner aktuellen, konkreten Problemsituation - ja bereits geküsst: Du bist noch jung, es wird sich noch vieles tun, viele Partnerschaften schlagen fehl und mancher findet das für sich Richtige eben erst spät und nach mehr Fehlschlägen und Liebeskummer als anderer. Mach dir nicht zu viele Köppe (vielleicht ist ja das schon ein kleiner Hebelpunkt, um das Problem gestemmt zu bekommen).
(Mannomann, das ist schon wieder ein Roman geworden. Man möge mit mir Nachsicht üben. Polyamore neigen irgendwie zum endlosen Schwafeln, glaub ich.
)